Dresden
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Kuscheln, Füttern, Bangen

Rund um die Uhr kümmert sich Nicole Brzoska im Zoo Dresden um den fünf Wochen alten Faultier-Nachwuchs, der zu Hause sogar mit zu ihr ins Bett darf.

Von Henry Berndt
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Die Kleine Lele kam am 11. September im Dresdner Zoo zur Welt.
Die Kleine Lele kam am 11. September im Dresdner Zoo zur Welt. © Zoo Dresden/Anke Wolten-Thom

Dresden. So ein Tagesprogramm von Baby-Faultieren ist recht übersichtlich. Im Wesentlichen beschränken sich die Aufgaben aufs Schlafen und Fressen. Auch an diesem Vormittag mag die kleine Lele nichts überstürzen. Das gerade mal 355 Gramm schwere Tier klammert sich mit geschlossenen Augen an seine Kuscheldecke und wartet darauf, dass Mama wiederkommt.

Mama, das ist für Lele allerdings nicht mehr Marlies, die das Jungtier am 11. September zur Welt brachte, sondern Tierpflegerin Nicole Brzoska. Sie hat sich im Dresdner Zoo des kleinen Fellknäuels angenommen. Da Marlies nach inzwischen sieben Schwangerschaften diesmal keinerlei Milch mehr geben konnte, standen die Verantwortlichen vor einer schweren Entscheidung. Sollten sie der Natur ihren Lauf lassen oder das Faultier mit der Hand aufziehen?

"So, meine kleine Maus": Pflegerin Nicole Brzoska hat Lele längst in ihr Herz geschlossen.
"So, meine kleine Maus": Pflegerin Nicole Brzoska hat Lele längst in ihr Herz geschlossen. © Zoo Dresden/Anke Wolten-Thom

Am Tag nach der Geburt entschied die Zooleitung gemeinsam mit den Pflegern, das kleine Faultier-Weibchen von der Mutter zu trennen, um ihm eine Überlebenschance zu geben. Eines der ungewöhnlicherweise als Zwillinge geborenen Jungtiere lebte zu dieser Zeit bereits nicht mehr. Der bislang letzte Nachwuchs von Marlies war im Frühjahr nach nur zehn Tagen gestorben.

"So eine Entscheidung ist auch deswegen nicht einfach, weil sich zunächst ein Pfleger zur Handaufzucht bereiterklären muss", betont der Zoologische Leiter Wolfgang Ludwig. "Das ist kein Spaziergang und alles andere als selbstverständlich."

Für Nicole Brzoska bedeutete das, dass sie seitdem 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche ein Baby ins Leben begleitet. "In der normalen Arbeitszeit könnte man den Bedürfnissen eines solchen Tiers gar nicht gerecht werden", sagt die 43-Jährige, die aus dem Saarland stammt und seit fünf Jahren im Dresdner Zoo angestellt ist. Erfahrungen mit Handaufzuchten hat sie bereits gesammelt. Unter anderem umsorgte sie in ihrer früheren Einrichtung schon ein Kapuzineräffchen und zwei Eichhörnchen.

Bis auf Weiteres bleibt das kleine Faultier hinter den Kulissen und nimmt mit seiner Kiste Vorlieb.
Bis auf Weiteres bleibt das kleine Faultier hinter den Kulissen und nimmt mit seiner Kiste Vorlieb. © SZ/Henry Berndt

Das kleine Faultier müsse nun nicht nur Tag und Nacht seine Milch bekommen, sondern habe auch ein großes Kuschelbedürfnis. Bei der Pflegerin zu Hause dürfe Lele sogar mit ins große Bett und schmiege sich am liebsten an ihren Hals.

Dabei sei das Faultierbaby noch vor wenigen Wochen dem Tod näher als dem Leben gewesen. "Die Kleine hatte einen wirklich schweren Start", sagt Nicole Brzoska. "Am Anfang habe ich um jeden Tropfen gekämpft, den sie trinken sollte. Sie hat kaum etwas runtergeschluckt." Bald habe sich der Zustand des Tieres dramatisch verschlechtert.

Lele sei immer schwächer geworden und man habe ihr Flüssigkeit unter die Haut spritzen müssen, damit sie nicht austrocknet. Sechs Tage bekam sie Antibiotika. Über zwei Wochen lang habe sie keinen Kot abgesetzt und sich am Ende kaum noch bewegt. "Ohne medizinische Hilfe wäre das Faultier nicht zu retten gewesen", bestätigt auch Wolfgang Ludwig.

Vater Atia lebt seit vier Jahren im Dresdner Zoo und zeigt sich eher selten den Besuchern.
Vater Atia lebt seit vier Jahren im Dresdner Zoo und zeigt sich eher selten den Besuchern. © Zoo Dresden/Anke Wolten-Thom

Als es Lele schlecht ging, litt auch ihre Pflegerin mit ihr und versuchte alles, sie aufzupäppeln. Inzwischen kann sie wieder lachen, denn Lele hat das Gröbste überstanden. Das Jungtier nimmt jetzt kontinuierlich zu. Pro Mahlzeit trinkt es rund sechs Milliliter Ziegenmilch und probiert auch schon das eine oder andere Stück Zucchini oder Möhre. Zwar liegt Lele noch immer auf dem Bauch, übt aber gemeinsam mit der Pflegerin schon fleißig das Festhalten in typischer Faultier-Haltung. "Das macht sie schon ganz gut", lobt Nicole Brzoska.

Die Zoobesucher werden Lele vorerst nicht zu Gesicht bekommen. Bis auf Weiteres bleibt sie in einem gefliesten Raum hinter den Kulissen, wo sie es sich in einer großen Plastikkiste auf einer Heizdecke gemütlich macht.

"Na, meine kleine Maus", sagt Nicole Brzoska und nimmt Lele vorsichtig auf die Hand. Sogleich streckt die interessiert den Kopf nach oben. Längst ist Lele auf den Geruch der Pflegerin geprägt und sucht sofort ihre Nähe. Wenn der Feierabend naht, wird Nicole das Tier wie gewohnt vorsichtig in ihrem Rucksack unterbringen und mit dem Fahrrad nach Hause radeln.

Leles Zukunft ist noch unklar

Am kommenden Wochenende wollen die Pfleger versuchen, Lele erstmals wieder zum Beschnuppern mit Mutter Marlies zusammenzubringen. Wie gut und schnell sich die Faultiere vertragen, ist entscheidend dafür, ab wann auch der Nachwuchs für die Besucher zu sehen sein wird.

Der rund 25 Jahre alte Publikumsliebling Marlies hangelt sich oft quer durch das Prof. Brandes-Haus, während Männchen Atia, der vor fünf Jahren aus Ústí nad Labem nach Dresden kam, eher weniger an sozialen Kontakten interessiert ist. Faultiere sind allerdings sowieso eher Einzelgänger. Wichtig ist nur, dass sie harmonieren, wenn sie sich doch mal begegnen. Jungtiere würden im Normalfall etwa elf Monate lang gesäugt. Danach werde auch ihnen klargemacht, dass sie nun ihre eigenen Wege gehen müssten.

Wann Lele den Dresdner Zoo verlassen muss und ob überhaupt, steht bislang noch nicht fest. Es sei durchaus denkbar, dass sie sich trotz des schwierigen Starts für die Zucht eignen könne, sagt Wolfgang Ludwig. Mit zwei bis drei Jahren werden Faultiere geschlechtsreif. Bis dahin kann noch viel passieren. Nur hoffentlich vorerst nichts Dramatisches mehr.