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Der Roboter-Flüsterer: Warum ein "Maschinentherapeut" in den Dresdner Stadtrat will

Kilian Költzsch arbeitet beim Start-up Wandelbots mit Robotern - und bezeichnet sich selbst als Maschinentherapeuten. Was er in der Dresdner Politik erreichen will.

Von Dirk Hein
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Kilian Költzsch arbeitet beim Dresdner Start-up Wandelbots mit Robotern.
Kilian Költzsch arbeitet beim Dresdner Start-up Wandelbots mit Robotern. © Matthias Rietschel

Dresden. Maschinen sind auch nur Menschen, sagt Kilian Költzsch schmunzelnd - und widmet sich wieder "seinen" Robotern, die bei dem Dresdner Robotik-Unternehmen Wandelbots fast alle Namen haben, zum Beispiel nach C3PO aus der Star-Wars-Saga oder nach Bender aus der Zeichentrickserie Futurama benannt sind.

"Man vermenschlicht sie fast unweigerlich"

Das Ziel der 2019 mit dem sächsischen Gründerpreis ausgezeichneten Firma ist es, "Robotik zu demokratisieren". Roboter zu schulen und einzusetzen soll so leicht werden, dass Bäcker, Fräser oder Tischler damit klarkommen – ganz ohne Programmierkenntnisse.

Seit anderthalb Jahren arbeitet der heute 31-jährige Kilian Költzsch bei Wandelbots als Software-Entwickler und tüftelt exakt an der Software, die es irgendwann normalen Anwendern ermöglichen soll, spielend leicht Arbeiten an Roboter zu vergeben. "Allein dadurch, dass wir unseren Robotern fast allen Namen geben, hat man irgendwann auch eine Bindung zu ihnen, man vermenschlicht sie fast unweigerlich zu einem gewissen Grad."

Einige Roboter hätten, wie Menschen, tatsächlich immer mal wieder Probleme. "Ich stehe dann schon manchmal vor dem Gerät, fühle mich rein und denke mir: Was hat er denn heute wieder, ist es was Tagesaktuelles oder woher kommt das Problem? Ich schaue nach, was der Maschine fehlt." Roboter seien eben mehr als reine Software. "Trägheit, Gravitation - die Physik - kommt mit ins Spiel, die wir in der reinen Software ein bisschen unter den Tisch fallen lassen können."

Den Begriff Maschinentherapeut hat Költzsch dabei von Marc Uwe Kling übernommen, der neben seinen Känguru-Chroniken auch zwei "Qualityland"-Romane geschrieben hat. Dort gibt es Drohnen, die unter Flugangst leiden, und es existieren Maschinenverschrotter und Maschinentherapeuten. "Diesen Begriff habe ich natürlich auch halb humorvoll und als Blickfang für den Stimmzettel gewählt, aber er ist nicht unpassend. Er trifft das, was ich mache, ganz gut", sagt Költzsch.

Als "Maschinentherapeut" auf dem Stimmzettel

Tatsächlich fehlen für die Berufsbezeichnungen auf Stimmzetteln für Wahlen gesetzliche Regeln. Angegeben werden sollte der momentan ausgeübte Beruf, Titel müssen korrekt bezeichnet sein. Laut Kommunalwahlordnung besteht keine gesetzliche Notwendigkeit zur Prüfung. Ein auf Roboter spezialisierter Software-Entwickler darf sich daher zurecht als Maschinentherapeut bezeichnen.

Kilian Költzsch, Maschinentherapeut, wird also bei der Kommunalwahl am 9. Juni im Wahlbezirk 8 (Prohlis, Strehlen) auf Listenplatz 1 bei den Dresdner Piraten stehen. "Vielleicht schaffe ich es so, die Leute aufmerksam zu machen, auf mich und noch viel wichtiger auf das Wahlprogramm der Piraten."

Seit er 15 Jahre alt war, ist Költzsch bei den Piraten. "Angezogen hat mich das Thema Netzpolitik, ich habe schnell gemerkt, dass die Piraten meine Partei sind." Nach mehreren Jahren ohne echte politische Ziele änderte sich das 2023 - durch einen Vortrag von Anne Herpertz zum Thema Versammlungsrecht auf der Datenspuren-Veranstaltung des Chaos Computer Clubs. Die Politikwissenschaftlerin war von Juni 2022 bis Dezember 2023 Bundesvorsitzende der Piratenpartei und ist das Aushängeschild der Dresdner Partei.

Kritik an der Digitalisierung im Rathaus

Jetzt steht Költzsch auf Platz 1 zur Kommunalwahl, tritt ebenfalls bei der Stadtbezirksbeiratswahl an, steht auf der Landesliste seiner Partei zur Landtagswahl und sagt: "Es ist großartig, dass eine Firma wie Wandelbots hier verankert ist und Dresden sich als technologischer Polarstern positionieren möchte. Auf der anderen Seite hinkt die Stadt beim Thema Digitalisierung arg hinterher, es gibt keinen maschinenlesbaren Haushalt, für fast alle Anliegen muss man vor Ort aufs Amt."

Mit spürbarer Begeisterung referiert er über die wichtigsten Themen im Wahlprogramm der Dresdner Piraten: Die Stadt soll "Sicherer Hafen" für Geflüchtete bleiben, die Partei fordert das Null-Euro-Ticket für Bus und Bahn, die Königsbrücker Straße soll im Bestand saniert werden.

Diese Dresdner Piraten wollen in den Stadtrat.
Diese Dresdner Piraten wollen in den Stadtrat. © Piraten Dresden

Tatsächlich sind die Dresdner Piraten der wohl aktivste Ortsverband bundesweit. Insgesamt werden 54 Personen auf den Listen der Partei zur Kommunalwahl kandidieren. Im Schnitt sind die Kandidierenden 31 Jahre alt. "Das gemeinsame Ziel ist eine eigene Fraktion, also mindestens vier Sitze im Stadtrat", sagt Wahlkampfkoordinator Tigo Stolzenberger. Möglich machen sollen das neben Anne Herpertz erneut auch Martin Schulte-Wissermann, der für die Partei in der Neustadt antritt.

So sind die Chancen für einen Einzug in den Rat

Dass ein Pirat in Prohlis und Strehlen genügend Stimmen einsammelt, um in den Rat einzuziehen, ist sehr unsicher. "Der Stadtrat wäre ein Traum. Wir wollen zeigen, dass wir viele sind, die Dresden repräsentieren wollen und können. Aber ich schätze meine Chancen realistisch ein. Es wäre großartig, wenn ich gewählt werde", sagt Költzsch und schaut auf den Industrieroboter, der für das Interview über seine Politikpläne als Fotomotiv ausgesucht wurde.

Mit dem Roboter können schwere Gegenstände auf Paletten geräumt werden. Auf die Frage nach dem Namen des Roboters kommt Kilian Költzsch kurz ins Stocken und schmunzelt erneut: "Der hat keinen Namen, das ist ein Industrieroboter, die sind da ein bisschen vernachlässigt. Der muss hier arbeiten und bekommt keinen Namen. Aber nein, das ist eigentlich ein bisschen gemein..." Vielleicht die nächste schnelle Aufgabe für den einzigen Maschinentherapeuten in Dresden.