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Entbindung per Kaiserschnitt: Zwei Mütter aus Chemnitz berichten über ihre Gründe

In Sachsen entbindet mehr als jede vierte Frau nicht auf natürlichem Weg. Oft gibt es dafür gute Gründe, wie zwei Mütter aus Chemnitz erzählen.

Von Sylvia Miskowiec
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Mit einem Schrei ins Leben.
Mit einem Schrei ins Leben. © 123rf

Das Gefühl war da. Wochenlang. „Er dreht sich nicht mehr.“ Die Chemnitzerin Yoko Bui Van war in der 20. Woche ihrer Schwangerschaft, da sah sie ihren Sohn im Ultraschall, wie er es sich in ihrem Bauch gemütlich machte – quer liegend. Der Arzt lachte. „Der hat noch viel Platz, der dreht sich“, sagte er.

Und in der Tat, der kleine Mensch wechselte ab und an seine Position. Aber niemals zeigte sein Kopf gen Geburtskanal, auch nicht zehn Wochen später, als deutlich weniger Platz im Bauch war. „Da saß er in Beckenendlage, also Steiß nach unten“, erinnert sich Yoko Bui Van. „Und ich wusste, das wird sich nicht mehr ändern.“

Laut Statistiken sind fünf Prozent der Babys sogenannte Sternengucker. Die große Mehrheit von ihnen – rund 85 Prozent – kommt per Kaiserschnitt zur Welt, die meisten davon im Voraus geplant. Auch für Yoko Bui Van stand fest: „Ich wollte einen Kaiserschnitt.“ Zu groß waren die Sorgen ums Wohl des Kindes, die Bedenken vor den eigenen Schmerzen und die Unsicherheit, ob alles gut geht.

Die Zahlen steigen

Immer mehr Frauen und selbst Mediziner scheinen solche Gedanken umzutreiben, denn deutschlandweit steigen die Sectio-Zahlen seit Jahren: Entbanden 1991 in Deutschland rund 15 Prozent der Frauen ihre Kinder per Kaiserschnitt, waren es 30 Jahre später bereits fast 31 Prozent. In Sachsen liegt der Anteil dieser Geburten mit etwas mehr als 26 Prozent am niedrigsten von allen Bundesländern.

2021 kamen rund 8.340 der insgesamt fast 32.000 sächsischen Babys durch Kaiserschnitt zur Welt. Nach aktuellen Abrechnungsdaten von Sachsens größter Krankenkasse hält dieser Trend an. So gebar im vergangenen Jahr etwa jede vierte Schwangere aus Sachsen, die bei der AOK Plus versichert ist, ihr Kind per Kaiserschnitt – insgesamt 4.895 Frauen.

Eine Sectio, so der Fachbegriff, mag zunächst komfortabel klingen. Ist der Beschluss gefasst, taktet die Geburtsklinik den Termin eine Woche vor dem ausgerechneten Geburtstag ein – Kaiserschnitte sind besser planbar als natürliche Geburten. Die Eingriffe verlaufen zudem schneller als stundenlange Wehen. Kaiserschnittkritiker werfen Kliniken daher vor, diesen Umstand auszunutzen, um auf mehr Geburten in kürzerer Zeit zu kommen und so mehr Geld einzunehmen. Denn nicht zuletzt vergüten Krankenkassen einen Kaiserschnitt dreimal so hoch wie eine natürliche Geburt.

Mut zur natürlichen Geburt

„Dieses Denken widerspricht unserer Einstellung total, wir ermutigen jede Frau zu einer natürlichen Geburt“, entgegnet Gunter Leichsenring den Kritikern. Leichsenring ist leitender Oberarzt der Geburtshilfe am Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein. Nach eigenen Angaben liegt die Kaiserschnittrate seines Hauses sogar noch leicht unter dem Sachsendurchschnitt – obwohl hier auch bis zu 1.200 Gramm leichte Frühchen zur Welt kommen, die in der Regel per Sectio geholt werden müssen.

„Medizinisch notwendig ist ein Kaiserschnitt nur in wenigen Fällen, etwa bei Erkrankungen und Beckenanomalien der Frau“, so der Gynäkologe, der seit 40 Jahren im Kreißsaal steht. „Wir greifen zudem ein, wenn das Kind zu schwach oder zu groß für eine natürliche Geburt ist oder wenn es Fehlbildungen hat.“ Auch wenn die Plazenta vor dem Muttermund liege, sei die Sectio die einzig sichere Wahl.

„So etwas wie eine Beckenendlage muss nicht zwangsläufig in einem Kaiserschnitt enden“, sagt Leichsenring. Zumal Hebammen vor der Geburt allerlei Tricks anwenden könnten, um den Nachwuchs doch noch in die richtige Position zu bringen. „Natürlich ist jeder Fall anders, aber generell haben Frauen eine ungeheure Kraft und können sich auf diese auch verlassen“, betont Leichsenring. „Dieses Grundvertrauen in den eigenen Körper wollen wir bei allen Frauen vor ihrer Entbindung stärken.“ Zudem sei die moderne Schmerzmedizin in der Lage, den Gebärenden viel Leid zu ersparen.

In drei Schichten zusammengenäht

Wenn Katharina Siedler das hört, wird sie ernst. Die 33-Jährige möchte ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen, auch aus Schutz für ihre drei Kinder. Zwei von ihnen hat sie auf natürliche Weise geboren. „Es war der reinste Horror“, sagt die Chemnitzerin. Schon die Geburt der ersten Tochter verlief kompliziert. Als sich vor sieben Jahren die zweite auf den Weg machte, wurde es noch ernster. Die Kleine lag verkehrt herum, die Geburt verlief sehr langsam. „Ich habe meine Tochter im Endeffekt nicht selbst geboren, sie wurde mir von drei Ärzten herausgedrückt“, erinnert sich Siedler. „Ich wurde danach lange genäht. Ich durfte nicht aufstehen, weil meine Wunde sonst wieder aufgegangen wäre.“ Es habe fünf Wochen gedauert, bis sie ihre Tochter selbst im Kinderwagen ausfahren konnte.

„Als ich mit meiner dritten Tochter schwanger wurde, war von Anfang an klar, dass wir das Glück nicht noch einmal herausfordern wollen“, sagt sie. Die werdende Mutter sprach mit ihrem Arzt, mit ihrer Hebamme. „Sie hatten Verständnis.“ Der nachfolgende Kaiserschnitt sei die allerschönste Geburt gewesen, „heilend“, wie Siedler es nennt. Auch wenn das körperliche Heilen nach dem Eingriff durchaus seine Zeit braucht. Denn eine Kleinigkeit ist der Kaiserschnitt bei Weitem nicht.

Geschnitten wird knapp oberhalb des Schambereichs, zehn bis 15 Zentimeter. „Wir durchtrennen Haut, Fett- und Bindegewebe, dehnen und trennen Muskeln“, sagt Mediziner Leichsenring. In drei Schichten werde danach alles wieder zusammengenäht. Mit etwas Glück sieht man von außen nach einiger Zeit nur eine feine Narbe. Mit weniger Glück kann es innere Verwachsungen geben, die Naht sich infizieren.

Wundschmerz statt Wehenschmerz

„Die Narbe habe ich ungefähr zehn Wochen lang deutlich gespürt“, sagt Yoko Bui Van. Genau wie Katharina Siedler hatte sie nach längeren Arztgesprächen Glück und konnte ihren Sternengucker per Kaiserschnitt entbinden. Statt Wehenschmerz folgte allerdings länger anhaltender Wundschmerz. „Am selben Tag stand ich komplett unter Schmerzmitteln und konnte mich durch die OP kaum bewegen, am nächsten nur unter großen Problemen ins Bad gehen.“ Das Baby hochheben, selbst wickeln? „Keine Chance. Das hat mein Partner anfangs komplett übernehmen müssen“, sagt die 36-Jährige.

Auch Wochen später war Yoko Bui Van noch nicht so mobil wie manche Mütter es sind, die auf natürlichem Weg entbunden haben. Dennoch ist sie froh über ihre Entscheidung. Ihr Gefühl habe ihr damals den richtigen Weg gewiesen, sagt sie. Ihr Sohn hätte sich im Bauch nicht drehen können. „Als er zur Welt kam, sahen die Ärzte, dass dafür die Nabelschnur zu kurz war – das hätte ihm eine Geburt schwer gemacht.“

Der Weg zum Kaiserschnitt

  • Am Anfang stehen Gespräche mit dem eigenen Frauenarzt und der Hebamme. Hier können Ängste und Sorgen, aber auch medizinische Umstände abgeklärt werden. Unter Umständen verlangen Geburtskliniken Nachweise, dass eine natürliche Geburt nicht empfehlenswert ist.
  • Mit der ausgesuchten Geburtsklinik wird ein Termin zur Sectio vereinbart. In der Regel wird der Kaiserschnitt eine Woche vor dem errechneten Termin durchgeführt.
  • Der Eingriff selbst verläuft in der Regel in Teilnarkose: Die Mutter bleibt wach, nur der untere Teil des Körpers ist betäubt. Das Baby wird ihr wie bei einer natürlichen Geburt meist direkt auf die Brust gelegt, um eine sofortige Bindung zu ermöglichen.
  • Die ersten fünf Tage bleiben Frauen in der Regel im Krankenhaus. Die weitere Nachsorge im Wochenbett, wie etwa die Narbenpflege, übernimmt die Hebamme.
  • Trotz Kaiserschnitt ist bei nachfolgenden Schwangerschaften eine natürliche Geburt möglich.