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Mathematik der coronafreien Konzerte

Der Dresdner Professor Ingo Röder begleitet das Festival der Band "Firebirds" mit einem Modellprojekt. So soll der Konzertbesuch sicher werden.

Von Nadja Laske
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Wie kann es mit den Besucherzahlen wieder aufwärts gehen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Professor Ingo Röder hinsichtlich der Sicherheit vor Ansteckungsgefahren auf Konzerten.
Wie kann es mit den Besucherzahlen wieder aufwärts gehen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Professor Ingo Röder hinsichtlich der Sicherheit vor Ansteckungsgefahren auf Konzerten. © Marion Doering

Dresden. Eintausend Besucher. Zweitausend. Dreitausend. Die zulässige Gästezahl auf Konzerten ändert sich ständig mit den aktuellen Infektionszahlen und Verordnungen. Mit Corona zu leben, darum bemühen sich zahlreiche Veranstalter, Gastronomen, App-Entwickler - und Mathematiker.

Ingo Röder ist solch ein Wissenschaftler. Der Professor für medizinische Statistik und Biometrie beschäftigt sich an der medizinischen Fakultät der TU Dresden normalerweise damit, die Effekte der therapeutischen Möglichkeiten bei hämatologischen Krebserkrankungen per mathematischer Modelle zu berechnen.

Neben seiner beruflichen Leidenschaft hat der 53-Jährige ein großes Herz für die Kultur und sieht die Wissenschaft in der Pflicht, ihr, wenn nötig, mit entsprechenden Mitteln zu Hilfe zu kommen. Dazu hat er nun Gelegenheit.

Bedrohung in Zahlen und Formeln fassen

Wenn am Wochenende die Firebirds in Trebsen (Landkreis Leipzig) zum Rock'n'Roll rufen, ist Ingo Röders Expertise gefragt. Zum ersten Mal nach lähmenden Coronamonaten veranstaltet die Leipziger Band nicht nur ein Konzert, sondern ein ganzes Festival. Auch in Dresden sind die Musiker gut bekannt - als Macher Mirco Meinels weihnachtlicher Dinnershow Mafia Mia und durch zahlreiche Konzerte.

Auf diese Weise lernte Professor Röder das Quintett kennen - als Gast dessen Auftritte beim alljährlichen Sommerfest des Universitätsklinikums. Über einige Ecken kam schließlich der Kontakt zu den Firebirds zustande, die während der Vorbereitung ihres Festivals auf der Suche nach wissenschaftlicher Begleitung waren.

Denn nur damit gab es eine Chance, die Veranstaltung mit bis zu 2.000 Besuchern pro Tag durchführen zu dürfen. Sie zu einem Modellprojekt zu machen, soll jedoch nicht allein das Wochenende sichern, sondern Aufschluss darüber geben, wie Konzerte künftig coronasicher über die Bühne gehen können.

Nach seinem Studium der Mathematik an der TU Dresden arbeitete Ingo Röder zunächst 15 Jahre lang an der Medizinischen Fakultät in Leipzig und kam 2010 nach Dresden zurück. Hier leitet er das Institut für Medizinische Informatik und Biometrie. Wie wichtig sein Fachgebiet für die Medizin ist, darüber hat er viel zu erzählen.

Besonders unter dem Eindruck der Pandemie ist es in der Öffentlichkeit präsenter denn je. Die Bedrohung in Zahlen, Formeln, Statistiken zu fassen und somit durchschaubarer und kontrollierbarer zu machen, ist zum allgegenwärtigen Streben geworden.

Risiken wissenschaftlich fundiert zu erfassen und abzuschätzen, das hat sich Ingo Röder in Bezug auf das bevorstehende Festival zur Aufgabe gemacht. Hundertprozentige Sicherheiten gibt es nie, immer muss man Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen, davon ist er überzeugt. "Doch wir gehen mit dem Ziel an den Start, möglichst keinen mit dem neuartigen Coronavirus Infizierten den Eingang zum Festivalgelände passieren zu lassen."

Qualität der Schnelltests entscheidend

Welche Schnelltests müssen wie oft und in welchem zeitlichen Abstand vor dem Konzert angewendet werden, um mit großer Wahrscheinlichkeit jede Infektion zu entdecken? Das war die entscheidende Frage. Für die Rechenmodelle ist neben den Güteeigenschaften der Tests auch der Anteil der aktuell infizierten Personen in der Bevölkerung relevant. Ingo Röder speiste seinen Rechner mit unterschiedlichen Zahlen zum Infektionsgeschehen, mit Informationen, die zur Sicherheit verschiedener Schnelltest-Fabrikate vorliegen, mit variierenden Zeiträumen, in denen die Coronatests durchgeführt werden, und mit der Anzahl der Tests pro Person.

"Auf diese Weise lässt sich errechnen, was man tun muss, um infizierte Festivalgäste möglichst sicher zu identifizieren." Die Quote der bereits geimpften Menschen ließ der Mathematiker nach Absprache mit den Veranstaltern außen vor. "Wir werden alle Besucher testen lassen, weil der Aufwand, dahingehend am Einlass Unterschiede zu machen, einfach zu groß wäre." Zudem biete ein Test von Geimpften nochmal größere Sicherheit. Denn auch diese Personen tragen ein kleineres Risiko der Infektion, erklärt er.

Um herauszufinden, welche Güte die einzelnen Schnelltest-Produkte haben, genügte dem Wissenschaftler der Blick auf die Herstellerangaben nicht. "Diese werden oft unter Laborbedingungen ermittelt und stellen das Optimum dar." Darauf wolle er sich nicht verlassen. Stattdessen befasste er sich mit Studien, die andere Fachleute bereits dazu erstellt haben, und die das Klinikum der Universität Heidelberg in umfangreicher Sammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

All diese Simulationen mit Zahlenvarianten erstellte Ingo Röder viele Tausend Mal. Daraus folgte die Entscheidung: "Wir testen jeden Besucher vor dem Einlass aufs Festgelände mit einem der qualitativ hochwertigsten Schnelltests. Wer ein Ticket für zwei oder drei Tage gekauft hat, absolviert den Test jeden Tag neu." Mit der Abwicklung der Tests haben die Firebirds das Deutsche Rote Kreuz beauftragt, das mit geschulten Mitarbeitern in einem abgeschirmten Zelt arbeiten wird.

"Weil es aber sein kann, dass selbst ein guter Schnelltest einen infizierten Konzertgast übersieht, reicht uns ein solcher Test allein nicht", erklärt der Professor. Deshalb müssen die Festivalbesucher bereits mit einem offiziellen, negativen Schnelltestergebnis am Einlass erscheinen, sodass sichergestellt ist, dass jeder Besucher mindestens zwei negative Testresultate vorweisen kann.

Auch das Problem falscher positiver Tests muss bedacht sein. "Wir rechnen mit etwa 50 Personen, die im Zuge des Festivals positiv getestet werden, obwohl sie gar nicht infiziert sind." Für sie bietet der Veranstalter in Zusammenarbeit mit dem Landkreis einen sogenannten Lamp-Test an. Er hat eine Sicherheit wie die bekannten PCR-Tests, kann vor Ort durchgeführt werden und liefert in rund 20 Minuten das Ergebnis.

Ist das Prozedere für Gäste akzeptabel?

All das klingt ebenso plausibel und notwendig wie anstrengend. Wollen Konzertbesucher überhaupt einen solchen Aufwand treiben, um eine Veranstaltung zu erleben? Und wie fühlen sie sich letztlich wirklich im Bad der Menge, wo nach all diesen Sicherheitsvorkehrungen niemand mehr auf Mindestabstände achten und Mundschutz tragen muss?

"Um das herauszufinden, gehört zur wissenschaftlichen Begleitung auch ein Fragebogen, den wir die Besucher vor und nach dem Festival anonym ausfüllen lassen", so Röder. Er stellt drei Fragen: Ist das alles für den Gast akzeptabel? Fühlt er sich während der Veranstaltung sicher? Ist er bereit, einen solchen Ablauf nur im Ausnahmefall oder regulär hinzunehmen?

Es bleibt ein Experiment. Ingo Röder hat viel Freizeit in das Modellprojekt gesteckt und dafür die volle Unterstützung der Leitung der Medizinischen Fakultät und des Uniklinikums Dresden sowie von Fachspezialisten bekommen. "Ich finde, das ist ein Beitrag der Wissenschaft für die Kultur. Auch das ist unsere Aufgabe."

Firebirds-Festival, 2. bis 4. Juli, Schloss Trebsen bei Leipzig. Tickets und weitere Informationen gibt es hier.