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Der Dresdner Schillerplatz als autofreie Grünzone

Der Schillerplatz in Dresden ist ein Stau-Schwerpunkt und Zentrum verkehrspolitischer Debatten. Ein Künstler macht daraus eine Grünzone ohne Autos - zumindest digital.

Von Dirk Hein
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Keine Autos, dafür Räder, Blumen und viele Menschen: Der Dresdner Schillerplatz als grüne Utopie.
Keine Autos, dafür Räder, Blumen und viele Menschen: Der Dresdner Schillerplatz als grüne Utopie. © Jan Kamensky

Dresden. Der Schillerplatz, wie die Dresdner ihn kennen: Voller Autos, es wird gehupt, es stinkt nach Abgasen. Doch plötzlich fliegen die ersten Autos in die Luft. Während sich einige Ampeln und Verkehrsschilder lange dagegen wehren, von einer unsichtbaren Hand aus dem Asphalt gezupft zu werden, leert sich der Platz insgesamt doch schnell. Sind die Autos erst einmal weg, kommen Radfahrer und Fußgänger. Bäume und Beete wachsen von allen Seiten. Am Ende der 30 Sekunden dauernden Computer-Animation ist der Schillerplatz voller Blumen und Leben. Einzig die Straßenbahn darf bleiben.

Ein "digitaler Gärtner" gestaltet den Schillerplatz

Was wäre, wenn: Digitale Utopien sind zum Beruf und zur Berufung für Jan Kamensky geworden. Im ersten Lockdown der Corona-Pandemie musste der Grafiker in Kurzarbeit gehen. Die leeren Straßen im Lockdown haben ihn dabei geprägt. "Unsere Sehgewohnheiten sind so stark mit dem Auto verbunden. Wir verbinden Autos und Straßen. Das möchte ich aufbrechen."

Kamensky fing an, die bekanntesten Plätze der Welt zumindest virtuell von Autos zu befreien. Seine Videos zeigen die Berliner Karl-Marx-Allee. In der New-Yorker Innenstadt können selbst schwere SUV nicht am Boden bleiben, sie entschweben und machen Platz für grüne Gehwege und neue Bäume.

Mittlerweile sind zahlreiche Animationen an unterschiedlichen Orten weltweit entstanden. Darunter sind Städte wie Paris, Tokyo, Lissabon, New York, Kigali, Brüssel, Wien, Riga - und jetzt auch Dresden. Unter den Auftraggebern sind zum Beispiel Umweltorganisationen, Zeitungen, Ausstellungen und Städte.

Mit dem Klapprad durch Dresden

An einer Animation arbeitet der Hamburger Grafik-Künstler etwa eine Woche. "Zunächst muss der Ort fotografiert werden. Dafür bin ich nach Dresden gereist. Ich erinnere mich sehr gern an den schönen Ausflug! Mit meinem Klapprad bin ich entlang der Elbe in Richtung Blaues Wunder und Schillerplatz gefahren," sagt Kamensky. Wichtig sei dabei, den Ort kennenzulernen und ein Gespür dafür zu entwickeln, was sich vor Ort verändern könnte.

Das digitale Bild zerlegt der studierte Kommunikationsdesigner, der bereits als Art Director für den Fußballclub St. Pauli gearbeitet hat, in seine Einzelteile. Schilder, Autos, Bürgersteige und Poller werden freigestellt und retuschiert. "Nun ist die Straße befreit und eine Fläche für die Gestaltung der Utopie geschaffen – wie auf einem weißen Blatt Papier kann Farbe aufgetragen werden." Sobald die Gestaltung der Vision fertig ist, wird animiert, zum Schluss kommt der Ton zum Video.

Kamensky verbindet das mit einer klaren Botschaft. Er will zeigen, dass die Straße der Zukunft wieder zum Lebensraum für Menschen werden kann. "Heutzutage steht die Straße hauptsächlich, meist sogar ausschließlich, für Mobilität. Besser beschreibt es noch Transit. Der schnellste Weg von A nach B." Der Künstler will daran rütteln. Der einfachste Weg: Die Autos schweben, wie in seinen Videos, einfach fort.

Ausgerechnet der Schillerplatz

Kaum ein Platz in Dresden erscheint weniger geeignet für Verkehrsexperimente als der Schillerplatz. Allein von der Naumannstraße und der Tolkewitzer Straße aus strömen täglich etwa 10.000 Autos zum Schillerplatz, vom Blauen Wunder sind es über 15.000 Autos täglich. Über Jahre haben die Verkehrsplaner der Stadt auch daher die Finger vom Schillerplatz gelassen. Aktuell steht er jedoch im Zentrum gleich mehrerer erbittert geführter Diskussionen.

Sieht sich als "digitaler Gärtner": Jan Kamensky.
Sieht sich als "digitaler Gärtner": Jan Kamensky. © Selim Sudheimer
Dieses bereits bearbeitete Bild des Schillerplatzes bildete die Grundlage der "digitalen Utopie".
Dieses bereits bearbeitete Bild des Schillerplatzes bildete die Grundlage der "digitalen Utopie". © Jan Kamensky

Zum einen hat die Stadt auf der Tolkewitzer Straße eine Spur in Richtung Schillerplatz für Autos gesperrt. So sollen Straßenbahnen schneller vorankommen. Vom Körnerplatz kommend soll zudem in diesem Jahr ein neuer Radweg über das Blaue Wunder bis zum Schillerplatz führen. Dort würde eine Fahrspur wegfallen. Vor allem CDU, AfD, Freie Wähler und FDP sehen dies extrem kritisch.

Im Rat haben die Fraktionen dazu einen Teilsieg errungen. Der Wegfall der Spur auf der Tolkewitzer Straße wurde zum sechs Monate dauernden Verkehrsversuch abgestuft. Die Stadt muss im Anschluss über die Auswirkungen berichten. Zudem muss es im Vorfeld des Radwegbaus auf dem Blauen Wunder eine umfassende Verkehrsuntersuchung geben. Dabei soll die Frage geklärt werden, ob dort ein Radweg dauerhaft machbar ist.

Beauftragt von der Deutschen Umwelthilfe

Dass ausgerechnet der Dresdner Schillerplatz dennoch - zumindest digital - begrünt wurde, liegt an der Deutschen Umwelthilfe. Der bundesweit aktive Verein, der gern und viel gegen vermeintliche Umweltsünder klagt, war 2022 auf Jan Kamensky aufmerksam geworden. Zusammen mit dem Künstler hatte die Umwelthilfe einen Aufruf gestartet: Wo ist die Verkehrswende dringend nötig?

"Daraufhin haben wir einige Vorschläge erhalten und uns gemeinsam für den Schillerplatz in Dresden entschieden, da die Verwandlung hier besonders anschaulich ist", sagt Janina Wollensak von der Deutschen Umwelthilfe. Auch in Dresden gibt es demnach zahlreiche Möglichkeiten, die Verkehrswende voranzutreiben und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Möglichkeiten, die bisher nicht genutzt würden. Möglich seien "schnell realisierbare Pop-up Radwege auf Hauptstraßen, konsequentes Ahnden von Gehwegparken, eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung und mehr Tempo 30".

Realistisch ist der gezeigte Umbau des Schillerplatzes jedoch nicht. Selbst eine von der CDU geforderte neue Brücke in der Nähe des Blauen Wunders würde keinen verkehrsfreien Schillerplatz ermöglichen. Das weiß auch Jan Kamensky: "Die Bewusstseinserweiterung steht im Vordergrund, nicht so sehr die Realisierbarkeit."

Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.vimeo.com/jankamensky sowie www.visualutopias.com.