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Mohammad erzählt an Dresdner Schulen von seiner Flucht aus Syrien

Mohammad kommt aus Syrien und hat die Anfänge des Bürgerkriegs miterlebt. Heute erzählt er an Dresdner Schulen die Geschichte seiner Flucht - und ist begeistert über die Reaktionen.

Von Fionn Klose
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Mohammad kennt die Schrecken des syrischen Bürgerkriegs. Über seine Erfahrungen berichtet er in Workshops des Vereins Zeugen der Flucht in Dresden.
Mohammad kennt die Schrecken des syrischen Bürgerkriegs. Über seine Erfahrungen berichtet er in Workshops des Vereins Zeugen der Flucht in Dresden. © Sven Ellger

Dresden. Mohammad kennt alle Schrecken des Krieges. Schüsse und Explosionen in der Nacht, Trümmerteile und Tote, die auf den Straßen liegen. Bomben, die von Flugzeugen auf Wohnviertel in Damaskus fallen. Auf einem Foto ist das Wohngebäude zu sehen, in dem er einmal lebte. 2018 wurde es bombardiert. Die Hausfassade ist nicht mehr zu erkennen, es gibt sie gar nicht mehr. Überall liegen Betonteile auf der Straße verstreut.

Der 31-Jährige wird in der syrischen Hauptstadt geboren und wächst dort auf. Nach der Schule studiert er. "Nach meinem Abschluss 2010 habe ich ungefähr anderthalb Jahre als Laborant gearbeitet", sagt Mohammad heute. Damals folgt der Arabische Frühling. Im ganzen Land wird für mehr Freiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie soziale und wirtschaftliche Perspektiven demonstriert. "Wir haben uns gefreut, weil wir endlich unsere Stimme laut auf die Straße bringen konnten, dass wir gegen das Unrecht demonstrieren konnten", erinnert sich Mohammad. "Danach ist es einfach eskaliert." Syrische Sicherheitskräfte fangen an, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen.

Zwölf Jahre später steht Mohammad vor der siebten Klasse des Gymnasiums Dresden-Cotta. Er engagiert sich im Verein Zeugen der Flucht Dresden, der Workshops zum Thema Flucht an Schulen organisiert und darin geflüchtete Menschen ihre Geschichte erzählen lässt. Mohammad ist einer von ihnen.

"Ich will niemanden töten, keine Waffen tragen"

Ende 2012 wird sein Viertel Yarmouk abgesperrt. Wer damals raus will, kann das nur mit Bestechungsgeld oder guten Kontakten. Mohammad sieht die unter dem Bürgerkrieg leidenden Menschen, er leidet selbst darunter: Blut auf den Straßen, Leichen an den Ecken, Verletzte, die um Hilfe rufen. Er muss den Menschen helfen. "Deswegen habe ich angefangen, in einer Hilfsorganisation zu arbeiten. Wir haben Schulen eröffnet und Krankenhäuser", erinnert er sich heute. "Durch meinen alten Job als Krankenpfleger hatte ich einen medizinischen Hintergrund." Den nutzt er und gibt Ersthelfer-Kurse, damit die Menschen für den Notfall vorbereitet sind.

Die Schrecken des Krieges machen auch vor seiner eigenen Familie nicht halt. Im Jahr 2013 ist sein damals zehnjähriger Bruder mit seinem Vater auf der Straße in seinem Viertel unterwegs. Eine Bombe explodiert, sein Bruder wird getötet, sein Vater schwer verletzt.

2015 soll Mohammad schließlich zur syrischen Armee. Er will aber nicht Teil des Konflikts sein, der auch für den Tod seines Bruders verantwortlich ist. "Ich wollte niemanden töten und keine Waffen tragen."

Mohammad entschließt sich, zu fliehen. An einem Tag, um vier Uhr in der Früh, steigt er in Damaskus in den Bus und fährt nach Nordsyrien. Von da läuft er zwei Tage in die Türkei. Weil er kein Geld hat, fängt er einen Job im Immobilienbüro eines Freundes an. Für elf Monate arbeitet er und spart, um seine weitere Flucht zu finanzieren.

Zehn Monate warten

Der nächste Weg führt ihn über die Ägäis. "Uns wurde gesagt, dass wir zu zwölft auf dem Boot sind." Nachts gegen zwei oder drei Uhr steht er am Strand im türkischen Bodrum. Er sieht 72 Menschen, die mit dem Boot nach Griechenland flüchten wollen. Mütter mit Babys, das jüngste ist drei Monate alt. Bei der Überfahrt kippt das Boot um. "Wir mussten eine halbe Stunde schwimmen und das Boot schieben. Es war neun Meter lang und geeignet für maximal zwölf bis 15 Personen", erinnert sich Mohammad.

Von Griechenland geht es zu Fuß weiter nach Deutschland. Wenn Autos an ihm vorbeifahren, fragt Mohammad, ob sie ihn mitnehmen können. Ende 2015 kommt er in Deutschland an. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird er registriert und danach im Flüchtlingsheim in Schneeberg untergebracht. Zehn Monate lang wartet er auf die Anerkennung seines Asylstatus. "In dieser Zeit konnte ich nichts machen. Ich musste warten."

Miteinander statt übereinander sprechen

Heute, Jahre später, will er mit seiner Geschichte über das Thema aufklären, sensibilisieren und Vorurteile abbauen. Die Schüler der siebten Klasse haben viele Fragen an ihn. Am Anfang trauen sie sich nicht so recht. Sie machen den Eindruck, als müssten sie erst mal verarbeiten, was Mohammad ihnen gerade erzählt hat. Dann aber kommt das Interesse durch. "Das begeistert mich immer, wenn Fragen kommen", sagt Mohammad.

Ihm ist die Arbeit bei "Zeugen der Flucht" wichtig. Den Verein gibt es seit 2019 in Dresden. Auch Amelie Klett und Lilly Rößler sind Vereinsmitglieder. Der gegenseitige Austausch ist ihnen wichtig, sie wollen mit Stereotypen und Mythen über geflüchtete Menschen aufräumen. Bevor die jedoch über ihre Erfahrungen berichten, gibt es immer einen kleinen Vortrag mit Daten und Zahlen rund ums Thema Flucht. "Die Schüler haben alle schon mal was von Flucht gehört", sagt Lilly Rößler. "Also zumindest im Alltag. Und wenn sie dann ihre konkreten Fragen stellen dürfen an jemanden mit Fluchterfahrung, ist das natürlich noch ein bisschen anders."

Man mache antirassistische Bildungsarbeit, sagt Klett. "Unser Punkt ist es einfach aufzuklären, Fakten aufzuzeigen. Und das tun wir nach unserem Motto miteinander, statt übereinander zu sprechen."

Zurück zu Mohammad: Nach langer Wartezeit im Flüchtlingsheim wird damals sein Status in Deutschland anerkannt. Innerhalb von zwei Jahren lernt er Deutsch. Seit Mai 2023 ist er deutscher Staatsbürger – und verwirklicht seinen Traum, Sozialarbeit zu studieren. Mittlerweile ist er im vierten Semester. "Als Sozialarbeiter habe ich immer Kontakt zu Menschen, was mir sehr gut gefällt", sagt er.