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Bis zu 36 Stunden auf dem Rennrad ab Dresden: "Ich rechne damit, dass etwa 65 Prozent durchkommen"

Seit 15 Jahren organisiert Sirko Kamusella die "Elbspitze". Die extrem harte Rennrad-Fernfahrt startet in Dresden und führt durch die Nacht in die Alpen. Was ihn antreibt und warum diese Fahrt besonders hart werden dürfte.

Von Dirk Hein
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Sirko Kamusella ist der Erfinder einer der härtesten Rennrad-Fernfahrten.
Sirko Kamusella ist der Erfinder einer der härtesten Rennrad-Fernfahrten. © Sven Ellger

Dresden. Für Sirko Kamusella war es eine kurze Nacht. 3.45 Uhr klingelte am Freitagmorgen der Wecker. Die nächsten 36 Stunden hat der 35-jährige promovierte Physiker seit Wochen und Monaten exakt durchgeplant. Jeder Halt ist eingetaktet: Einen Tag, eine Nacht und reichlich Stunden später will Kamusella mit möglichst vielen der 23 mit ihm gestarteten Radfahrer in den Alpen ankommen - obwohl die Vorzeichen dieses Jahr schlecht stehen.

Die Idee für die Elbspitze entstand im Krankenhaus

Am Anfang stand die Frage: Wie weit kann man mit dem Rad von Dresden aus an einem Tag fahren? Für extrem ambitionierte Hobbysportler sind laut Kamusella 600 Kilometer machbar. Erreichbar sind damit zum Beispiel die Edelweißspitze der Großglockner-Hochalpenstraße oder das Kitzbüheler Horn. "Wenn man will, kann man auch noch weiter fahren. 36 Stunden sind ungefähr das Maximum, was auf dem Rad, immer unterbrochen durch kleine Pausen, machbar ist."

Die großen und mythischen Berge der Alpen sind damit erreichbar und befahrbar. Für jeden, der sein Rad nur für gemütliche Sonntagstouren aus den Keller herausholt, undenkbar: Am Ende so einer Tour steht für Kamusella nicht etwa ein ruhiges Ausrollen, sondern ein Monsterberg. "Ich will erleben, wie es sich anfühlt, zum Schluss noch einmal einen Berg zu fahren, den man sonst eigentlich nur frisch hochfährt."

2008 machte sich der heute 35-Jährige erstmals auf diese Reise, allein und ohne Erfolg. Bereits nach 60 Kilometern Strecke fuhr ihn ein Autofahrer über den Haufen. Fünf Knochenbrüche, Schleudertrauma und Brustkorbprellung führten ins Krankenhaus. Kumpels haben ihn dort besucht. Gemeinsam ist die Idee entstanden: "Lass es uns zusammen und größer machen." Bereits im Klinikum stand dann auch der Name fest: Elbspitze, für Elbflorenz als den Startort der Tour und der Spitze eines Alpenpasses als Ziel. Das Radwrack vom Unfall steht übrigens noch immer in Kamusellas Zimmer.

Von der Frauenkirche auf den Gavia-Pass

Über die Jahre ist so eine legendäre Fernfahrt daraus geworden, hauptsächlich durch Mundpropaganda. Jedes Jahr starten zwischen 20 und 40 Athleten und Athletinnen. In diesem Jahr standen 24 Sportler, darunter eine Frau, um 5 Uhr am Morgen an der Frauenkirche. Mit dem Schlagen der Kirchturmglocken ging es los durch ein noch immer in hochsommerlicher Schwüle schlafendes Dresden.

Das Ziel in diesem Jahr: Der Umbrail- und der Gavia-Pass in den italienischen Alpen. Beide Pässe haben es in sich, weit über 2.500 Höhenmeter sind am Schluss dieser unglaublichen Tour nochmals zu bezwingen. Vor dem Finale der 777 Kilometer langen Strecke endet zudem die Gruppenfahrt der Elbspitze und ein Rennen beginnt. "Dann fährt jeder, so gut er kann. Wer Körner hat, verschießt sie im Kampf um Minuten und Bergpunkte, wer keine hat, haushaltet", sagt Kamusella.

Der Weg dahin wird in diesem Jahr hart. Ein Blick auf den Regenradar verrät es: Es drohen lange Fahrten durch Regen und Gewitter. Bis tief in die Nacht hinein wird die Gruppe wohl im Regen fahren. "Es wird eine Wetter-Elbspitze, ich rechne damit, dass etwa 65 Prozent durchkommen."

Generell dominieren für den Physiker Kamusella, der jede einzelne Elbspitze selbst mitgefahren ist, Zahlen. Auf der Strecke bis Altenberg fährt Kamusella an diesem Freitag vorne im Wind selbst mit Tempo. Während hinten im Feld, die Fahrer der Elbspitze werden auf den ersten etwa 50 Kilometern von radsportverrückten Fans und Freunden begleitet, bei Tempo weit über 30 die ersten Fahrer zurückfallen, schaut Kamusella auf die Leistungswerte am Radcomputer und die Marschtabelle und stellt fest: "Das Tempo ist sehr verschleppt. Wir haben einen Zeitplan und wollen am Samstag im Hotel unser Essen bekommen."

Für nahezu jeden im Feld ist die Elbspitze gerade deshalb der Höhepunkt - manchmal eines kompletten Rennfahrerlebens. "Wir haben Fahrer über 50 dabei, die kämpfen zwei, drei Jahre immer wieder um eine Zielankunft. Dann dabei zu sein, wenn die es schaffen, das sind Gänsehaut-Momente."

Die "schwarze Null" ist das Ziel

Organisiert ist die Elbspitze in festen Vereinsstrukturen. Wer mitfahren will, zahlte in diesem Jahr 550 Euro und erhielt dafür eine Vollverpflegung während der Tour, eine Übernachtung in den Alpen und die Rückfahrt. Sechs Autos mit zwölf Helfern an Bord sind permanent mit dabei. Darunter sind zwei "Küchenfahrzeuge" mit fünf Helfern, welche die Fahrer in den eng getakteten Pausen versorgen. Wer die Fernfahrt aufgeben muss, kann in eines der Autos einsteigen. "Während der Fahrt ist dort Chaos, es liegen große Säcke rum, in den Küchenteam-Autos sieht es aus. Es ist nicht viel Platz, aber es geht."

Sirko Kamusella organisiert die Fernfahrt Elbspitze aus seinem Arbeitszimmer heraus.
Sirko Kamusella organisiert die Fernfahrt Elbspitze aus seinem Arbeitszimmer heraus. © Sven Ellger

Nur mit Sponsoren kommt die Elbspitze so auf eine schwarze Null, 20 Teilnehmer sind dafür zu wenig, darüber rechnet sich die Fahrt. Über 40 Fahrer will Kamusella nicht dabei haben, zu unterschiedlich ist dann das Leistungsniveau, zu häufig muss gewartet werden.

Kamusella organisiert das alles aus seinem kleinen Arbeitszimmer heraus. Zusammen mit einem Kernteam beginnt jeweils ab Ende August die Vorbereitung für die nächste Elbspitze: Die Strecke wird geplant, das neue Trikot gestaltet. Seit Januar beschäftigt das den Familienvater jeden Abend etwa eine Stunde. "Dann schaue ich eben kein Fernsehen, das reicht mir aus, ich bin zufrieden."

Ein Ende ist für ihn nicht absehbar. "Es gibt noch viele Berge, die wir anfahren können. Es macht mir unglaublich Spaß, es sind die intensivsten Stunden des Jahres. Man setzt sich dem Wetter aus, rammelt über die Berge, ich will das nicht missen."