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Eine Frechheit, die so nicht stehen bleiben kann!

Mittelherwigsdorfs Bürgermeister reagiert ein seinem Gastbeitrag verärgert auf eine Studie, die im SZ-Text „Wie attraktiv ist der Landkreis?“ erklärt wurde.

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© SZ-Archiv

Markus Hallmann

Diesen Beitrag auf der Lokalseite der Sächsischen Zeitung vom Donnerstag musste ich dann doch zweimal lesen. Ein ganzer Landkreis unattraktiv, Sterbebegleitung für ausblutende Dörfer, keine falschen Hoffnungen für den ländlichen Raum? Eine Frechheit, die so nicht stehen bleiben kann!

Ein namhafter Professor des ebenso renommierten ifo-Institutes hatte der Oberlausitz ja bereits vor vier oder fünf Jahren attestiert, dass sie bestenfalls als Standort von Mülldeponien oder Schweinemastanlagen eine Zukunft haben wird. Besagte Studie blieb zum Glück damals nicht unbeantwortet und provozierte einen hoffnungsvoll stimmenden Aufschrei all derer, denen ihre Heimat eben nicht egal war. Gleiches kann ich mir jetzt nur wünschen, wurden doch durch die aktuelle Erhebung mal eben all jene mitten im Gesicht getroffen, die in ihrer Heimat Verantwortung übernommen haben, aus Überzeugung hier beruflich oder privat investieren, Vereine am Laufen halten, Angebote schaffen oder die sich einfach nicht vorstellen wollen, anderswo zu leben.

Im Ergebnis der Empirica-Studie hätte es im Landkreis lediglich die Stadt Görlitz aufgrund ihrer Entwicklung verdient, sämtliche Investitionen in öffentliche Einrichtungen, Medizin, Kultur, Einkaufsmöglichkeiten, Infrastruktur und letztlich auch Wohnraum auf sich zu vereinen. 200 000 Einwohner der „übrigen“ Orte im Landkreis würden sich früher oder später dieser Wanderung schon anpassen. Irre! Als Messlatte zur Bestimmung der Attraktivität dienen allein die bisherigen Wanderungssalden sowie die Einwohnerentwicklung der Städte und Gemeinden, die bis auf wenige Ausnahmen – welch neue Erkenntnis – nach wie vor leicht rückläufig ist.

Auch dass der Altersschnitt der Einwohner nach oben tendiert, ist nichts Neues. Die bisherige Entwicklung spricht für sich, die Statistiken lügen ebenfalls nicht, so viel ist klar. Was aber die Prognosen für künftige Jahre und Jahrzehnte angeht, wehre ich mich allerdings entschieden. Ich habe es satt, in den Abgesang auf meine Heimat einzustimmen und im vorauseilenden Gehorsam meinen Heimatort und meinen Landkreis schon mal vorsorglich abzuwickeln.

Man kann sich nur wünschen, dass sich die sächsische Regierung die Studie nicht als Leitfaden ihrer künftigen Politik zu eigen macht. Sonst drohen hässliche Szenarien. Wortwörtlich spricht die Studie von „palliativ-medizinischer Behandlung für ausblutende Gemeinden. Keine völlige Einstellung aller Leistungen der öffentlichen Hand, sondern eine so weit wie mögliche Reduzierung der Schmerzen bis zum Tod.“ (!) Konkret soll das heißen: „Nicht mehr die Fenster einer Dorfschule sanieren, sondern höhere Heizkosten in Kauf nehmen. Keine neue Bushaltestelle bauen, sondern Taxi-Gutscheine an die Bevölkerung verteilen. Dorfstraßen und Bürgersteige nicht teeren, sondern bei Bedarf nur noch schottern.“

Über den Sinn derartiger Studien kann ich nur spekulieren. Soll uns dadurch schon mal durch die Hintertür das künftige Handeln der sächsischen Politik nähergebracht werden? Soll die nächste große Runde im sächsischen „Zentralisierungswahn“ eingeläutet werden? Sind 3 600 Einwohner in Mittelherwigsdorf oder 200 000 Nicht-Görlitzer im Landkreis es nicht wert, vernünftige und zeitgemäße Lebensbedingungen vorzufinden? Volle Konzentration auf Dresden, Leipzig, Chemnitz und weitere wenige „Schwarmstädte“?

Bleibt zu hoffen, dass es dem ländlichen Raum im Allgemeinen und dem Landkreis Görlitz im Besonderen gelingt, passende Antworten zu finden. Die negativ besetzten Diskussionen der letzten Wochen über die Zukunftsprognosen für unsere Heimat – Haushaltskonsolidierung beim Landkreis, Massenentlassungen bei Bombardier, ungewisse Zukunft der Braunkohlesparte im Norden des Landkreises sowie drohende Reduzierungen im Bereich ÖPNV seien hier beispielhaft genannt – sollten wieder ein wenig mehr dem Optimismus weichen.

Sorgen wir gemeinsam dafür, dass besagte Studie das bleibt was sie ist – ein Thema für das Sommerloch 2016. Nicht mehr.

Der Autor: Markus Hallmann ist Bürgermeister von Mittelherwigsdorf und Kreisrat.