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Tausende offene Wohngeld-Anträge in Dresden: "Die Haushalte sind massiv unter Spannung"

Dem Dresdner Rathaus gelingt es weiter nicht, den Berg an Wohngeld-Anträgen abzuarbeiten. Die Betroffenen warten monatelang auf ihr Geld, bei einigen wachsen die Schulden. Auch Kinder sind massiv betroffen.

Von Julia Vollmer
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Viele Dresdnerinnen und Dresdner warten monatelang auf ihr Wohngeld, bei der Bearbeitung der Anträge kommt es zu massivem Stau.
Viele Dresdnerinnen und Dresdner warten monatelang auf ihr Wohngeld, bei der Bearbeitung der Anträge kommt es zu massivem Stau. © Monika Skolimowska/dpa

Dresden. Mietschulden, Zwangsräumungen oder kein Geld für die Kita der Kinder. Tausende Dresdnerinnen und Dresdner kämpfen derzeit mit großen Problemen. Rund 600 Zwangsräumungen gab es in den vergangenen anderthalb Jahren in Dresden. Mietschulden sind meist der Grund. Auch eine Ursache: Viele Betroffene warten monatelang auf ihr Wohngeld. Seit der Wohngeldreform gibt es zwar mehr Wohngeldberechtigte in Dresden, doch die Stadt kommt mit der Bearbeitung nicht hinterher. Und das seit Monaten. Ebenso bei der Bearbeitung der Anträge auf Bildung und Teilhabe.

Wie viele offene Anträge auf Wohngeld gibt es in Dresden?

"Derzeit sind 6.156 Wohngeldanträge noch offen", muss die Stadt auf Anfrage von Sächsische.de einräumen. Offen bedeutet laut Stadt, dass noch kein Bescheid erteilt ist. "Unter den offenen Anträgen sind unbearbeitete Anträge, aber ebenso Erhöhungsanträge sowie begonnene Anträge, bei denen noch Unterlagen für die abschließende Bearbeitung fehlen." Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt aktuell bei vier Monaten.

Warum bekommt das Rathaus die Lage nicht in den Griff?

Seit Monaten ist die Lage für die Betroffenen äußerst angespannt. Doch sowohl die Zahl der Anträge ist ungebrochen hoch, als auch die Bearbeitungsdauer. Im Mai waren es rund 7.000 offene Anträge, wirklich abgebaut wurde dieser Berg also bisher nicht. Auch wenn immer wieder weitere Anträge dazukommen.

Stellt das Rathaus neue Mitarbeitende ein, um die Dauer zu verkürzen?

"Aktuell bearbeiten 86 Kolleginnen und Kollegen Wohngeldanträge. Zuletzt wurden im Juni und Juli 14 Mitarbeitende neu eingestellt und eingearbeitet", heißt es auf Anfrage. In den nächsten Wochen treten sechs weitere Beschäftigte ihren Dienst an.

Wie viele offene Anträge für Bildung und Teilhabe gibt es aktuell?

Neue Hefte, Sportsachen, Bildungsticket, Klassenfahrt. Das neue Schuljahr beginnt für die rund 60.000 Dresdner Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern mit vielen Ausgaben. Dazu kommen noch die steigenden Preise für das Mittagessen. Besonders für Familien mit geringem Einkommen stellt das eine riesige Belastung dar. Nicht nur für die von Schulanfängern. Für Nachhilfe und Freizeitaktivitäten, etwa im Sportverein oder in der Musikschule, bleibt dann oft kein Geld übrig.

Dafür gibt es das Bildungspaket. Die Bildungs- und Teilhabeleistungen sollen den über 15.000 berechtigten Dresdner Schülerinnen und Schülern eigentlich ein gleichberechtigtes Lernen und Mitmachen ermöglichen. Doch große Probleme im Rathaus gibt es nicht nur beim Wohngeld, sondern auch bei der Bearbeitung der Anträge auf Bildung und Teilhabe.

Hier gibt es im Rechtskreis Bundeskindergeldgesetz 6.166 offene Anträge, muss die Stadt zugeben. Obendrauf kommen noch Anträge nach Sozialgesetzbuch, Asylbewerberleistungsgesetz und Bürgergeld. Hier kann das Rathaus keine Zahlen nennen.

Auch wie hoch hier die Bearbeitungsdauer ist, kann die Stadt nicht sagen. "Die Bearbeitungszeit hängt insbesondere von der Sozialleistung ab, die zum Bezug der Bildungs- und Teilhabeleistungen berechtigt wie Wohngeld oder Kinderzuschlag." Außerdem verzögere sich die Bearbeitungszeit teilweise aufgrund angespannter Personalsituation.

Was bedeutet die Wartezeit für die Betroffenen?

Jens Heinrich, Leiter der Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Sonnenstein betont: "Die Wartezeiten auf Bewilligungsbescheide beim Wohngeld sind natürlich viel zu lang. Die betroffenen Haushalte sind massiv unter Spannung". Es entstünden unvermeidbare Verbindlichkeiten an anderen Stellen wie bei den Kitabeiträgen oder Essensgeldbeiträgen für Kinder. "Jede soziale Leistung hat ihren Sinn und ist meist dringend. Wartezeiten können eher selten von den Haushalten kompensiert werden", sagt er.

Insofern könne die Schuldnerberatung auch nur die Gläubiger vertrösten, bis die sozialen Leistungen fließen. Das hat Folgen für die Betroffenen. "Nachzahlungen sind dann nicht selten sehr hoch und übersteigen die Pfändungsschutzgrenzen auf den Konten", sagt er. Ein Teufelskreis.

Massive Probleme sieht auch Anja Urban von der ambulanten Betreuung in der Wohnungsnotfallhilfe der Radebeuler Sozialprojekte gGmbH, die auch mehrere Projekte in Dresden betreuen. "Die Klienten versuchen, den fehlenden Betrag durch ihre anderen Einkommen, wenn es welche gibt, auszugleichen und mit dem, was sie haben, zurechtzukommen. Sie müssen sich in vielen Lebensbereichen massiv einschränken, das gilt insbesondere für Familien, bei denen Anspruch auf Bildung und Teilhabe besteht."

Es werde sich erfahrungsgemäß auch oft Geld geliehen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Folge: Die Menschen kommen in eine Schuldenspirale, aus der es schwer wird wieder auszusteigen.

Die langen Bearbeitungszeiten beim Wohngeld seien "gerade bei vorliegenden Mietschulden und Räumungsverfahren für die Betroffenen nicht tragbar", sagt Anja Urban. Auch die digitale Umstellung mache die Bearbeitungsprozesse nicht schneller. "Die digitale Version ist unserer Ansicht nach auch für etwa alte Menschen oder psychisch Erkrankte zu hochschwellig und eher nicht geeignet." Sie beobachtet auch, dass die Wohngeldstelle zur schnellen Klärung schwierig telefonisch zu erreichen ist.

Thomas Slesazeck, Geschäftsführer der Diakonie Dresden, kennt die Sorge der Betroffenen beim Bildungspaket. "Wir nehmen wahr, dass erhöhte Wartezeiten für Betroffene natürlich eine größere Herausforderung darstellen." Der Wohngeldbescheid oder Kinderzuschlagsbescheid stelle die Grundlage für den Antrag auf Bildung und Teilhabe dar. "Die Leistungen werden in aller Regel auch rückwirkend bewilligt, bedeuten aber für Familien dann als 'Vorkasse' eine unter Umständen höhere finanzielle Schwierigkeit sowie den Aufwand von Rückbuchungen", sagt er.