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Sachsens Ex-"Tatort-Kommissar" als aufrechter Krimineller von Buchenwald

Schauspieler Bernd-Michael Lade möchte als Filmemacher über die NS-Zeit aufklären. Mit Maria Simon legt er jetzt ein Kriegsverbrecher-Prozessdrama vor.

Von Oliver Reinhard
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Jetzt im Kino: In „Der Zeuge“ spielt Bernd-Michael Lade den ehemaligen Buchenwald-Häftling Carl Schrade.
Jetzt im Kino: In „Der Zeuge“ spielt Bernd-Michael Lade den ehemaligen Buchenwald-Häftling Carl Schrade. © Foto: MM Filmpresse

Was hat der Krieg in der Ukraine mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun? Welche Lehren ziehen wir daraus – Waffen liefern oder nicht? Auch das fragten wir den Schauspieler, Filmregisseur und Musiker Bernd-Michael Lade (58): Er spielt im Historien-Gerichtsdrama "Der Zeuge" einen ehemaligen Kriminellen und KZ-Häftling, der gegen NS-Verbrecher aussagt.

Herr Lade, "Der Zeuge" ist bereits Ihre zweite Auseinandersetzung mit der NS-Zeit über einen Spielfilm, aber kein handlungsreiches Event, sondern ein Kammerspiel, verfilmtes Theater. Warum dieses anspruchsvolle Format?

Ich war immer schon geschichtsversessen, und wenn man das anhand von Filmen erzählen und die heutige Sicht mit hineinbringen kann, dann finde ich das faszinierend. Solche Dramen-Filme haben mich immer schon begeistert. Zum Beispiel "Das Urteil von Nürnberg" oder "Der schwarze Freitag". Aber auch den Theaterfilm "Dogville" von Lars von Trier finde ich großartig. Ich mag so was, damit rückt man die Sprache und das Spiel in den Vordergrund und schafft eine große Konzentration auf den eigentlichen Inhalt. Außerdem sind bei solchen Filmen die Produktionskosten sehr gering, und viel Geld hatte ich für "Der Zeuge" nicht. Alles, was ich auftreiben konnte, habe ich investiert. Jetzt bin ich erst mal pleite.

Lades Ex-Ehefrau und Ex-"Polizeiruf-Kommissarin" Maria Simon spielt eine Übersetzerin der US-Army.
Lades Ex-Ehefrau und Ex-"Polizeiruf-Kommissarin" Maria Simon spielt eine Übersetzerin der US-Army. © MM Filmpresse

Wie sind Sie auf Ihre Hauptfigur Carl Schrade gekommen, der ja als ehemaliger KZ-Insasse ein wichtiger Zeuge in einem Kriegsverbrecherprozess war?

Ich sollte eine Lesung machen für die Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" aus dem Buch "Elf Jahre" von Carl Schrade. Das ist der Bericht aus seinen Jahren in KZs, der hat mich einfach umgehauen. Da war für mich gleich eine Verbindung da zu dem Buch "Die Moorsoldaten" von Wolfgang Langhoff. Damit sind wir in der DDR ja aufgewachsen.

Es gibt viele Zeugnisse von KZ-Häftlingen, aber fast nur von jüdischen und politischen. Schrade hingegen war ein Krimineller. Hatte er es deshalb nach dem Krieg so schwer mit seinem Buch?

Ich glaube schon. Genau das hat mich interessiert. Dass er nicht primär ein sogenannter Systemfeind des Nationalsozialismus oder ein rassisch Verfolgter gewesen ist und von daher eine ganz andere Perspektive eingenommen hat. Er hatte für seine Haltung andere Gründe, und er hat in der Notgemeinschaft vielen geholfen und sie miteinander verbunden. Du musstest im KZ subversiv und gut im Heimlichtun sein, und das konnte Schrade als Krimineller natürlich schon. Er war ein Hehler, aber er hatte das Herz am richtigen Fleck und ein gutes Gefühl für das, was richtig war. Obwohl er ja ein Rechtsbrecher war.

Die Angeklagtenbank. Viele NS-Kriegsverbrecherprozesse wurden eilig improvisiert und fanden zum Beispiel in Gaststätten oder Turnhallen statt.
Die Angeklagtenbank. Viele NS-Kriegsverbrecherprozesse wurden eilig improvisiert und fanden zum Beispiel in Gaststätten oder Turnhallen statt. © MM Filmpresse

Waren die Vorbereitungen so umfangreich – oder warum hat es sieben Jahre bis zu diesem Film gedauert?

Ich hatte davor ja noch einen Film gemacht, der ist zwar abgedreht, aber noch nicht ganz fertig produziert. Das ist die Verfilmung von Harry Thürks Antikriegsroman "Die Stunde der toten Augen" aus den Fünfzigern in der DDR. Ein Soldatendrama vom Ende des Zweiten Weltkriegs, ich habe daraus ein Drama über ganz junge Soldaten gemacht, das Letzte Aufgebot. Das wurde auch in wenigen Tagen an einem Ort gedreht, auf einem Bauernhof. Ich finde, anhand solch konzentrierter Geschichten kann man die deutschen Verfehlungen am besten erzählen, eigentlich die menschlichen Verfehlungen überhaupt. Filmen gegen das Vergessen – das ist durchaus ein Anliegen für mich.

Was wollten Sie unbedingt vermitteln?

Zum Beispiel wie schnell viele KZs gleich nach der sogenannten Machtergreifung 1933 entstanden sind. Einige sind ja quasi aus dem Boden geschossen, indem man beispielsweise leer stehende Fabriken umzäunt und dann politische Gegner darin eingesperrt hat. Wie schnell und perfekt die Maschinerie funktionierte. Und wie schnell die Lager für die Volkswirtschaft genutzt wurden, indem man Menschen versklavt und zur Arbeit gezwungen hat. Und wie wenig Widerstand sich dagegen unter den Deutschen geregt hat. So hat ja das ganze Dritte Reich funktioniert, auch außerhalb der Lager. Insofern ist "Der Zeuge" auch ein kleiner Lehrfilm.

In Sachsen sind 1933 deutschlandweit die meisten frühen KZs entstanden.

Echt? Das wusste ich nicht. Dann war Sachsen darin wohl besonders effizient.

Ilse Koch (Lina Wendel) war die Witwe des Buchenwald-Leiters Karl Koch, der von der SS verhaftet, verurteilt und hingerichtet wurde.
Ilse Koch (Lina Wendel) war die Witwe des Buchenwald-Leiters Karl Koch, der von der SS verhaftet, verurteilt und hingerichtet wurde. © MM Filmpresse

Der Prozess mit Schrade als Belastungszeuge ist historische Tatsache, seine Aussagen sind es auch. Wie viel Fiktion haben Sie hinzugefügt und warum?

Zum Beispiel den Erzählstrang mit den Moorsoldaten. Aber auch die Anwesenheit von Ilse Koch als Mitangeklagte, der Frau des berüchtigten Buchenwald-Kommandanten Karl Koch. Für mich ist so ein Film eine Novelle, wo Fakten und Fiktion ineinanderfließen, wo man außergewöhnliche Geschichten zusammenfügen darf, wenn sie zusammenpassen.

Was auch vergessen oder unbekannt ist: Solche improvisierten Prozesse in irgendwelchen Gebäuden, wie Sie es zeigen, hat es wirklich gegeben. Was ist der Hintergrund?

Zeitdruck. Da wurde oft nur irgendein Raum gesucht, dann kamen Möbel rein und eine Flagge an die Wand – fertig war der Gerichtssaal. Die Amerikaner haben das häufig so improvisiert und dann auch oft richtig westernmäßig kurzen Prozess gemacht, Hängen inklusive. Es gab ja mehr Kriegsverbrecher als Gerichtsgebäude, da musste sehr viel improvisiert werden. Das gab uns die Chance, ein Kammerspieldrama zu inszenieren.

Warum machen Sie als Carl Schrade alle Aussagen auf Englisch und lassen sie dann durch eine von Ihrer Ex-Frau Maria Simon gespielten Armee-Dolmetscherin übersetzen?

Weil ich einen Film drehen wollte, der international funktioniert. Und weil es mir sehr wichtig ist, dass möglichst viele Menschen mit dem Englischen klarkommen. Das ist in der heutigen Zeit extrem wichtig, es ist die Weltsprache Nummer eins, und alles um uns herum wird immer internationaler, auch in unserem Land. Ich finde es extrem schade, dass das Anliegen, Englisch in Deutschland zur zweiten Amtssprache zu machen, erst mal gescheitert ist. Da möchte ich gerne ein Vorreiter sein.

Sie haben den Film schon vor Corona gedreht, jetzt kommt er ins Kino und hat durch die Ereignisse in der Ukraine neue Aktualität bekommen: Vor drei Jahren war er ein Blick in die Vergangenheit, jetzt wirkt er wie eine Zukunftsvision. Beunruhigt Sie das?

Ja, sehr. Ich muss zugeben, dass ich richtiggehend Angst habe. Aber es war für mich klar, dass es so kommen musste, seit vielen Jahren. Das mit der Ukraine konnte nicht gut gehen, das war schon immer ein Pulverfass. Dass die sich so an den Westen binden und ihn so weit hereinlassen – wer die Russen kennt, der weiß, dass die sich so was auf Dauer nicht gefallen lassen. Wenn der russische Bär so richtig wütend wird … Ich sehe da aber eine Aufgabe für mich. Ich bin als Ostler mit dem Motto von Friedrich Wolf aufgewachsen: Kunst ist Waffe. Und ich kann die bedienen: In zwölf Tagen einen Film drehen, das macht mir so schnell keiner nach.

Was ist für Sie die Lehre aus unserer Vergangenheit: Überfallenen zur Hilfe kommen und Waffen liefern – oder nie wieder Waffen für einen Krieg liefern?

Ich würde mich aus den Waffenlieferungen völlig raushalten. Und was nach dem Krieg kommt, das zeigt auch mein Film. Dann kommen wieder Menschen vor Gericht, die sich in Kriegsverbrecherprozessen verantworten müssen. Aber mehr will ich dazu nicht sagen, man sollte sich als Schauspieler nicht politisch äußern.

Das machen aber ziemlich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen …

Sollen sie machen, ich halte mich da lieber raus. Ich finde, man soll als Schauspieler seinen Job machen, Filme drehen – und gut. Mir reicht es vollkommen, als Schauspieler und als Filmemacher ernst genommen zu werden.

  • Das Gespräch führte Oliver Reinhard.
  • Der Film "Der Zeuge" läuft in Dresden in der Schauburg sowie im Programmkino Ost.