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Fünf Gründe, warum der Verkehrsversuch Blaues Wunder überflüssig ist

Am Sonntag bekommt das Blaue Wunder in Dresden einen Radweg. Ein Meinungsbeitrag über die Pläne des Verkehrsbürgermeisters.

Von Katrin Saft
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Radfahrer sollen auf einem getrennten Radfahrstreifen auf dem Blauen Wunder in Dresden fahren. Am Sonntag werden die Markierungen aufgebracht. Überflüssig, findet Sächsische.de-Redakteurin Katrin Saft.
Radfahrer sollen auf einem getrennten Radfahrstreifen auf dem Blauen Wunder in Dresden fahren. Am Sonntag werden die Markierungen aufgebracht. Überflüssig, findet Sächsische.de-Redakteurin Katrin Saft. © Sven Ellger, Ronald Bonß

Dresden. Ich wohne in Loschwitz und fahre fast täglich über das Blaue Wunder – sowohl mit dem Auto als auch mit dem Rad. Mit dem Auto stehe ich häufig im Stau, mit dem Fahrrad fühle ich mich von Autofahrern bedrängt – und als Fußgänger von Radfahrern auf dem Gehweg. Der Platz auf der Brücke reicht einfach nicht aus, um alle heutigen Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen. Insofern hilft nur ein kluger Kompromiss. Doch der von Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn angekündigte "Verkehrsversuch" ist es meiner Meinung nach nicht. Und das hat mehrere Gründe.

"Es ist Radfahrern zuzumuten, sich vor dem Schillerplatz im übrigen Verkehr einzuordnen"

1. Im Mai ist auf dem Blauen Wunder bereits die dritte Autospur verschwunden. Zwar warten Autofahrer nun oft etwas länger. Doch Radfahrer haben dadurch deutlich an Sicherheit gewonnen. Autos und sogar Busse können jetzt mit ausreichend Abstand an ihnen vorbeirollen. Das ist gut so! Es fehlt nur noch ein weißer Strich, um Rad- und Autospur auf der Brücke klar zu trennen. Fertig wäre der Kompromiss, mit dem alle leben könnten. Doch Stephan Kühn will mehr. Ab Sonntag soll zusätzlich vor der Kreuzung Schillerplatz eine der drei Aufstellspuren wegfallen und in einen Radweg umgewandelt werden.

Das das bedeutet, dazu braucht es keinen Verkehrsversuch. Denn es ist regelmäßig zu erleben, wenn eine der Spuren gesperrt ist – durch einen Unfall oder Bauarbeiten. Ringsum herrscht Chaos. Der Verkehr von der Brücke kann nicht mehr abfließen. Der Rückstau verstopft die Kreuzung Körnerplatz und reicht bis weit auf die Pillnitzer Landstraße und Grundstraße. Das Argument, dass mit dem Versuch ja auch die Ampelschaltung am Schillerplatz angepasst werden soll, klingt erstmal gut. Doch wenn aus Richtung Brücke länger Grün ist, heißt das für andere Richtungen kürzer Grün. Und auch dort herrscht ja oft Stau, zumal aus Richtung Tolkewitz bereits eine Autospur weggefallen ist.

Ich finde, dass es Radfahrern an der Engstelle Schillerplatz durchaus zuzumuten ist, sich auf dem kurzen Stück vor der Kreuzung im übrigen Verkehr einzuordnen – ohne eigene Radspur. Zumal der hier geplante Radweg ein neues Sicherheitsrisiko schafft. Er soll von rechts in die Fahrbahnmitte schwenken und damit die Autospur kreuzen. Unfallgefahr! Für rechtsabbiegende Radfahrer mündet der Brückenradweg ohnehin in die Autospur.

2. Warum ein solcher Verkehrsversuch im Winterhalbjahr stattfindet, wo deutlich weniger Radler unterwegs sind, erschließt sich mir nicht. Und auch die Frage, wie der neue Radweg mit der Sanierung der Brücke zusammenpasst, blieb bisher unbeantwortet. Wahrscheinlich aus gutem Grund. Denn die einst dritte Autospur auf der Brücke, so hieß es zumindest im Mai, sollte nicht etwa für den Radweg, sondern für Baugerüste weg. Wohin damit, wenn dann doch endlich wieder gebaut wird? Auf den frisch gepinselten Radweg? Fest steht, dass auf der Brücke weitere Einschränkungen bis hin zu Vollsperrungen nötig sein werden. Da braucht es nicht noch zusätzlich Experimente. Schlimm genug, dass die Sanierung im Schneckentempo von zehn Jahren plus x erfolgen soll. Der Neubau war 1893 nach nur reichlich zwei Jahren fertig.

© SZ-Grafik

3. Wenn Stephan Kühn meint, dass sich die Verkehrsteilnehmer nach ein paar Tagen schon "an die geänderte Verkehrslage anpassen" werden, so offenbart er wenig Ortskenntnis. Denn für Tausende Menschen, die zwischen Loschwitz und Pillnitz entlang der Pillnitzer Landstraße leben, gibt es keine alternative Elbquerung. Sie können sich nicht mal eben – wie an anderen Staustellen – einen Schleichweg suchen, wenn die Autokolonne vor dem Blauen Wunder mal wieder bis nach Wachwitz reicht. Auf der einen Seite ist die Elbe, auf der anderen der Hang. Da nützt auch die gern zitierte Waldschlößchenbrücke nichts. Die Bautzner Straße als Alternative anzuführen, finde ich fast schon zynisch. Denn Herr Kühn hat mit der Bautzner gerade eine der letzten funktionierenden Ausfallstraßen der Stadt zur nächsten Staustrecke umgestaltet. Für irre breite Radwege schickt er den Autoverkehr jetzt über die Bahngleise – während alle Welt versucht, Auto und ÖPNV zu trennen.

Gegeneinander von Auto- und Radfahrern wird geschürt

4. Der Irrsinn setzt sich mit dem "Verkehrsversuch" am Blauen Wunder fort. Denn dieser trifft ausgerechnet auch das Verkehrsmittel, das als Alternative zum Auto beschleunigt werden soll: die Buslinien 61, 63 und 84. Wenn Busse, wie vorausgesagt, künftig bis zu zwölf Minuten länger brauchen, so ist noch nicht einberechnet, dass sie jetzt schon – vor allem morgens – viele wertvolle Minuten im Stau stehen.

5. Der "Verkehrsversuch" passt zu einer Politik, die das Gegeneinander von Auto- und Radfahrern schürt. Natürlich wünsche auch ich mir mehr Radwege. Aber bitte, Herr Kühn, fangen Sie aus Akzeptanzgründen doch dort an, wo das ohne größere Einschränkungen des Autoverkehrs funktioniert. Möglichkeiten gibt es genug. Den zwischen Schillerplatz und City viel zu schmalen Elberadweg zum Beispiel empfinde ich als gefährlicher als das Blaue Wunder. Radfahrer und Fußgänger gehören dort getrennt. Zwischen Wachwitz und Pillnitz gibt es immer noch keinen Elberadweg – und so weiter.

Der in Dresden heilige Natur- und Denkmalschutz verhindert leider, aus dem alten Bestandsdenken auch mal auszubrechen und mutige, zeitgemäße Lösungen anzubieten – wie es vor 130 Jahren übrigens auch der Stahlkoloss Blaues Wunder war. Erst 1935 wurden die seitlichen Gehwege nachträglich angebaut. Rein technisch wäre das fast 90 Jahre später sicher auch mit separaten Radwegen möglich gewesen. Wenn heute der Schutz der Brücke über den veränderten Bedürfnissen ihrer Nutzer steht, warum wird dann nicht längst an einer modernen Radbrücke nebenan geplant? Wo jeder weiß, dass Brückenplanungen in Dresden schnell mal 20 Jahre dauern können.

"Ja zum Radweg auf der Brücke, Nein zu Veränderungen am Schillerplatz"

Doch statt groß zu denken, regiert in Dresden die heimliche Hoffnung, dass Autofahrer schon irgendwann ihr Auto stehen lassen, wenn sie nur lange genug schikaniert werden. Dabei wird gern vergessen, dass nicht jeder gesundheitlich, beruflich oder auch nur aus Wettergründen aufs Rad umsteigen kann oder will. Mit der TU verfügt Dresden über verkehrsplanerischen Sachverstand. Ich wünsche mir, dass dieser mehr zum Tragen kommt – in Form von ideologiefreien Lösungen, die unterschiedlichen Verkehrsströmen zu verschiedenen Tageszeiten flexibel Rechnung tragen.

Fazit: Ja zum Radweg auf der Brücke, Nein zu Veränderungen vor und an der Kreuzung Schillerplatz. Zumindest eines muss man Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn lassen: Er ist lernfähig. Anders als bei den Pollern am Schillergarten versucht er diesmal nicht, sofort Tatsachen zu schaffen. Bleibt zu hoffen, dass er seinen Versuch schnell beendet, wenn sich dieser wie befürchtet als Staufalle herausstellt. Für immerhin täglich 22.600 Autos plus Busse.

Unsere Autorin: Katrin Saft lebt seit 1979 in Dresden. Sie hat viele Jahre über Stadtpolitik berichtet und leitet jetzt bei Sächsische.de das Ressort Leben.