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Veraltet, verspätet, überteuert: Deutschlands Nachrüstungsindustrie

Deutschland rüstet auf, die Bundeswehr bekommt 100 Milliarden Euro. Doch können deutsche Rüstungsfirmen auch liefern? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt eine ZDF-Dokumentation.

Von Connor Endt
 4 Min.
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Die Bundeswehr wird noch mehrere Jahre auf Panzer warten müssen.
Die Bundeswehr wird noch mehrere Jahre auf Panzer warten müssen. © Armin Weigel/dpa (Symbolfoto)

Die Panzer wälzen sich über die Trainingsstrecke, machen alles platt, was sich ihnen in den Weg stellt. „Sie ist die modernste Haubitze der Welt“, sagt ein Sprecher im Werbevideo der Bundeswehr. Dann schießen die Panzer, Gras und Erde fliegen durch die Luft. Die Panzer selbst werden von einer dichten Rauchwolke umhüllt.

Viele Jahrzehnte lang stand die Aufrüstung der Bundeswehr außer Frage. Das soll sich ändern: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 beschließt die Bundesregierung im vergangenen Jahr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die deutschen Streitkräfte.

Doch kann die deutsche Rüstungsindustrie auch liefern? Wird es die von Bundeskanzler Olaf Scholz versprochene „Zeitenwende“ überhaupt geben?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich Andreas Orth in der ZDF-Dokumentation „Rüstungsboom – Bomben, Panzer und Probleme“. Innerhalb von 41 Minuten macht er klar: Die Aussichten für die nächsten Jahre sind, vorsichtig ausgedrückt, eher bescheiden.

Panzer sind in Deutschland Einzelanfertigungen

Die Bundeswehr wird wohl noch mehrere Jahre auf neue Panzer warten müssen. Für das Hochfahren der Panzerproduktion brauche man mindestens zwei bis drei Jahre, erklärt Ralph Ketzel, Vorstandschef beim Rüstungskonzern Kraus Maffay Wegmann (KMW). Panzer sind in Deutschland immer noch Einzelanfertigungen. Gerade einmal eine Handvoll Mitarbeiter arbeitet gleichzeitig an einem Panzer. Und um das Kriegsgerät zusammensetzen zu können, müssen Mitarbeiter eine jahrelange Spezialausbildung absolvieren.

Schleppende Produktion ist aber nur eines von vielen Problemen. Die Entwicklung des „Puma“ etwa hat sich auch deshalb so verzögert, weil die Bundeswehr immer neue Anforderungen an den Panzer gestellt hat. So mussten beispielsweise Farbdisplays und eine Rückfahrkamera nachgerüstet werden. Das Projekt lief aus dem Ruder, die Produktion dauerte immer länger und wurde immer teurer.

Deutsche Produktionen haben sich bewährt - im Ausland

Egal, wohin Andreas Orth blickt, überall offenbaren sich Schwierigkeiten. Das liegt auch daran, dass die deutsche Rüstungsindustrie rund drei Jahrzehnte lang hauptsächlich Waffen und Ausrüstung für internationale Einsätze gebaut hat. Deutsche Kriegsschiffe wurden für den Schutz von Handelsschiffen optimiert, um im Kampf gegen Piraten an der afrikanischen Küste eingesetzt zu werden. Die Fregatten sind zwar mit Aufklärungssystemen und Lenkwaffen ausgestattet, bräuchten im heimischen Einsatz aber Eskorten, weil sie ein leichtes Ziel für U-Boote und Kampfflugzeuge wären.

Orths Dokumentation macht auch klar: Die deutsche Rüstungsindustrie könnte durchaus technisch ausgefeilte Waffen und Fahrzeuge liefern – aber eben nicht in absehbarer Zeit. Die Bundeswehr ist für die eigene Landesverteidigung nicht ausreichend ausgestattet.

Und damit tut sich ein weiteres Problem auf: Weil die heimische Industrie nicht schnell genug liefern kann, ist Deutschland auf internationale Rüstungs-Kooperationen angewiesen. So bestellt die Bundeswehr US-Bomber für acht Milliarden Euro, weil der zusammen mit Frankreich entwickelte Kampfjet Eurofighter nachgerüstet werden muss und nicht einsatzbereit ist. Aber auch die amerikanischen F35-Bomber sind mangelhaft: laut dem US-Rechnungshof sind im besten Fall gerade einmal 60 Prozent der F35-Bomber jederzeit einsatzbereit.

Andreas Orth und sein Team lassen in ihrer knapp 44-minütigen Doku zahlreiche Politikerinnen und Politiker, Experten und Vertreter der Rüstungsindustrie zu Wort kommen. Zahlreiche Beispiele aus Heer, Marine und der Luftwaffe illustrieren, vor welchen konkreten Herausforderungen Rüstungshersteller stehen. Dabei verzichtet Orth bei seiner Einordnung weitestgehend auf Fachjargon oder liefert die nötigen Erklärungen, um durch das Labyrinth deutscher Beschaffungsbürokratie, Heeresanforderungen und technischer Feinheiten zu führen.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Wie geht es also weiter mit der deutschen Rüstungsindustrie? Kürzlich ist die Bundesregierung bei dem Sensor- und Radarhersteller Hensoldt als Investor eingestiegen. „Wir brauchen eine leistungsfähige Rüstungsindustrie“, erklärte Scholz bei einer Pressekonferenz.

Eine leistungsfähige Rüstungsindustrie, so schlussfolgert Orth, bedeutet auch eine zunehmende Digitalisierung der Kampfsysteme. Jedes moderne Kriegsfahrzeug würde heute bereits moderne Elektronik benutzen, für Zieloptiken, Kommunikation und Navigation. Für die nötigen Computerchips werden allerdings besondere Rohstoffe gebraucht. Die seltenen Erden kommen meistens aus China, die benötigten Computerchips vom Weltmarktführer Taiwan.

Experten warnen vor einer Abhängigkeit von den beiden Ländern, besonders im Falle eines möglichen chinesischen Angriffs auf Taiwan. Die USA bevorraten bereits seit Jahren wichtige Rohstoffe, seltene Erden und Computerchips für die eigenen Streitkräfte.

Andreas Orth ist sich sicher: Die Diskussion um die erforderlichen Fähigkeiten der Bundeswehr hat gerade erst begonnen. Inwiefern der Staat bei Entscheidungen eingreifen muss, ob die Waffen in Deutschland produziert werden und wie man mit bisherigen Verfehlungen umgeht, kann diese Dokumentation nicht beantworten. Wie auch. Nicht einmal die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker haben darauf aktuell eine eindeutige Antwort.