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Hospiz: "Hans, du hast das Leben gemeistert"

Wie ein vom Papst gesegneter Nikolaus den Bewohnern des Dresdner Marien-Hospizes Wärme schenkt - und ihnen den letzten Advent ihres Lebens versüßt.

Von Henry Berndt
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"Du bist ein toller Mensch": Der Nikolaus umarmt Hans Neugebauer im Dresdner Marien-Hospiz.
"Du bist ein toller Mensch": Der Nikolaus umarmt Hans Neugebauer im Dresdner Marien-Hospiz. © Henry Berndt

Dresden. Das Sprechen fällt ihm schwer, doch er möchte etwas sagen. Er möchte von seinem Leben als Ingenieur in der DDR erzählen, von seiner geliebten Frau Barbara und seinen Begegnungen mit Gott. Dann zeigt Hans Neugebauer auf den Spruch an der Wand vor ihm, der gerade so gut passe: "In Geborgenheit lässt Du mich wohnen."

Seit gut einer Woche lebt der 84-Jährige im Marien-Hospiz in Dresden. Der Krebs wird ihn nicht mehr loslassen. Es wird sein letzter Advent sein.

Aufmerksam hört der Nikolaus zu, dann greift er nach den Händen seines Gegenübers und schaut ihm tief in die Augen. "Hans, du bist ein wunderbarer Mensch", sagt er, und plötzlich haben beide Tränen in den Augen. Spätestens in diesem Moment wird klar: Das hier ist kein nett gemeinter Auftritt eines kostümierten Mannes mit Hang zur Selbstdarstellung. Hier geht es um Trost, um Hoffnung und um Liebe.

Schon nach wenigen Sätzen spürt Nikolaus Wolfgang Kimmig-Liebe eine Verbindung zu Hospiz-Gast Hans Neugebauer.
Schon nach wenigen Sätzen spürt Nikolaus Wolfgang Kimmig-Liebe eine Verbindung zu Hospiz-Gast Hans Neugebauer. © Sven Ellger

Seit 36 Jahren besucht Wolfgang Kimmig-Liebe als Nikolaus kranke Menschen auf der ganzen Welt. Begonnen hat alles mit einem Weihnachtsmann-Kostüm für acht D-Mark, in dem er einst spürte, dass er die Gabe hat, gute Gefühle verschenken zu können. Bald wurde aus dem Weihnachtsmann der Nikolaus, aber keiner, der am 6. Dezember nach geputzten Stiefeln Ausschau hält. Er geht, wie sein historisches Vorbild, dort hin, wo er wirklich Gutes tun kann.

Segnung auf dem Petersplatz

Seine Herzens-Mission führt den früheren Kfz-Meister aus Stuttgart in Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, Krankenhäuser und Hospize. "Über 120 Menschen sind in meinen Armen gestorben", sagt er, "und ich kann mich an jeden einzelnen erinnern."

Für sein Engagement segnete ihn Papst Benedikt XVI. 2007 vor 180.000 Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom. Seit 2014 ist Kimmig-Liebe zudem Ehrenbürger der türkischen Stadt Myra. Von hier stammt der Heilige Nikolaus.

Vor dem Besuch muss auch der Nikolaus zum obligatorischen Corona-Schnelltest.
Vor dem Besuch muss auch der Nikolaus zum obligatorischen Corona-Schnelltest. © Sven Ellger

An diesem kalten Novembertag ist sein Nachfolger zu Gast im Marien-Hospiz in Dresden. Der fast zwei Meter lange Mann trägt einen langen goldenen Mantel, weiße Handschuhe und natürlich seine Bischofsmütze. Im Fahrstuhl muss er deswegen den Kopf einziehen. "Sie glauben gar nicht, wie oft ich mit der Mütze schon hängengeblieben bin", sagt er. Oben angekommen spricht er ein kurzes Gebet. "Vater im Himmel, segne alle Menschen in dieser wunderbaren Stadt Dresden." Wie immer an seiner Seite: Ehefrau Karin.

Auch der Nikolaus muss zum Schnelltest

Dann muss der Nikolaus zum Schnelltest, der glücklicherweise negativ ausfällt. Geschützt mit einer FFP2-Maske, die kaum über seinen stattlichen Rauschebart passt, geht er auf Tuchfühlung mit den Gästen des Hauses. Ausnahmsweise sind gerade nur zehn der zwölf Zimmer belegt. Erst am Vortag sind zwei Bewohner verstorben. Gegangen, wie es hier heißt.

Hans Neugebauer wartet schon im Foyer, als sich der Nikolaus zu ihm setzt. Unbehaglich ist das für keinen von beiden. Die beiden plaudern ein wenig und nach wenigen Sätzen hat der Nikolaus eine Verbindung zu dem schwerkranken Hospiz-Gast aufgebaut. "Hans, du hast das Leben gemeistert", sagt er und Hans Neugebauer lächelt still.

Der Stuttgarter Nikolaus hat gute Kontakte nach ganz oben.
Der Stuttgarter Nikolaus hat gute Kontakte nach ganz oben. © privat

Der Nikolaus schlägt sein goldenes Liederbuch auf, das ihn schon seit fast 40 Jahren begleitet und fragt: "Hans, darf ich dir ein Lied vorsingen?" Die Wahl fällt auf "Kling Glöckchen, klingelingeling". Der Nikolaus fängt an und rasch stimmt auch Hans Neugebauer mit zarter Stimme ein.

Derweil hat schon der nächste Hospiz-Bewohner neben den beiden Platz genommen und freut sich auf seine ganz besondere Audienz. Den ganzen Vormittag nimmt sich Wolfgang Kimmig-Liebe Zeit, jeden kennenzulernen, der das auch möchte. "Ich hoffe, dass ich viele Menschen im Herzen berühren kann", sagt er.

"Wir wissen gar nicht, welche Kräfte wir in uns haben"

Johannes Bittner, den Leiter des Marien-Hospizes, ist sich sicher, dass das gelingt. Die Reaktionen der Bewohner auf den Nikolaus berühren auch ihn. "Wir freuen uns sehr über diesen Besuch", sagt er. Für seine Gäste sei es ein einzigartiger Moment der Abwechslung. "Wir haben im ganzen Advent verschiedene Aktivitäten vom Alpaka-Besuch bis zu kleinen Konzerten." Dieser Nikolaus-Tag aber, der ist einzigartig.

"Wir Menschen wissen gar nicht, welche Kräfte wir in uns haben", sagt Nikolaus Wolfgang Kimmig-Liebe. Wenn er die Menschen berühre und ihnen seine Liebe zeige, dann würden dadurch Energien freigesetzt, die lange nachwirken.

Beseelt betrachtet der 84-jährige Hans Neugebauer den Besucher mit der Bischofsmütze. "Ich lasse dich jetzt gern zurück, weil ich weiß, wie stark du bist", sagt der Nikolaus. Zum Abschied schenkt er ihm eine Tüte Printen und ein Versprechen: "Wir sehen uns wieder, Hans, und wenn es im Himmel ist." "Ja", antwortet Hans, "das wäre nicht schlecht."