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Familienkompass

Raus aus dem Hamsterrad - dank Leihoma

Trotz Kita und Hort reicht Eltern die Zeit für Job und Verschnaufpausen oft nicht aus. Dann helfen Großeltern, Babysitter, Freunde - oder Leihoma Elke.

Von Nadja Laske
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Ein gutes Team: Seit sechs Jahren verbringt Aaron einen Nachmittag in der Woche mit seiner Leihomi Elke Hoffmann.
Ein gutes Team: Seit sechs Jahren verbringt Aaron einen Nachmittag in der Woche mit seiner Leihomi Elke Hoffmann. © Anja Schneider

Dresden. Kinder, Job, Haushalt - alles eine Frage der Organisation. Auch ohne Partner ist das Leben zwischen Buddelkasten und Bürostuhl zu schaffen. Aber in der Aufzählung fehlt etwas. Nämlich ein wichtiger Teil des Lebens, der dafür sorgt, dass Mütter und Väter ihr Alltagskarussell auf Dauer stemmen können: ein bisschen Zeit zum Luftholen und Krafttanken, sei es beim Sport, im Malkurs oder einfach nur mal allein auf der Couch.

Tina Wünsche hat es vermisst. Dieses Zeit-für-sich-Haben. Acht Jahre lebt sie nun mit ihrem Sohn Aaron allein. Von Anfang an ist sie alleinerziehend - und selbstständig als Hebamme. Das schlaucht, zumal das fordernde Naturell des Zweitklässlers seiner Mama ständig Action abverlangt.

Über das Alleinerziehenden Netzwerk Dresden erfuhr sie von einem Projekt, dank dessen sich Familien und Senioren zusammenfinden. "Leihoma" - gehört hatte das die heute 40-Jährige schon. Jetzt wurde sie neugierig und meldete Interesse an. Nicht lange, und eine geliehene Oma war bereit, sich Aaron als Enkel anzunehmen.

"Alleinerziehend im Schichtdienst würde nicht gehen"

"Am Rande meines Fitnesskurses erzählten die anderen Frauen immer von ihren Enkelkindern", erzählt Elke Hoffmann. "Aber ich hatte noch kein eigenes und dachte: Dann leihe ich mir eins!" Sechs Jahre lang ist sie nun schon für Aaron eine wunderbare Oma, die jede Woche einen Nachmittag mit ihm verbringt.

Für viele berufstätige Eltern reicht die Kinderbetreuungszeit in Kita und Hort nicht aus, um den Rücken frei für die Arbeit zu haben. "Ich bekomme das zwar hin", sagt Tina Wünsche, die Schwangere vor der Geburt ihrer Kinder und danach im Wochenbett betreut, beim Stillen berät und Geburtsvorbereitungskurse anbietet.

Für die freie Tätigkeit hat sie sich bewusst entschieden. "Als angestellte Hebamme in einer Klinik hätte ich Schichtdienst. Das würde gerade abends und nachts allein mit Kind gar nicht gehen." So aber kann sie sich ihre Zeit selbst einteilen und nachmittags ihren Sohn aus dem Hort abholen.

Wenn Leihoma Elke Aaron bei sich hat, nimmt sich Tina ein bisschen mehr Zeit für den Job, ohne auf die Uhr sehen zu müssen, erledigt Termine oder genießt es einfach nur, ganz für sich zu sein. Ihre eigenen Eltern sind noch berufstätig, doch auch sie, ihren Bruder und einen Babysitter braucht die Alleinerziehende gelegentlich für alle Herausforderungen, die sich, ohne "kindfrei" zu haben, nicht umsetzen ließen.

Hin und wieder die Seele baumeln lassen, spazieren gehen, Luft schnappen - das brauchen besonders alleinerziehende Mütter wie Tina Wünsche in ihrem Alltag mit Kind.
Hin und wieder die Seele baumeln lassen, spazieren gehen, Luft schnappen - das brauchen besonders alleinerziehende Mütter wie Tina Wünsche in ihrem Alltag mit Kind. © Marion Doering

Aber was müsste anders in unserer Gesellschaft ticken, damit das Hamsterrad kein Dauersport wird? "Ich will die Gesellschaft nicht verantwortlich für mein Mutter- und Familienglück machen", sagt Tina Wünsche. Aber aus ihrer Sicht würde es Eltern enorm helfen, wenn verkürzt zu arbeiten kein schwer erschwinglicher Luxus wäre. "Es gibt zu viele Mütter und Väter, die sich das einfach nicht leisten können." Familien zu stärken, indem Teilzeitanstellungen nicht auf finanzielle Einbußen hinausliefen, das fände Tina einen großen Fortschritt.

Ganz persönlich wünscht sie sich mehr Familie. Ein Wunsch, den nicht nur Eltern mit ihr teilen, sondern auch Großeltern. Weite räumliche Distanzen zwischen alter und junger Generation belasten das Familienleben.

"Die Chemie zum Kind und zur Familie muss stimmen"

Elke Hoffmann hat Glück. Inzwischen freut sich die 62-Jährige über ihre erste leibliche Enkeltochter, die auch in Dresden lebt und auf die sie regelmäßig aufpasst. Für ihre Leihenkel bleibt sie trotzdem da. Ihr allererster Leihenkelsohn ist nun schon 14 Jahre alt. Acht Jahre kennt sie ihn mittlerweile, hat ihn zum Fußballtraining und wieder nach Hause gebracht und Abendessen zubereitet, wenn seine Eltern lange arbeiten mussten.

"Es macht einfach Spaß und hält jung." Wenn die Chemie zum Kind und dessen Familie stimmt, sei es eine großartige Erfahrung, Leihoma zu sein. In ihrer Gartensparte ist Aaron bekannt wie ein bunter Hund, erzählt dessen Mutter Tina. Erst kürzlich durfte er mit Oma Elke und dem dazugehörigen Opa Laub wegräumen und ein Feuerchen machen. "Da war er prima beschäftigt."

Auch Tina Wünsche würde sich immer wieder für eine Leihoma entscheiden. "So bin ich nicht die einzige private und erwachsene Bezugsperson für meinen Sohn. Das tut uns beiden gut." Seele, Geist und Körper brauchen Verschnaufpausen und Kraft für neue Impulse. So kann es funktionieren.

Familienkompass Sachsen 2020 - Die Ergebnisse für Dresden:

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