Zehn Jahre Waldschlößchenbrücke Dresden: "Ich habe de facto auf der Baustelle gewohnt"
Dresden. Von 1996 bis 2019 stand Reinhard Koettnitz an der Spitze des Straßenbauamtes. Ein Großprojekt hat ihn während der gesamten Zeit beschäftigt - die Waldschlößchenbrücke. 1996 fasst der Stadtrat den Beschluss für den Bau, der Ende 2007 beginnt. Von Koettnitz ist am Waldschlößchen Stehvermögen gefragt.
Kaum ist ein Problem gelöst, kommt das nächste. Zwar wird die Brücke 2013 übergeben. Doch 2016 erklärt das Bundesverwaltungsgericht die Baugenehmigung, den Planfeststellungsbeschluss, für ungültig. Die Stadt hat neu geprüft, wie umweltverträglich der Bau ist und welche weiteren Ausgleichsvorhaben nötig sind. Jetzt liegt das Verfahren zur Entscheidung bei der Landesdirektion.
Der Bau beginnt: vor Ort bei Baumfällung
Am 14. November 2007 hebt das Oberverwaltungsgericht Bautzen den Baustopp auf. Von der Brücke gehen keine Gefahren für die Kleine Hufeisennase aus, heißt es. Der Bau beginnt. Doch der Protest hält an. Am 8. Dezember sollen die Bäume auf der Waldschlößchenstraße gefällt werden.
Geplant ist, dort die Baugrube für den Tunnel auszuheben. "Ich dachte, dass es gut ist, wenn nicht nur die Bauleitung vor Ort ist", erzählt Koettnitz. "Also bin ich selbst hingefahren." Die Konsequenz: Im Stadtrat kommt die Anfrage, was der provozierende Auftritt des Amtsleiters dort sollte. "Dabei wollte ich doch nur der Presse Rede und Antwort stehen und falls nötig Entscheidungen treffen."
Die Zeltplatz-Räumung: Trommeln aus Protest
Protestiert wird zu dieser Zeit auch auf der Elbwiese am Waldschlößchen. Dort haben Brückengegner ihre Zelte auf der Baustelle aufgeschlagen. Das Ordnungsamt rückte an, geschützt von 40 Polizisten. Auch Koettnitz ist dabei. Den Campern wird eine Frist von zwei Stunden zur Räumung gesetzt. Als die verstrichen ist, wird ab 15.30 Uhr geräumt.
Genau dokumentiert wird, dass ein Kochtopf, eine Gitarre und vieles andere vom Ordnungsamt aus den Zelten gebracht und verladen wird. "Einer hatte sich vors Zelt gesetzt, eine Viertelstunde lang auf eine Trommel geschlagen und unablässig 'Protest, Protest' gerufen", berichtet Koettnitz.
Der Baustopp: Grüne Liga legt Veto ein
Zwar wird bis Ende 2009 kräftig gebaut. Am Altstädter Ufer sind am 22. Dezember bereits die Brückenbögen der 1.800 Tonnen schweren Stahlkonstruktion geschlossen worden. Doch der Zeitplan ist geplatzt. Aus der geplanten Übergabe am 1. Juni 2011 wird nichts, teilt Koettnitz bei einem Pressetermin Anfang 2010 mit. Im Strombereich gibt's einen Baustopp. Die Stadt will die Genehmigung fürs Abbaggern des geschützten Elbgrundes abwarten.
Zuvor hatte die Grüne Liga ihr Veto eingelegt. "Moniert wurde, dass die vier Hilfspfeiler nicht zulässig sind", erklärt Kottnitz. "Doch das Oberverwaltungsgericht hat Punkt für Punkt geprüft und den Weg frei gemacht." So dürfen die Hilfspfeiler stehen bleiben und der Elbgrund ausgebaggert werden.
Das Hilfsangebot: Solidarität aus Tschechien
Noch genau erinnert sich Koettnitz an einen Termin beim Regierungspräsidenten Henry Hasenpflug am 20. Januar 2010. Denn den hatte er verbrummt. Er soll dort vorm tschechischen Generalkonsul den Baustand der Brücke und die weiteren Pläne vorstellen. Als Koettnitz nicht auftaucht, kommt ein Anruf. "Ich bin am Amtssitz an der St. Petersburger Straße zum Auto gesprintet und hingefahren", berichtet er.
Beim Termin erlebt er unerwartete Solidarität. "Der Generalkonsul hatte mich zur Seite genommen und mir angeboten, ich könne mich jederzeit an ihn wenden, wenn er bei irgendwelchen Problemen helfen kann."
Die Biber-Affäre: Junger Biber sorgt für Aufsehen
Die Waldschlößchenbrücke hat im Mai 2010 einen Brückenbiber. Den entdeckt Koettnitz, als er mit Bauoberleiter Hans-Joachim Kummert Ende April auf der Baustelle am Neustädter Ufer unterwegs ist. "An einer Hilfsstütze hatte sich Treibgut vom Frühjahrshochwasser gesammelt", berichtet er.
Dann kommt ein Biber plötzlich angepaddelt. Bauoberleiter Kummert reißt seine Kamera hoch und hält das Tier im Bild fest. Nachdem die SZ berichtet hat und Heerscharen von Schaulustigen dorthin kommen, lässt sich der Jungbiber dort nie wieder sehen.
Die Elbe-Aktion: Hilfe aus Tschechien
Ende 2018 soll der stählerne Mittelteil mit den Brückenbögen in die Brückenmitte schwimmen. Doch dafür ist ein konstanter Wasserstand mittlerer Wasserstand über drei Tage hinweg nötig. "Deshalb waren wir zweimal bei der tschechischen Talsperrenverwaltung in Chomutov. Sie hatte uns schnell und konstruktiv unterstützt."
Vor allem aus den Moldau-Kaskaden wird vorher Wasser abgelassen, um genügend Stauraum zu haben, damit der konstante Elbpegel gesichert wird. Bei der Frage nach einem Vertrag winken die Tschechen ab. Es gebe doch ein Protokoll. "So eine gute Zusammenarbeit hätte ich mir mit manchen deutschen Behörden gewünscht."
Das Einschwimmen: Wahnsinnstage
Vom 17. bis 19. Dezember 2010 wird der Brückenbogen erst zur Elbe geschoben und schwimmt in die Lücke. "An diesen Tagen habe ich de facto auf der Baustelle gewohnt", sagt Koettnitz. Alles klappt ausgezeichnet. "Da haben alle Beteiligten hervorragend mitgezogen."
Die Übergabe: Bauleute werden ausgesperrt
Am 24. August 2013 wird die Brücke offiziell übergeben. Zum offiziellen Akt hatte Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) zwar viele eingeladen, jedoch nicht die Bauleute. Darüber schüttelt Koettnitz noch heute den Kopf. "Deshalb habe ich mich demonstrativ zu den Bauleuten gestellt und bin nicht zum offiziellen Akt in den VIP-Bereich gegangen", sagt Koettnitz.
An dem Wochenende kommen rund 190.000 Besucher zur neuen Brücke. "Ich hatte dabei viele Führungen gemacht." Mit einem ganz besonderen Auftritt wird er überrascht. Die vietnamesische Blumenprinzessin Thien Hoa Minh aus der Johannstadt singt augenzwinkernd das extra für ihn gedichtete Lied "Der Brückenbogen verbindet die Liebe". Darin heißt es: "Oh mein Koettnitz, Sie verbinden die Liebe mit Ihrer Tätigkeit, um mit der Liebe das Volk zu umhüllen."
"Am Sonntagabend bin ich dann nach Hause gegangen und habe mir gesagt: Jetzt trinke ich einen ordentlichen Wodka." Nachts rollen dann die ersten Autos über die Brücke. "Es ist schön, dass ich in meinem Berufsleben die Instandsetzung von allen Dresdner Elbebrücken erleben durfte oder sie auf den Weg gebracht habe", resümiert der 68-Jährige.
Mit 65 wurde Koettnitz pensioniert. Seit März 2020 leitet er die Professur für Gestaltung von Straßenverkehrsanlagen an der TU Dresden und hat viel Freude daran, den Studenten sein in langjähriger Praxis erworbenes Wissen weiterzugeben. "Mitte 2024 werde ich aber endgültig in den Ruhestand gehen", sagt er.