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Ein Leben für den Striezelmarkt

Daniela Thieme hat schon als Kind dort mitgeholfen. Das nicht ganz normale Familienleben einer Händlerin.

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© Sven Ellger

Von Andreas Weller

Schnell mal in die Altmarkt Galerie springen, Geschenke kaufen, zurück zum Stand, Mitarbeiter freundlich anweisen – dazwischen klingelt andauernd das Handy. Während für die Besucher des Striezelmarktes eine heimelige Vorweihnachtsstimmung erzeugt werden soll, steht Daniela Thieme permanent unter Strom. Doch das kennt die 38-Jährige. „Es muss so sein, es muss ja alles geklärt werden.“

Sie ist eine der vielen Händlerinnen und Händler, die die 233 Hütten auf dem wohl berühmtesten Weihnachtsmarkt betreiben. Aktuell muss Thieme drei Stände auf dem Striezelmarkt und zwei an der Prager Straße im Blick haben. Zwei Imbisse gehören ihr, zwei ihrem Lebensgefährten und ein Pavillon mit Glühwein und anderen Heißgetränken ihrer Schwiegermutter. Doch die Schwiegermutter kümmert sich hauptsächlich um die Kinder. Der Junge wird im Januar elf, das Mädchen ist drei Jahre alt. 2014, kurz nachdem Mitte Oktober das Töchterchen zur Welt kam, musste Daniela Thieme den Spagat hinbekommen, ein Baby zu versorgen und die Hütten zu betreiben. „Wir haben dann entschieden, ein Hotelzimmer in der Nähe zu nehmen.“ Thieme organisierte die Stände und ging alle zwei Stunden zum Stillen zu ihrer Tochter ins Hotel. In der Zwischenzeit war ihre Schwiegermutter beim Baby.

„Bei meinem Sohn war es noch krasser“, erzählt die blonde Frau mit der schwarzen Mütze. „Ich habe ihn häufig nur morgens eine Stunde gesehen, ansonsten war er bei der Oma.“ Ähnlich ist auch Daniela Thieme aufgewachsen. Ein Leben zwischen Striezelbuden und Schulalltag. Als sie zehn Jahre alt war, hat Thieme zum ersten Mal auf dem Striezelmarkt mitgeholfen – nach dem Unterricht. Ihre Mutter verkauft dort bis heute Mützen, Schals und Handschuhe. „Ich habe schon damals immer von einem Imbiss geträumt.“

Heiligabend fällt aus

Nach einem Abstecher in die geschlossene Gastronomie – Daniela Thieme hat angefangen, Kellnerin zu lernen – war es schließlich so weit. Die Wilschdorferin stand zum ersten Mal mit einem Imbisswagen auf einem Rummel in Sonnewalde in Brandenburg. Damals war sie 19 Jahre, hat Nudeln und Baguettes verkauft. Nach und nach wurden es mehr Volksfeste, dann der Weihnachtsmarkt im Elbepark. Heute stehen ihre Imbisse auch auf Messen und Sportveranstaltungen. Kernstück ist seit einigen Jahren aber der Striezelmarkt. „Dafür haben wir lange gekämpft.“ Anfangs gab es häufig Absagen und damit Enttäuschungen. 2005 hat es dann geklappt.

Mit der Zusage musste die Familie kräftig investieren. Die Ansprüche der Stadtverwaltung für die Hütten auf dem Striezelmarkt sind deutlich höher als auf anderen Märkten. „Als wir die erste Hütte bauen wollten, erlitt Frank einen Bandscheibenvorfall.“ Der Lebensgefährte konnte Daniela Thieme nur mit Zeichnungen unterstützen. Die Frau baute mit einigen Helfern los: sägte mit einer Stahlsäge alles zurecht, bohrte, hämmerte und schraubte, bis der Pavillon, den ihre Schwiegermutter betreibt, fertig war. Vor einigen Jahren, als für den Markt ein neues Konzept erstellt wurde, musste erneut vieles umgebaut werden. Rund 60 000 bis 70 000 Euro kostet so eine Hütte, wenn man sie selber baut, sagt Thieme. Dabei wissen die Händler nie, ob sie im darauffolgenden Jahr weiterhin einen Standplatz erhalten. Dafür müssen sie sich jedes Jahr neu bewerben. Meist gibt es mehr Anmeldungen als Plätze, dann entscheidet die Verwaltung per Los. „Da bibbern wir jedes Jahr ganz schön.“ Denn der Striezelmarkt ist die wohl wichtigste Einnahmequelle für die Händler. „Obwohl der Markt an der Prager Straße auch gut läuft“, so Thieme. Dort haben sie und ihr Lebensgefährte zwei weitere Imbisse.

Dennoch ist sie am liebsten auf dem Striezelmarkt. Der ist mittlerweile eine Art Familientreffen. Zwei Stände betreibt das Paar, einen Thiemes Mutter, einen ihre Schwiegermutter und ihr Bruder das große Karussell. Auf die Frage, ob noch mehr Familienmitglieder auf dem Markt sind, lacht die Frau: „Das sind ja wohl genug.“ Ab und zu packt ihr Sohn nach der Schule mit an. So wie sie, als sie im selben Alter war.

Der Wecker klingelt um sechs Uhr, um 8 Uhr muss Thieme auf dem Striezelmarkt sein und vorbereiten. Nachdem um 21 Uhr der letzte Glühwein und der letzte Grünkohl für den Tag verkauft sind, wird aufgeräumt. Gegen 22.30 Uhr ist die Frau dann zu Hause, übernimmt die Kinder. Ihr Lebensgefährte ist noch mindestens bis Mitternacht im Lager. Daniela Thieme hat immer eine Liste dabei, auf der sie notiert, was noch zu tun ist. Heute stand auch das Einkaufen von Geschenken mit darauf. „Obwohl wir es entspannter angehen, seitdem unsere Tochter da ist.“ Also seit gut drei Jahren. „Heiligabend fällt bei uns aus.“ Das klingt hart, ist für die Familie aber besser zu organisieren. Denn Heiligabend hat der Striezelmarkt noch bis mittags geöffnet. Nach dem Aufräumen auf dem Altmarkt ist sie frühestens gegen 17 Uhr in ihrem Haus in Wilschdorf. „Dann geht es in die Badewanne. Abends gibt es Kartoffelsalat und Wiener, dann noch ein Glas Sekt.“ Für eine Bescherung wäre es zu spät.

Gleich weiter zur Messe

Die wird am 25. Dezember, also am ersten Weihnachtsfeiertag, nachgeholt. Ab 11 Uhr kommt die Familie, die zum großen Teil mehrere Wochen Striezelmarkt in den Knochen hat, zusammen. „Wir machen Brunch, unterhalten uns und haben klare Regeln: Es wird nicht über Geschäftliches gesprochen und die Handys bleiben mal aus.“ Nachmittags werden Geschenke ausgetauscht und alle versuchen, sich zu entspannen. Zwei Tage schaltet Thieme komplett ab. Am 27. Dezember geht es dann für sie aber doch wieder auf den Altmarkt. „Um 8 Uhr fangen wir an, abzubauen.“ Denn bis zum Sonnabend müssen alle Hütten weg sein. Dann ist Thieme bereits mit den Gedanken bei der nächsten Veranstaltung: Am 5. Januar beginnt die Reisemesse in Chemnitz, bei der sie – na klar – einen Imbiss betreibt. „Das macht auch Spaß, aber ein Leben ohne Weihnachtsmarkt kann ich mir nicht vorstellen.“