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"Ich bedauere jeden, der nicht liest"

Weil sie schlecht laufen kann, lässt sich Helga Eichler ihre Bücher aus der Bibliothek von einer Botin bringen. Das könnten viel mehr Dresdner nutzen.

Von Henry Berndt
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Frische Lese-Ware auf Bestellung: Helga Eichler (l.) freut sich über den Besuch von Bücherbotin Jana Möckel.
Frische Lese-Ware auf Bestellung: Helga Eichler (l.) freut sich über den Besuch von Bücherbotin Jana Möckel. © Sven Ellger

Dresden. Nostradamus war doch nichts für sie. Den dicken Wälzer gibt Helga Eichler ungelesen zurück, was ihr nur selten passiert. Die meisten Bücher liest sie bis zur letzten Seite aus. Um neue Lektüre zu besorgen, muss sich die 78-Jährige nicht erst zu ihrer Bibliothek nach Prohlis mühen. Sie kann schlecht laufen und vor allem nicht schwer tragen. Zum Glück erledigt ihre Bücherbotin Jana Möckel die Wege für sie - und bleibt gleich noch auf eine Tasse Tee.

Seit bereits 25 Jahren gibt es den Bücherhausdienst der Städtischen Bibliotheken in Dresden, über den Kranke, Hochbetagte und Menschen mit Behinderung die Möglichkeit bekommen, die Vorzüge der Bibliotheken zu nutzen, ohne dafür das Haus verlassen zu müssen. Übernahmen anfangs noch Mitarbeiterinnen das Aussuchen und die Fahrwege, wurden diese Aufgabe 2012 in die Hände von Ehrenamtlichen gelegt.

Eine von ihnen ist Jana Möckel. Die 43-Jährige arbeitet für die Immobilienverwaltung des Freistaats Sachsen und engagiert sich schon seit neun Jahren für den Bücherhausdienst. "Ich war damals in Elternzeit und hatte noch freie Spitzen", erinnert sie sich. "Diese Aufgabe erschien mir ideal, da sie keinen übermäßigen Zeitaufwand erfordert."

Tolle Bücher, nette Gesellschaft

Also bewarb sie sich und legte ihr polizeiliches Führungszeugnis vor. Dann konnte es losgehen. Helga Eichler lernte Jana Möckel vor drei Jahren kennen. Einmal im Monat kommt sie her, bringt die neuen Bücher und nimmt die ausgelesenen wieder mit. Dabei bleibt immer auch Zeit für einen Plausch auf dem Sofa. Die Seniorin lebt seit 50 Jahren in ihrer Wohnung im ersten Stock in Dobritz. Seit vor drei Jahren ihr Mann starb, verlässt sie das Haus nur noch selten. Umso mehr freut sie sich über nette Gesellschaft.

Inzwischen hat sich der Service der Bibliotheken so weit herumgesprochen, dass sich viele Dresdner als Bücherboten zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite gebe es aber noch zu wenige Menschen, die die Hilfe auch in Anspruch nehmen, sagt Marika Schwer, die für die Koordination des Bücherhausdienstes zuständig ist. Das führe dazu, dass momentan 40 potenzielle Botinnen auf einer Warteliste stünden. Betreut wurden zuletzt 96 Dresdnerinnen und Dresdner von 92 Ehrenamtlichen.

Corona bremst Boten aus

Dabei kostet das Angebot keinen Euro extra. Lediglich der jährliche Mitgliedsbeitrag von 15 Euro muss bezahlt werden. Sogar auf Mahngebühren verzichten die Bibliotheken bei der Nutzung des Bücherhausdienstes, wohl wissend, dass sich die Boten in aller Regel äußerst zuverlässig um die rechtzeitige Rückgabe kümmern.

Die Corona-Krise habe den Dienst in den vergangenen Monaten stark ausgebremst, sagt Marika Schwer. Viele ältere Menschen wollten aus Vorsicht bis auf Weiteres keinen Besuch bei sich zu Hause.

Helga Eichler schon. Ihre Wunschliste hat sie der Bücherbotin per Whatsapp-Nachricht übermittelt, nachdem sie sich wie immer im Fernsehen und im Internet hatte inspirieren lassen. Technisch ist die Rentnerin voll auf der Höhe der Zeit. Auf das Lesen von Büchern aber wolle sie trotzdem niemals verzichten. "Früher wollte ich Bibliothekarin werden und hatte mein ganzes Leben lang Bücher um mich herum", sagt sie. "Ich bedauere jeden, der nicht liest."

Lustig darf es sein

Am meisten interessiert sie sich für Biografien von spannenden Persönlichkeiten und Gesundheitsthemen. Auch lustig darf es gern sein. Krimis sind dagegen nicht so ihre Welt. Die gebe es ja im Fernsehen schon zur Genüge.

Hocherfreut stellt sie fest, dass ihre Bücherbotin mal wieder alle gewünschten Bücher auftreiben konnte. Die tragen so illustre Titel wie "Bin ich psycho - oder geht das von alleine weg?" und "Alt werde ich später". Auch einige Zeitschriften hat Jana Möckel für sie ausgesucht und mitgebracht. Das sollte reichen für die nächsten vier Wochen. Meist liest Helga Eichler abends im Bett. Da wisse man nie, wie weit man kommt.

Wollen auch Sie den Bücherhausdienst in Anspruch nehmen? Wenden Sie sich an: Städtische Bibliotheken Dresden, Koordination Ehrenamtlicher Bücherhausdienst, Bürgerstraße 63 HH, 01127 Dresden, 0351 86482255, [email protected]