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"Unfassbar, dass schon wieder Geflüchtete in einer Turnhalle leben müssen"

Dresdens Unterkünfte für Asylsuchende sind voll. Nun bringt die Stadt wieder Menschen aus Afghanistan und Libyen in einer Turnhalle unter. Daran gibt es massive Kritik.

Von Julia Vollmer
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Noch immer müssen einige Geflüchtete in Turnhallen in Dresden schlafen.
Noch immer müssen einige Geflüchtete in Turnhallen in Dresden schlafen. © Marion Doering (Symbolbild)

Dresden. Es gibt im Moment zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete in Dresden. Nun müssen schon wieder Menschen in Turnhallen untergebracht werden, nicht nur Familien aus der Ukraine, sondern unter anderem auch aus Afghanistan, Libyen und dem Irak.

"Wir sind in den Einrichtungen Spitz auf Knopf voll, denn es überlappen sich zwei Systeme - die Menschen aus der Ukraine und die anderen Geflüchteten", sagt Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) im SZ-Gespräch. Bereits im Juni hatte es heftige Kritik an der Unterbringung von Geflüchteten mit geringer Bleibeperspektive in der Halle der 30. Oberschule gegeben.

Dresden steht in diesem Jahr aber tatsächlich vor einer großen Herausforderung. Im ersten Halbjahr hat Dresden insgesamt 9.687 Geflüchtete aufgenommen. Darunter waren 9.215 Schutzsuchende aus der Ukraine, davon wurden 7.954 in Dresden aufenthaltsrechtlich registriert, 383 Asylsuchende aus verschiedenen Herkunftsländern und 89 afghanische Ortskräfte und Familienangehörige. Inzwischen hat Dresden einen Aufnahmestopp verhängt, die Kapazitäten sind erschöpft.

Wo sind die Asylsuchenden in Dresden untergebracht?

Die Sporthalle des Berufsschulzentrums Bau und Technik wird seit März als Notunterkunft genutzt. Bis 21. Juni beherbergte die Halle Geflüchtete aus der Ukraine. Nun muss die Stadt auf SZ-Anfrage einräumen, dass sie die Halle seit 23. Juni aber weiter für die Unterbringung nutzt, weil es Platzprobleme gibt. Im Moment schlafen dort 43 Geflüchtete, die Menschen kommen überwiegend aus Libyen, Tunesien, Georgien, Irak, Syrien, der Türkei und Afghanistan.

Ende Juli soll die Halle leergezogen werden. Die Menschen sollen dann auf andere Einrichtungen verteilt werden. Bleibt abzuwarten, wo dann Plätze frei sind. Denn die Suche ist sehr schwer. "Wir haben Probleme, Wohnungen zu finden. Denn es werden zwar Wohnungen für Geflüchtete aus der Ukraine angeboten, aber nicht für alle Menschen auf der Flucht", so Sozialbürgermeisterin Kaufmann. Die anderen Turnhallen sind schon wieder frei.

Wie reagieren Flüchtlingsinitiativen und Dresdner Politiker?

Flüchtlingsinitiativen und Stadträte sind sauer. "Es ist kaum zu fassen, dass schon wieder Geflüchtete in einer Turnhalle leben müssen. Enorme Lautstärke, fehlende Privatsphäre und keinerlei Schutzräume sind das Gegenteil einer geeigneten Unterbringung", betont Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat. Gerade, wenn erneut Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Libyen betroffen seien, die durch Kriegserfahrungen traumatisiert sein könnten.

"Wir nehmen die Bemühungen der Stadt wahr, alle Geflüchteten geeignet unterzubringen. Sie aber in Turnhallen einzuquartieren, muss schnell enden, denn dort fehlt vieles von dem, was etwa laut UN-Sozialpakt für eine menschenwürdige Unterbringung notwendig ist: Privatsphäre, Möglichkeiten zum Kochen, und die Menschen wissen auch nicht, wie lange sie dort bleiben", sagt Olga Sperling, Geschäftsführerin des Ausländerrates Dresden.

Auch SPD-Fraktionschefin Dana Frohwieser betont, "die Unterbringung von Geflüchteten ist eine Daueraufgabe von Kommunen und darauf muss die Stadtverwaltung entsprechend vorbereitet sein". So sieht das auch Grünen-Sozialpolitikerin Tina Siebeneicher: "Die Unterbringung in Turnhallen ist keine Lösung. Geflüchtete, egal woher sie kommen, brauchen ein Mindestmaß an Privatsphäre - alles andere ist zusätzlicher Stress."

Konnten Wohnungen für die Ukraine-Geflüchteten gefunden werden?

Ja, es geht voran, aber weiterhin langsam. Denn der Wohnungsmarkt ist leer. Aktuell bringt die Stadt 825 ukrainische Geflüchtete unter, davon 108 Menschen in der Messe Dresden. Doch die Messe wird bis Ende Juli leergezogen, also die Menschen woanders untergebracht. "Die ersten Umzüge laufen bereits. Die Menschen ziehen in Wohnungen, die wir als Stadt anmieten oder die Familien selbst", so Kaufmann.

316 Wohnungen hat die Stadt in den vergangenen Wochen neu angemietet für die Flüchtlinge aus der Ukraine. "Es war teilweise gar nicht so einfach, die Wohnungen auszustatten und zu möblieren. Es gab Lieferschwierigkeiten", berichtet die Sozialsozialbürgermeisterin. Auch die WID (Wohnen in Dresden) hat schon 26 Wohnungen an Ukrainerinnen und Ukrainer vermietet.

Schlafen immer noch Ukrainer bei Dresdnern auf der Couch?

Ja, noch immer und teilweise schon seit März. Noch immer schläft die große Mehrheit bei Dresdnern "auf der Couch". Auf die Frage, wie viele Menschen das genau betrifft, sagt die Stadt: "Das lässt sich nicht genau beziffern. Es dürften aber mehrere tausend Geflüchtete aus der Ukraine bei privaten Gastgeberinnen und Gastgebern in Dresden wohnen."

Wegen des sogenannten Rechtskreiswechsels vor sechs Wochen habe das Sozialamt keine genaue Übersicht mehr, heißt es auf Nachfrage. Das Jobcenter ist seit 1. Juni für die meisten Ukraine-Geflüchteten zuständig, das Sozialamt nur noch für die Alten und Kranken.

Dresdner, die Menschen bei sich zu Hause beherbergen, können die Gastfreundschaftspauschale beantragen, von fünf Euro pro Nacht pro Person. Die Auszahlung dieser geht voran, aber mit Verzögerungen, muss Kaufmann gegenüber der SZ einräumen. "Das Sozialamt hat 1.126 Anträge bearbeitet und bewilligt, das sind knapp 60 Prozent aller Fälle. Ich kann verstehen, dass die Leistungsberechtigten und ihre Gastgeber langsam ungeduldig werden", sagt sie. Sie hätte sich auch eine schnellere Auszahlung gewünscht. "Die Bearbeitung der Papierakten kostet Zeit. Viele Anträge sind unvollständig. Es fehlen etwa Angaben zum Einzug oder Auszug und die Unterschriften", betont Kaufmann.