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So unerträglich und doch gut war der "Tatort" aus Zürich

Der Schweizer Film übergeht Krimiregeln und macht doch alles richtig. Für besondere Emotionen sorgt dabei die Musik.

Von Bernd Klempnow
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Mord mit Luxusaussicht: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri) hat einen fantastischen Arbeitsplatz in Zürich, würden sich nicht immer wieder mafiöse Abgründe hinter der paradiesischen Fassade der Region auftun.
Mord mit Luxusaussicht: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri) hat einen fantastischen Arbeitsplatz in Zürich, würden sich nicht immer wieder mafiöse Abgründe hinter der paradiesischen Fassade der Region auftun. © ARD

Den „Tatort: Seilschaft“ sollte man gesehen haben. Selten bietet eine Folge eine so ausgefeilte Rachetour mit tragischem Ausgang wie die aus der Schweiz. Es ist der fünfte Fall des Ermittler-Teams Ott und Grandjean: Tote, Geldwäsche, Kidnapping, Missbrauch und Darknet– ein heftiger Ritt durch die Oberschicht am Zürichsee.

Dabei übergehen die Macher viele der scheinbar gesetzten „Tatort“-Regeln, jedenfalls mindestens zwei. Erstens: In den letzten Minuten keine Toten mehr – früher galt gar eine halbe Stunde. Zweitens: Möglichst nicht mehrere Handlungsstränge verknüpfen. Doch „Seilschaft“ beweist: All dies ist lösbar und zudem mit großen Emotionen transportierbar. Und das liegt wesentlich an der Musik von Fabian Römer, dem führenden Komponisten der Branche. Seit 1995 hat der heute 49-Jährige über 250 Soundtracks im In- und Ausland geschrieben – für viele „Tatorte“ und ungewöhnlich stimmungsvolle, geheimnisvolle Filme wie „Tannbach“ und „Spreewaldkrimi“ oder Mehrteiler wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ und „Parfum“. Vielfach ist er geehrt worden, etwa mit dem Deutschen Filmpreis und dem der Filmkritik.

Die Kommissarin versucht, das Vertrauen einer wichtigen Zeugin zu gewinnen, die etwas zum Verschwinden ihrer Freundin sagen könnte: Ronja (Lillyenne Zünd, li.) und Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler).
Die Kommissarin versucht, das Vertrauen einer wichtigen Zeugin zu gewinnen, die etwas zum Verschwinden ihrer Freundin sagen könnte: Ronja (Lillyenne Zünd, li.) und Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler). © ARD

Auch diesmal setzt er auf eine dem Streifen einen unverwechselbaren Charakter gebende Musik. Stark schon der Einstieg mit dem betörend-elegischen Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert. Nur zwei Minuten nimmt Römer davon, um die scheinbar heile Welt der Reichen auf einer Charity-Veranstaltung zu kennzeichnen. Immer wieder stört er die schöne Musik mit den Trommeln afrikanischer Kinder aus dem Charity-Film. Bis sich das Mozart-Stück verändert und in einem sphärischen Gesang die Abgründe beschwört, die sich in den nächsten 88 Minuten auftun.

Keine Synthesizer-Klangtapete – der Komponist erzeugt mit Soloinstrumenten und Orchester, mit eindrücklichen Melodien, Vokalisen und Geräuschen gekonnt Atmosphäre. Ohne dabei zeigefingerartig vordergründig zu dramatisieren. Auch arbeitet er mit Stille, befördert so die Handlung, dass der Zuschauer mehr ahnen und wissen kann, als die ohnehin teils unerträglichen Bilder zeigen müssen.

Auch der Schluss ist markant, als das gekidnappte und missbrauchte Mädchen heimkehrt. Eine Kinderspieluhr spielt friedlich, fast hoffnungsvoll. Plötzlich drängt ein dunkler Hall in die Weise. Ganz klar: Gut ist hier gar nichts, niemals!