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Warum es gut ist, dass Geschwister sich zoffen

Gibt es Streit daheim, gilt: tief durchatmen und die Tür von außen zumachen. Andreas Rösch, Chef der diakonischen Familienberatung in Dresden, nennt dafür gute Gründe.

Von Susanne Plecher
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Blöde Kuh? Doofer Esel? Das war einmal. Solche vergleichsweise harmlosen Beleidigungen verwenden Kinder heute eher nicht mehr. Was da so gesagt wird, bringt Elternohren zum Schlackern.
Blöde Kuh? Doofer Esel? Das war einmal. Solche vergleichsweise harmlosen Beleidigungen verwenden Kinder heute eher nicht mehr. Was da so gesagt wird, bringt Elternohren zum Schlackern. © 123rf

In diesem Beitrag lesen Sie,

  • warum es zwischen Geschwistern immer wieder Streit gibt
  • warum sich Eltern nicht einmischen sollten
  • warum Streit unter Kindern gut für ihre Entwicklung ist
  • wie Eltern ihren Kindern helfen können, einen friedlichen Ausweg zu finden
  • wie Familien mit Schimpfwörtern umgehen
  • warum kleine Kinder nicht machtlos sind

Herr Rösch, warum zoffen sich Geschwister?

Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern gab es immer, wie die griechische Mythologie und die Bibel zeigen. Sie sind normal und begünstigen auch die Entwicklung. Aber sie sind sehr störend. Wir als Erwachsene mögen sie nicht, weil es laut und heftig wird und uns vermeintlich dazu zwingt, reagieren zu müssen.

Streitereien sind gut für die Entwicklung? Was ist positiv am Streit?

In der Auseinandersetzung mit anderen Kindern lernen sie viel von und übereinander. Sie lernen, sich zu verteidigen, eigene Standpunkte zu formulieren und auszufechten. Wenn man so will, geben sie einander Privatunterricht in dem, was es heißt, zu seiner Meinung zu stehen und dafür zu kämpfen. Sie machen sich deutlich: Das ist mein Turm. Wenn du den umschmeißt, gibt es Ärger mit mir und ich mache dir was kaputt. Dieses Aushandeln finden wir Erwachsene nicht immer toll und fair. Gleichwohl probieren Kinder miteinander aus, was geht und was nicht geht.

Wie viel Streit ist normal? Lässt sich das überhaupt sagen?

Das hat viel damit zu tun, was Kinder daheim selbst als normal erleben, also wie oft und wie offen sich Eltern streiten, wie dynamisch die Familie ist. Es hat auch etwas mit dem eigenen Wesen zu tun, wie oft und wie heftig man Konflikte austrägt.

Je geringer der Altersunterschied, desto mehr Streit

Gibt es Phasen im Lauf der Kindheit, in denen es vermehrt zu Streitereien zwischen Geschwistern kommt?

Ein großes Konfliktfeld ist es, wenn ein Geschwisterkind geboren wird. Dann wird das erste Kind vom Thron gestoßen, was einen sehr traumatischen Einschnitt bedeutet. Schließlich dringt ein anderer ein in seine Welt. Dann kommt es sehr darauf an, wie die Eltern reagieren und dem Kind helfen, den inneren Konflikt zu tragen. Kindergarten- und Grundschulalter sind generell die Phasen, in denen Beziehungen und Rollen in den Familien besonders heftig ausgefochten werden.

Gibt es auch in der Pubertät Zoff?

Das kommt darauf an. Generell lässt sich aber sagen: Je enger Geschwister altersmäßig beieinander sind, um so heftiger wird die Rivalität –- um die Aufmerksamkeit der Eltern oder um das Spielzeug, das beide gleichzeitig interessiert. Wenn die Geschwister dann auch noch das gleiche Geschlecht haben, schlägt das Pegel in Richtung Auseinandersetzung und Kämpfe besonders aus. Wenn Geschwister vier, fünf oder sechs Jahre auseinander sind, sind die Interessen so unterschiedlich, dass es kein so großes Konkurrenzverhalten gibt. Sie sind dann jeweils in einer anderen Entwicklungsphase.

Wie können Eltern ihrem großen Kind helfen, wenn ein Geschwisterkind dazu kommt?

Sie sollten es in die Vorbereitungen einbeziehen. Man kann auch ein Album mit ihm anschauen, als es selbst noch ein Baby war und ihm dadurch klarmachen, dass es selbst auch eine Zeit hatte, in der beide Eltern sich um es gekümmert haben. Wichtig ist auch, dass das große Kind mit helfen kann. Trotzdem muss auch dieses Kind eine besondere Aufmerksamkeit und eine eigene Zeit bekommen, denn es ist ja selbst noch klein. Das ist eine Herausforderung für die Eltern, erst recht, wenn drei oder vier Kinder in der Familie leben. Sie haben die Verpflichtung, sich die Aufgaben zu teilen und jedes Kind für sich zu sehen.

Das würden viele bestimmt gern so machen, aber schaffen es nicht immer.

Ja, das geht nicht zu jeder Zeit, sie ist begrenzt. Aber es ist gut, wenn jedes Kind mal eine spezielle Aufmerksamkeit bekommt. Ich nenne das "Edelsteinmomente".

Eltern sollen sich heraushalten, wo immer es geht

Dass einer dem anderen ein Bauwerk aus Holzsteinen zerstört, ist gemein, gehört aber zum Alltag in Kinderzimmern und Kindergärten.
Dass einer dem anderen ein Bauwerk aus Holzsteinen zerstört, ist gemein, gehört aber zum Alltag in Kinderzimmern und Kindergärten. ©  dpa (Symbolbild)

Was ist beim Zanken noch normal und wo müssen Eltern eingreifen?

Mit Sicherheit später, als sie es tun würden. Ich rate dazu, den Kindern eine Menge zuzumuten, damit sie aus einer Auseinandersetzung selbst eine Klärung hinbekommen. Ich sage den Eltern: Haltet euch raus, wo immer es geht. Traut euren Kindern eine Klärung zu. Eingreifen sollten sie erst, wenn es wirklich ernst zu werden droht. Das gilt übrigens schon von Beginn an, auch wenn das Kind ein Jahr alt ist.

Kindliches Verhandlungsgeschick und Aushandlungsprozesse zu befördern, ist die Aufgabe der Eltern. Kinder haben eine kreative Art, damit umzugehen. Natürlich braucht es eine Begleitung und einen Schutz, vielleicht auch für das vermeintlich schwächere Kind. Aber man glaube bitte nicht, dass ein dreijähriges Kind gegenüber einem Sechsjährigen keine Macht habe. Gerade die Kleinen wissen genau, wie sie die Eltern parteilich hinter sich bringen, und wie sie es hinbekommen, dass der Große Ärger bekommt.

Was raten Sie stattdessen?

Bloß nicht fragen: "Was war los?". Denn dann bekommt man zwei Geschichten präsentiert: eine vom großen Kind, eine vom Kleinen. Man wird nie herausbekommen, wann der Streit begonnen hat. Was man machen kann, ist behilflich zu sein.

Wie zum Beispiel?

Man kann sagen: Marlene, du bist traurig, weil dein Turm eingefallen ist. Max, du warst wütend auf deine Schwester, deshalb hast du ihn eingeworfen. Was könnt ihr denn jetzt tun, damit ihr weiter miteinander spielen könnt? Eltern sollten also Mut machen, dass die Kooperation und das Spiel weitergehen können. Im äußersten Fall, also wenn es am Frühstückstisch so heftig und laut wird, dass der Konflikt räumlich entzerrt werden muss, kann man ein Kind mal kurz ins Kinderzimmer schicken. Aber das sollte die Ausnahme sein.