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Drei Gründe, warum das Ehegattensplitting frauenfeindlich ist

Die steuerliche Gesamtveranlagung von Verheirateten ist nicht mehr zeitgemäß. Drei Gründe, warum sie reformiert werden sollte. Ein Kommentar.

Von Katrin Saft
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Gemeinsames Leben, gemeinsame Steuer.
Gemeinsames Leben, gemeinsame Steuer. © dpa

Max Muster verdient als leitender Angestellter sehr gut. Seine Frau Maxi Muster kümmert sich rührend um die beiden Kinder. Nach ein paar Jahren müsste sie das nicht mehr in Vollzeit tun. Sie stellt aber fest, dass sich Arbeiten für sie nicht lohnt. Denn durch das Ehegattensplitting hat die Familie einen Steuervorteil von mehreren Tausend Euro im Jahr. Der würde nicht nur schmelzen, es kämen auch noch Kosten für Kinderbetreuung hinzu. Sie bleibt zu Hause.

Und irgendwann passiert der Klassiker in unserer Zeit, in der die Ehe nicht mehr in Stein gemeißelt ist: Ihr Mann lernt eine andere Frau kennen, die mit ihm auf Augenhöhe kommunizieren kann – und trennt sich. Maxi Muster hat sich beruflich nicht weiterentwickelt, hat nichts in die Rentenkasse eingezahlt und muss sehen, was im Scheidungskampf für sie übrig bleibt.

Das Beispiel ist fiktiv, aber gar nicht so selten – im Westen noch häufiger als im Osten. Denn das deutsche Steuerrecht fördert solche Biografien. Das Ehegattensplitting begünstigt nicht per se die Familie, wie CDU/CSU behaupten. Für den Steuervorteil ist es nämlich unerheblich, ob Kinder da sind oder nicht. Das Ehegattensplitting setzt finanzielle Anreize für die Alleinverdienerehe, und die ist immer noch vornehmlich männlich. Wenn SPD-Chef Lars Klingbeil nun die Abschaffung vorschlägt, so ist das keinesfalls neu, sondern überfällig – aus mehreren Gründen.

1. Grund: Das Ehegattensplitting ist veraltet

1. Das Ehegattensplitting ist für mich, die ich im Osten aufgewachsen bin, Ausdruck eines veralteten Gesellschafts- und Familienbildes. Es stammt von 1958 – einer Zeit, als in Westdeutschland noch die Hausfrauenehe galt. Danach war die Frau zur Haushaltsführung, der Gatte zum Unterhalt der Familie verpflichtet. Zwar wurde dieses Gesetz 1977 abgeschafft, doch das Prinzip, das fehlende oder geringere Zweiteinkommen durch eine steuerlich günstigere Gesamtveranlagung auszugleichen, blieb bestehen.

Während der Steuersatz bei Einzelveranlagung mit dem Einkommen steigt, wird beim Splitting so getan, als ob beide Partner je die Hälfte zum Einkommen beitragen. Das mindert die Progression. Am stärksten entlastet werden dadurch Ehen, in denen nur einer einen Spitzenverdienst erzielt.

Die Lebenswirklichkeit indes ist eine andere. Wir reden über Diversität und darüber, dass jeder Mensch gleichgestellt sein soll. Die Lebensformen sind bunt. 41 Prozent aller Haushalte bestehen nur aus einer Person. Das sind mehr als doppelt so viele wie zur Einführung des Splittings. Auch das Bild der Familie hat sich gewandelt. In Sachsen sind die Eltern in fast jeder zweiten Familie unverheiratet oder alleinerziehend. Die Scheidungsrate liegt bundesweit bei fast 40 Prozent.

2. Grund: Der Staat subventioniert nicht "DIE Normalverdiener"

2. Insofern empfinde ich das Ehegattensplitting als ungerecht gegenüber vielen heutigen Lebensformen, auch wenn es 2013 auf eingetragene Lebenspartnerschaften ausgedehnt wurde. Singles müssen den höchsten Steuersatz zahlen, obwohl sie sich die Kosten für Miete, Strom, Versicherung und Anschaffungen nicht teilen können. Ähnliches gilt für Alleinerziehende, die häufig von Armut bedroht sind. Unverheirateten Paaren bleibt selbst mit Kindern die gemeinsame steuerliche Veranlagung verwehrt.

Der Staat subventioniert mit dem Ehegattensplitting nicht DIE Familie, nicht „DIE Normalverdiener“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, auch nicht DIE Ehe, sondern nur eine ganz bestimmte Form des ehelichen Zusammenlebens, bei der gilt: Eine(r) ist der Hauptverdiener. Laut Bundesfinanzministerium beträgt der Steuervorteil für diese Gruppe etwa 25 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für unser aller Gesundheitssystem hat der Bund nächstes Jahr gerade mal 16,2 Milliarden Euro übrig.

3. Grund: Wer selbst mehr verdient, kann mehr am Leben teilhaben

3. Das Ehegattensplitting ist zudem frauenfeindlich. Es senkt den Nettolohn des Partners mit dem niedrigeren Einkommen – in der Regel leider immer noch die Frau. Denn diese muss den gleichen Steuersatz wie der Mehrverdiener zahlen. Damit, das belegen Studien, sinkt ihr Arbeitsanreiz. Zwar arbeiten inzwischen auch viele verheiratete Frauen, im Osten sowieso. Doch fast jede zweite Frau ist nur in Teilzeit beschäftigt. Ein Ende des Ehegattensplittings, da sind sich Experten einig, könnte zu Hunderttausenden zusätzlichen Vollzeitstellen führen, die dringend benötigt werden. Und es könnte die Gleichstellung der Frau befördern. Denn wer mehr selbst verdient, kann mehr am Leben teilhaben. Beruf und Familie waren noch nie so gut vereinbar wie heute, auch dank einer neuen, fürsorglichen Vätergeneration.

Fazit: Lars Klingbeil liegt mit seinem Vorstoß richtig. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt seinem Parteichef in den Rücken fällt, lässt sich nur so erklären, dass er nicht noch eine Krise mehr will. Denn das Steuerthema ist hoch emotional, weil es neben der ökonomischen auch gesellschaftspolitische und juristische Relevanz hat. Das Grundgesetz schützt die Ehe, mit der sich der Staat nicht zuletzt von Versorgungsansprüchen freihält. Das Ehegattensplitting einfach zu streichen, gilt als verfassungsmäßig problematisch. Aber es gibt kluge Reformvorschläge, wie Fehlanreize abgebaut werden können – durch eine Splittingobergrenze oder den Fokus auf Kinder. Die Ampel-Koalition hat versprochen, die Familienbesteuerung zu reformieren. Das bietet die Chance, auch gerechtere Splitting-Modelle zu prüfen. Damit am Ende allen Maxi Musters geholfen ist.