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Dresdnerin: "Zwei Wochen vor dem MRT habe ich meine Beerdigung geplant"

Sarah Richter aus Dresden hatte Hautkrebs – gleich zweimal. Jetzt will sie anderen Betroffenen helfen.

Von Theresa Hellwig
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Sarah Richter aus Dresden hatte Hautkrebs – gleich zweimal. Am Donnerstag erzählt sie im Lingnerschloss von ihrem Schicksal.
Sarah Richter aus Dresden hatte Hautkrebs – gleich zweimal. Am Donnerstag erzählt sie im Lingnerschloss von ihrem Schicksal. © Marion Doering

Dresden. Wenn sie sich zurück erinnert, hätte sie damals vielleicht eine Sache anders gemacht, sagt Sarah Richter. "Ich hätte mich vielleicht mehr öffnen sollen, mehr mit meinen Freunden darüber reden sollen", sagt sie. "Aber ich wollte nicht zur Last fallen."

Sarah Richter hatte Krebs. Hautkrebs, um genau zu sein. Die Diagnose erhielt sie im Sommer 2015. 27 Jahre war sie damals alt. "Ich habe im Spiegel ein Muttermal auf meinem Rücken gesehen, das mir sehr dunkel vorkam", erinnert sie sich.

Wohl die meisten würden sich in einem solchen Moment schnell Klarheit wünschen, aber Sarah Richter musste warten. Sie rief bei mehreren Hautärzten an – erfolglos. Erst nach drei Monaten habe sie damals einen Termin bei einer Hautärztin bekommen. "Ich war damals gerade neu nach Dresden gezogen und deshalb noch in keiner Kartei", sagt die heute 35-Jährige. "Es hieß, es klappe nicht, weil ich nicht privat versichert sei – oder weil ich im falschen Stadtteil wohne", zählt sie auf. Erst, als sie über einen Allgemeinmediziner eine Akutüberweisung ausgestellt bekam, gelangte sie an einen Termin. Einen, den sie heute als "Volltreffer" bezeichnet.

Das Melanom hatte bereits Metastasen gebildet

Denn das Muttermal wurde ihr aus dem Rücken geschnitten – und entpuppte sich tatsächlich als Melanom. "Die Eindringtiefe des Melanoms zeigte, dass ein Nachschnitt nötig ist", erzählt die 35-Jährige. "Dabei geht es darum, sicherzustellen, dass auch wirklich alles raus ist." Eine Operation, die nicht mehr in der Hautarztpraxis durchgeführt werden konnte: Sarah Richter wurde an die Uniklinik verwiesen.

Auch der sogenannte Wächter-Lymphknoten musste ihr dort entnommen werden. Es ist der Lymphknoten, der am nächsten bei dem Tumor liegt. "In meinem Fall ging es um einen unter der Achsel", erklärt Sarah Richter. Das Ergebnis: Der Tumor hatte bereits metastasiert.

Es ist eine Zeit, die Sarah Richter viel abverlangt. Gerade war sie neu nach Dresden gezogen und hatte einen Job in einem Hotel in Dresden begonnen. Und doch: Wenn sie davon erzählt, wirkt sie gefasst. "Ich erinnere mich emotional kaum an die Zeit", sagt sie heute. "Ich habe das alles wie durch einen Film erlebt." Überhaupt habe sie damals keiner der Befunde überrascht, sagt sie. Sie habe viel gelesen – und ihr Bauchgefühl habe ihr bereits gesagt, dass es nicht gut aussehe.

Lesen gab ihr Sicherheit

"Die vielen Informationen, das viele Lesen hat mir geholfen", sagt sie. Manchmal seien sogar die Ärzte irritiert gewesen und hätten nachgefragt, ob sie alles verstehe, weil sie so gefasst wirkte und immer gleich wusste, was als nächstes passiere. "Mir hat das Wissen Sicherheit gegeben", erklärt sie. Und doch: "Ich habe damals im Internet die Überlebensprognose gelesen; da stand etwas von 26 bis 56 Prozent", erinnert sie sich. "Da bekommt man natürlich einen Herzkasper."

Sie erhielt eine Interferon-Therapie; dreimal die Woche bekam sie Spritzen, die sie mit Grippesymptomen nachts wach liegen ließen. "Ich war trotzdem auf der Arbeit, ich befand mich ja noch in der Probezeit", sagt sie. "Ich war immer gut darin, mich durch meinen Alltag abzulenken."

Als die Therapie abgesetzt wurde, ging es ihr eine Weile gut. Alle drei Monate bekam sie Checkups. 2018 stand noch ein Termin aus, dann sollte der Prüfabstand verringert werden. Und bei diesem Termin – nur wenige Tage vor ihrem 30. Geburtstag – erfuhr sie: Das Ganze ist noch nicht durchgestanden. Eine neue Metastase hatte sich gebildet.

Im Dezember ist Sarah Richter sechs Jahre krebsfrei

Erneut Operationen, erneut Medikamente. Dieses Mal: eine Studie einer neuen Immuntherapie. Und dieses Mal: gesundwerden, ohne nebenher zur Arbeit zu gehen. "Es hat mir viel Überwindung gekostet, das meiner Chefin zu sagen", erzählt sie. "Aber ich habe das gebraucht. Es ging mir schlecht, ich war fertig mit der Welt." Jedes Mal, wenn ein neuer MRT-Termin anstand, "habe ich zwei Wochen vor dem Termin meine Beerdigung geplant", sagt Sarah Richter. Und da war diese bleierne Müdigkeit, die Erschöpfung. "Wenn ich zehn Minuten Staub gesaugt habe, musste ich mich danach eine Stunde ausruhen", sagt sie.

Eine Ärztin habe ihr dann die Augen geöffnet – und erklärt, dass sich mit einer solchen Diagnose das ganze Leben neu ordne. "Da ist so viel, das man erst einmal verarbeiten muss", habe Sarah Richter erkannt. "Diese zweite Diagnose war für mich viel schlimmer als die erste." Auch das Stadium sei ein schlechteres gewesen als beim ersten Mal: IIIC, also drei C. "Danach kommt nur noch vier", erklärt sie. "Das macht etwas mit einem, wenn man das weiß."

In diesem Dezember gilt Sarah Richter als sechs Jahre krebsfrei. Die Nachsorge endet nach zehn Jahren. Ist sie damit geheilt? "Heilung", sagt sie, "ist ein schwieriges Wort." Aber sie habe schon viel geschafft.

Sie will über Falschinfos aus dem Netz aufklären

Viel geschafft – und in ein normaleres Leben zurückgefunden. Die Kontrolluntersuchungen werden seltener. Mittlerweile arbeitet sie wieder; in einem neuen Job, als Stiftungsassistentin bei der Stiftung Hochschulmedizin an der Uniklinik. Und sie hat eine Dresdner Ortsgruppe - eine Hautkrebs-Selbsthilfegruppe gegründet. "Die Überlebensprognosen, alternative Heilungsmethoden – im Internet steht so viel Falsches", sagt sie. In der Gruppe wolle sie darüber aufklären, einen Ort zum Austausch bieten und zum gemeinsamen Lachen. "Wir wollen auch manchmal einfach unbeschwert einen Kaffee trinken gehen".

Auch an einem Buch hat Sarah Richter mitgeschrieben. "0,8 mm – ist doch nur Hautkrebs?!", heißt es. 52 Melanom-Betroffene berichten darin von ihrem Schicksal, Sarah Richter ist eine davon. Am Donnerstagabend lesen sie und andere Betroffene im Lingnerschloss daraus vor. "Ich habe mich oft ziemlich alleine gefühlt, weil ich nicht geredet und vieles mit mir selbst ausgemacht habe", sagt sie. Das wolle sie jetzt ändern – und anderen nahelegen, es ebenfalls zu tun.

  • Lesung: "0,8 mm – ist doch nur Hautkrebs?!", 26.Oktober 2023, 19.30 Uhr, Festsaal Lingnerschloss, Eintritt frei.
  • Selbsthilfegruppe Yoko Dresden, jeden ersten Donnerstag im Monat, 18 bis 20 Uhr, Seminarraum des Seelsorgezentrums (Haus 50) am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden (Fetscherstraße 74, 01307 Dresden).