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Gute letzte Reise, KDL!

Mit Klaus-Dieter Lindeck hat Dresden einen Menschen verloren, der nicht nur das Stadtfest organisierte. Er war ein Typ, der seinen Traum lebte. Ein Nachruf.

Von Katrin Saft
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"Das geilste Moped der Welt": Klaus-Dieter Lindeck beim Pressetermin für die Dresden Harley Days 2019 – nur fürs Foto ohne Helm. Hier auf einer schwarzen Harley Road King, die er sich nach seiner geliebten Softail zugelegt hatte.
"Das geilste Moped der Welt": Klaus-Dieter Lindeck beim Pressetermin für die Dresden Harley Days 2019 – nur fürs Foto ohne Helm. Hier auf einer schwarzen Harley Road King, die er sich nach seiner geliebten Softail zugelegt hatte. © Robert Michael/dpa

Dresden. "Na halloho, meine Liebe!" Küsschen rechts, Küsschen links! So kennen ihn viele: immer einnehmend gut drauf und immer ein bisschen großes Kino. Mit Klaus-Dieter Lindeck hat Dresden einen Menschen verloren, der seine Lebensaufgabe darin sah, für andere Unterhaltung und Freude zu organisieren. Dabei war er weit mehr als das Gesicht des Stadtfestes, wenn er nach Dresdens größter Party vor die Presse trat und Erfolg vermeldete: 550.000 Besucher, 1.000 Künstler, 15 Locations, neun Bühnen.

Welche Leistung hinter dem Titel Geschäftsführer der Stadtfest Dresden GmbH steckte, wussten nur wenige: ein Jahr lang planen, Sponsoren begeistern, damit das Fest eintrittsfrei bleibt. Mit einem Millionenbudget kalkulieren, Künstler und Händler buchen, Platz- und Sicherheitskonzepte erarbeiten, Befindlichkeiten austarieren – und halt das ganze Klein-Klein bewältigen vom Strom- bis zum letzten Wasseranschluss.

KDL, wie ihn Freunde nannten, sei nicht nur ein konstruktiver, kreativer Partner gewesen, sagt Stadtfest-Gesellschafter Rodney Aust. "Uns hat auch der Spaß an der Arbeit verbunden. Wenn 30.000 Menschen auf dem Theaterplatz stehen und mit offenem Mund die 3-D-Projektion an der Sempergalerie verfolgen, dann sind das schon sehr emotionale gemeinsame Momente – ohne große Worte."

"Er war ein Mann des Handschlags"

Der Grundstein für Lindecks kreative Ader wurde in der DDR gelegt, ist Unternehmer Wolle Förster überzeugt. Beide kannten sich aus alten Discozeiten. Klaus-Dieter Lindeck hatte nach seinem Werkzeugmacher-Beruf mit Abitur an der TU Betriebsprojektierung studiert. Doch schon damals folgte er seiner Frohnatur und holte sich 1973 die Zulassung als Diskjockey – von Wolle Förster als Vorsitzender der Einstufungskommission. "Seine KDL-Disko war eine der besten", sagt Förster, den mit Lindeck ein lebenslanges freundschaftliches Verhältnis verband.

"Früher sind die Diskotheken noch mobil mit all der Technik von Ort zu Ort gezogen. Im Gegensatz zu heute, wo die Leute nur zum Powertanzen kommen, mussten wir uns noch was einfallen lassen, um sie zu unterhalten: Spielerunden, Plüschtier-Verlosungen, Musikeinlagen." Förster war mit seiner Wolles Dynamic Disco unterwegs: "Wir mussten quasi aus Scheiße Geld machen, haben uns aber gegenseitig geholfen und auch mal Platten aus dem Westen ausgetauscht." Es sei eine wunderbare Zeit gewesen – an der Bar mit Pfeffi oder Mocca edel.

Auch Frank Schröder, heute neben Aust Gesellschafter der Stadtfest GmbH, hat Lindeck schon zu DDR-Zeiten im Jugendklub erlebt: "Er war ein außergewöhnlicher Stimmungsmacher."

Nach der Wende probierte sich KDL als Radiomacher aus – zuerst in Luxemburg, dann wieder in seiner Heimatstadt als Mitgründer von Radio Dresden. Nach vier Jahren wechselte er als Marketingchef ins WTC, holte Events und Aufmerksamkeit nach Dresden. Freischaffend tanzte Lindeck auf vielen Hochzeiten, ohne schon selbst verheiratet zu sein. Er engagierte sich im Presseclub Dresden, beim Landespresseball und im Unternehmerverband, organisierte die Sachsen Sail – eine mehrtägige Segelregatta, auf der sich Unternehmer vernetzen sollten – und baute sich über die Jahre selbst ein großes Netzwerk in Wirtschaft, Stadt- und Landespolitik auf.

Es war eine seiner Stärken, die so manchen Genehmigungsmarathon durch die Ämter abzukürzen vermochte. "Er konnte auf Menschen zugehen und sie zusammenbringen", sagt WTC-Geschäftsführer Jürgen Rees. Nicht nur er schätzte an KDL seine "absolute Zuverlässigkeit". Rees: "Wenn er etwas zugesagt hatte, konnte man sicher sein, dass es funktioniert." "Er war ein Mann des Handschlags", sagt Wolle Förster, "den man heute kaum noch findet."

"KDL ist Harley nicht nur gefahren, er hat sie gelebt"

Dabei ist sich KDL als Typ immer treu geblieben. "Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, dachte ich: Was ist denn das für einer?", erinnert sich Unternehmerin Viola Klein. "Ein Mann mit Schwänzchen!" Der geflochtene, 23 Zentimeter lange Zopf war Lindecks Markenzeichen, auch als sein Haar längst spärlicher wuchs. Klein, die mit Lindeck unter anderem für ihre Hope Gala zu tun hatte, beschreibt ihn als "souveränen, unglaublich gewinnenden Menschen, der sich Achtung erarbeitet hat". Nach ihrer ersten Hope Gala, deren Erlös HIV-infizierten Kindern in Südafrika zugute kam, habe er angerufen und gesagt: "Respekt, dass du dich an ein Thema traust, das in Dresden nicht leicht zu vermitteln ist."

Als Typ ließ sich KDL allerdings nie in eine Schublade stecken. Auf der einen Seite war er ein Genießer von gutem Essen und Whisky und auch ein stückweit Romantiker. Zur Hochzeit 2010 fuhr er seine Frau Kerstin im rosengeschmückten tiefroten Cadillac Cabrio vor und ließ 40 weiße Tauben in den Sommerhimmel steigen. Immer ein bisschen großes Kino eben. Auf der später mit ihr gemeinsam organisierten Walzernacht auf Schloss Albrechtsberg erschien er im Frack, um ihn kurz darauf gegen die Biker-Kluft einzutauschen – seine andere Seite.

"KDL ist Harley nicht nur gefahren, sondern er hat sie gelebt", sagt Gerd Göbelbecker, Veranstalter der Harley Days Dresden. Seine schwarze Softail Heritage war für ihn "das geilste Moped der Welt". Mehr als 110.000 Kilometer hat er damit zurückgelegt – von Dresden nach Mallorca, über Schotterpisten in Südafrika und mitten durch die russische Pampa, wo ihn Polizisten nicht abkassierten, sondern fragten: "Was wiegt die denn?" "340 Kilo." "Und wie lange putzt du an der?" "Eine Stunde plus x."

Zwar gab Lindeck rein optisch den harten Biker ab: Lederhose, Pilotenbrille, verchromte Stiefelspitzen und Kutte, wie die Weste mit dem gestickten Adler heißt, die ihn als Mitglied im Dresden Chapter Germany auswies. Doch tatsächlich saß ihm auch auf seiner Maschine der Schalk im Nacken. "Mit einem nachgerüsteten Megafon verblüffte er schon mal ein Hochzeitspaar, dem er beim Vorbeifahren Glück wünschte", sagt Harley-Freund Jürgen Rees. "Und wenn er damit das Chapter zum Starten rief, drückten alle folgsam den Zündknopf."

"Ein Schock"

Als Road Captain leitete Lindeck viele Touren, zeigte Besuchern der Harley Days das schöne Dresdner Umland. Legendär ist, wie er 2019 zur Eröffnung des Bikerfests Oberbürgermeister Dirk Hilbert im Anzug auf dem Rücksitz seiner Softail die Bühne hoch kutschierte. Oder wie er mit weißen Handschuhen die Bikerparade durch Dresden anführte, der an die 1.000 Harleys folgten. Harley bedeutete für KDL vor allem Freiheit. Insofern verwundert es nicht, dass er in Dresden eine Demo gegen die aus Lärmschutzgründen geplanten Fahrverbote organisierte. Und auch bei Charity-Fahrten zum Beispiel für den Sonnenstrahl e.V. war er stets ganz vorn mit dabei.

Dass einen lebensfrohen Menschen wie Klaus-Dieter Lindeck Probleme drücken könnten, hat kaum einer seiner Mitgefährten gemerkt. "Er war ein Mann, der seine Seele nicht auf den Lippen trug", sagt Wolle Förster. Das Stadtfest 2020 abgesagt, 2021 auf Oktober verschoben, das Eventgeschäft durch Corona gleich null. Noch schlimmer als die finanzielle Seite sei aber oft, was die Untätigkeit psychologisch mit Menschen mache, sagt Unternehmerin Viola Klein: "Ein Mann, der sein Leben lang organisiert hat und seit anderthalb Jahren nicht mehr organisieren kann."

Dass KDL am 19. Mai selbstbestimmt aus dem Leben geschieden ist, kommt für fast alle "völlig überraschend". "Ein Schock", sagt Wolle Förster. Er sei doch mit seinen 67 ein Mann wie das blühende Leben gewesen. Bei Viola Klein mischt sich in die Trauer auch Nachdenklichkeit: "Wie kann es sein, dass ein Mensch mit einem so großen Netzwerk bei diesem Netzwerk keine Hilfe gesucht und gefunden hat?"

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über das Thema Suizid, außer es erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800 1110111 und 0800 1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de.

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