Dresden
Merken

Prager Straße: Der Dresdner Ost-West-Hybrid

Die Prager Straße ist das größte zusammenhängende Ensemble der Dresdner Ostmoderne. Doch vieles davon ist versteckt und überbaut.

Von Peter Ufer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
„Meilensteine der Dresdner Nachkriegsmoderne“: Prager Straße 1973 mit Blick vom Hauptbahnhof zum Interhotel Bastei, davor die Gaststätte "International" mit Wandbild "Dresden grüßt seine Gäste"
„Meilensteine der Dresdner Nachkriegsmoderne“: Prager Straße 1973 mit Blick vom Hauptbahnhof zum Interhotel Bastei, davor die Gaststätte "International" mit Wandbild "Dresden grüßt seine Gäste" © Foto: SZ/Werner Mohn

Mit einer 130 Meter langen Glasfassade beginnt die Prager Straße am Dresdner Hauptbahnhof. Wie eine Grenzmauer zur St. Petersburger Straße wurde Ende April 2006 ein sechsgeschossiges Geschäfts– und Bürogebäude mit dem Namen "Prager Spitze" fertiggestellt. Das Glashaus liegt wie ein überdimensioniertes Tortenstück samt abgerundetem Bug an der Einkaufsmeile.

Dahinter, Richtung Altmarkt, verbirgt sich etwas, das Architekturhistoriker als Modellfall, als Meisterwerk der Stadtbaukunst feiern. Ausdrücklich gewürdigt wurde das erst kürzlich in dem Band "Meilensteine der Dresdner Nachkriegsmoderne", herausgegeben von der Stiftung Sächsischer Architekten aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Kulturpalastes.

Blick in die heutige Prager Straße mit Blickrichtung Altmarktgalerie.
Blick in die heutige Prager Straße mit Blickrichtung Altmarktgalerie. © Christian Juppe

Die Erbauer der Prager Straße fuhren Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre alles auf, was bis dahin als "kosmopolitische Dekadenz" galt: Geradlinige Kuben, himmelan aufstrebend, rhythmisch gruppiert, mit Fassaden und weiten Glasflächen. Und vor allem erdachten sie ein städtebauliches Ensemble.

Nach der Zerstörung der Innenstadt während der Luftangriffen 1945 wurden die beschädigten Gebäude aus der Vorkriegszeit erst abgerissen und dann bei der Enttrümmerung das Gebiet komplett beräumt. Eine leere Fläche lag vorm Hauptbahnhof. Ab 1965 entstand eine neue, 60 Meter breite und 700 Meter lange Fußgängerzone, eine Stadtlandschaft aus Plattenbauten, die der Idee der offenen, hellen Zukunftsmetropole folgte.

Krippengruppe 1986 unterwegs auf Dresdens berühmtester Einkaufsstraße.
Krippengruppe 1986 unterwegs auf Dresdens berühmtester Einkaufsstraße. © Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Hö

Auf der Ost-Seite erhebt sich bis heute der 240 Meter langer Wohnriegel mit Geschäften. Eine Wohnmaschine aus 612 Zellen. Mit seinen zwölf Stockwerken gilt es als eines der längsten Wohnhäuser Deutschlands und war zum Zeitpunkt seiner Errichtung das größte in der DDR errichtete Wohngebäude. Es wurde von 1965 bis 1967 nach Entwürfen der Architekten Kurt Haller, Manfred Arlt und Karl-Heinz Schulze mit einer Loggienfassade und Sandsteingiebeln errichtet. Die Baumeister folgten einer Idee des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier, der schon in den 1920er-Jahren eine Wohneinheit zur massenhaften Unterbringung von Bürgern entwickelte, ein Vorläufer des serienmäßigen Plattenbaus.

"Hybrid aus Ost und West": Arbeiter 1968 beim Einschalen der Kelleraußenwand der Gaststätte Hotel "Newa".
"Hybrid aus Ost und West": Arbeiter 1968 beim Einschalen der Kelleraußenwand der Gaststätte Hotel "Newa". © Foto: SZ/Werner Mohn

Vom Keller der Zeile aus hat man Zugang zu einer Tiefgarage. So konnte die Warenlieferung bis zum Rundkino von unten stattfinden, eine städtebauliche Innovation, um den Verkehr oben zu reduzieren und die Fußgängerzone davon frei zu halten.

Gegenüber der "lange Platte" markierte das großformatige Wandbild "Dresden grüßt seine Gäste" am Restaurant "Bastei" den Beginn der Fußgängerzone. Durchgängige Pergolen vor den sich daran anschließenden Ladenpavillons und Hotels gaben der Anlage eine klare Struktur. Das Interhotel "Newa", das vor 50 Jahren am nördlichen Ende der Prager Straße eröffnete "Rundkino", das Restaurant "International" und das 1978 eröffnete Centrum-Warenhaus setzten Akzente.

"Kosmopolitische Dekadenz"? Blick vom Hotel "Newa" zur Prager Straße mit dem Centrum-Warenhaus und dem Altmarkt mit Stadt-Silhouette 1976.
"Kosmopolitische Dekadenz"? Blick vom Hotel "Newa" zur Prager Straße mit dem Centrum-Warenhaus und dem Altmarkt mit Stadt-Silhouette 1976. © Foto: SZ/Waltraut Kossack

Das ehemalige Restaurant "Bastei" ist allerdings seit 2004 völlig zugebaut und entstellt. Kein gefaltetes Dach mehr, keine eleganten Betonlamellen, sondern banale Verglasung und das Wandbild "Dresden, Stadt der Wissenschaft, Kunst und Kultur grüßt seine Gäste" von 1969 in einer Gasse kaum noch erkennbar.

Es entstanden damals zudem überall Springbrunnen. Die Puste-Blumen zierten den beliebtesten. Ein wässriges Blütenfeld aus Blech und Fontänen. 1969 hatte die Bildhauerin Leonie Wirth ihren floralen Brunnen entworfen. Zwischen den Pusteblumen hockten spritzende Pilze. Die Wasserkunst wurde beim Umbau der Prager Straße nach der Flut 2002 durch Langbecken ersetzt. Wer den großen Pusteblumenbrunnen sehen will, muss zum Albert-Wolf-Platz nach Prohlis fahren, dorthin wurde er versetzt.

In dem westlich gelegenen Nachbargrundstück klaffte nach 1995 über 20 Jahre lang eine Baugrube. Die nannten Dresdner wegen ihrer Nähe zum Wiener Platz "Wiener Loch". Davor entstanden der Straßentunnel und eine Tiefgarage. Nachdem die Stadt das Grundstück 2013 an einen Investor verkauft hatte, ließ dieser dort einen als "Prager Carrée" vermarkteten Gebäudekomplex mit Wohnungen und Geschäften errichten. Unweit des Geländes Gelände befanden sich nach der Kriegszerstörung zunächst eine freie Fläche und von 1974 bis 1992 ein sieben Meter hohes Lenin-Denkmal. Ungewöhnlich dabei, dass der russische Revolutionär nicht wie üblich als Einzelperson dargestellt wurde, sondern zwei Skulpturen an seine Seiten bekam, rechts eine mit den Gesichtszügen des Arbeiterführers Ernst Thälmanns, links eine mit dem Antlitz des SPD-Politikers Rudolf Breitscheid.

Als nicht einmal 30 Jahre nach der Eröffnung des Centrum-Warenhaus 2007 die Würfel zum Abriss gefallen waren und danach die Centrum-Galerie erbaut wurde fragte der renommierte Züricher Architekturhistoriker Sylvain Malfroy, ob es sinnvoll sei, Dresden mit "mittelmäßigen Anpassungsbauten" zu stopfen, anstatt auf ein paar hervorragende Bauten zu setzen. Die Prager Straße erhielt zwar ein neues Gesicht, wurde verdichtet und überbaut. Es entstand jedoch eine funktionale Einkaufs- und Fastfoodmeile mit ostalgischen Elementen, ein Hybrid aus Ost und West.

Der Artikel ist Teil einer neuen Serie von Sächsische.de. Unter dem Titel "Die Dresdner Ostmoderne" befassen wir uns bis zum 7. Oktober mit charakteristischen Plätzen und Gebäuden.

Tipp: Am 7. Oktober, ab 17 Uhr, lädt das Rundkino zum 50. Geburtstag ein. Gezeigt wird ein Film von Ernst Hirsch mit Architekt Gerhard Landgraf zum Aufbau Dresdens in den 1970er- und 80er-Jahren. Außerdem gibt es eine Diskussion zur Rettung der Dresdner Ostmoderne. Karten gibt es im Rundkino oder unter www.cineplex.de/dresden