Politikwissenschaftler zum Dresdner Bürgermeisterstreit: "Beteiligte schaden sich selbst"

Dresden. Noch immer ist das Gezerre um die Wahl der Dresdner Beigeordneten in vollem Gang. Mittlerweile will Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) die Riege verkleinern. Eine Einigung mit dem Stadtrat ist aber nicht wirklich in Sicht. Der renommierte Dresdner Politik-Professor Hans Vorländer beobachtet das Geschehen und spricht im Interview mit Sächsische.de über den ausbleibenden Fortschritt, woran es fehlt, und wie eine Lösung gefunden werden könnte.
Herr Professor Vorländer, wie bewerten Sie die aktuelle Situation?
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man das Ganze als Groteske bezeichnen. Die Qualität für eine Serie bei Netflix hat es leider nicht, weil es an Fortschritt mangelt. Und spannend ist es auch nicht mehr.
Wie festgefahren ist die Lage?
Man hat auf jeden Fall den Eindruck, dass es eine festgefahrene Lage ist. Die sich auch nicht dadurch ändert, dass immer wieder neue Vorschläge kommen – egal von wem. Man sieht nicht wirklich den Weg zu einer Lösung, die ebenso unklar ist. Den Vorschlag zu machen, die Bürgermeister zu reduzieren, ohne die Formalitäten einzuhalten - wie die Änderung der Hauptsatzung – ist unüberlegt. Bürgermeister zu wählen und diese dann mit anderen Aufgaben zu betrauen, ist die schlechteste Variante. Sie wären nicht demokratisch legitimiert und es widerspricht auch dem Ansinnen, die Positionen mit Fachleuten zu besetzen.
Wie kann man das auflösen?
Im Prinzip braucht man in einer so verfahrenen Situation ein drastisches Mittel: Einsperren, bis weißer Rauch aufsteigt. Wie bei der Papstwahl das Konklave. Der Unterhaltungswert immer neuer Vorschläge hat sich jedenfalls erschöpft.
Es muss vor allem zwischen den Personen verhandelt werden, das gehört zum Handwerk. Das erwartet man und es gehört zur Politikfähigkeit, Prozesse zu einem guten Ende zu bringen. Hier braucht es die Zustimmung des Stadtrates und des Oberbürgermeisters. Es ist ein Zwang zur Einigung und diese muss jetzt auf den Tisch.
Mittlerweile schaden sich die Beteiligten alle selbst. Das Vertrauen in die Beteiligten lässt nach. Davon profitieren andere Gruppierungen wie AfD und Freie Wähler. Man möchte sich nicht ausmalen, wie die Stadtratswahl 2024 ausgeht. Man sieht ja bereits Zersetzungsprozesse in der CDU-Fraktion, und in der FDP ist man sich auch nicht einig. Politik ist immer Kampf, es geht um Interessen, Macht und Pfründe – aber irgendwann muss die Lösung auf den Tisch.
Agiert Oberbürgermeister Hilbert zu sehr in seinem Sinne, müsste er mehr moderieren und vermitteln?
Als moderierend und vermittelnd könnte der Oberbürgermeister seine Rolle verstehen. Dem steht im Wege, dass er selbst eine Machtposition begleitet und verhandelt. Deshalb wäre es denkbar, dass jemand außerhalb des unmittelbaren Umfelds vermittelt.
Was für eine Person könnte vermitteln?
Jemand, der vielleicht schon mal eine Position in Stadt oder im Land hatte. Vielleicht ein ehemaliger Oberbürgermeister, Landes- oder Bundespolitiker. Es braucht eine Person, die fair vermittelt. Ohne an eine konkrete Person zu denken. Aber das ist für alle Beteiligten nicht so einfach, weil sie damit zeigen, dass sie nicht von sich aus in der Lage sind, eine Lösung zu finden.
Wie bewerten Sie den Vorschlag, nur einen Bürgermeister zu wählen und alle anderen Stellen neu auszuschreiben?
Das ergibt jetzt keinen Sinn, weil wir erwarten, dass die Positionen jetzt insgesamt besetzt werden. Es beschädigt andere Personen, wenn man sagt, Frau Kaufmann ist so gut, die wollen wir alle haben. Dann hätten wir Bürgermeister erster und zweiter Güte. Außerdem verschiebt es das Problem nur.
Kann aus Ihrer Sicht ein Finanzbürgermeister gewählt werden, der dann aber Wirtschaft macht?
Aus Gründen der demokratischen Wahl, Transparenz und Legitimation habe ich da erhebliche Bauchschmerzen. Dazu sollte sich der Stadtrat auch nicht hergeben. Es kann immer eine Falle sein, wenn Personen zwar gewählt sind, aber zu einem anderen Zeitpunkt eine ganz neue Verteilung erfolgt. Es fördert nicht die Autorität für die Ausübung eines Amtes. Bürgermeister müssen verhandeln, durchsetzen, führen. Von Gnaden des Oberbürgermeisters hin und her geschoben zu werden, nützt weder den Bürgermeistern noch dem Oberbürgermeister.