SZ + Freital
Merken

Freital: Augustes Lebensretterin

In Freital bekamen ehemalige Zoo-Tiere ein neues Heim. So entgingen zwei Gänse der Schlachtung. Drei Schafe gehen in die Therapie.

Von Gunnar Klehm
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Haben auf dem Biohof bei Kerstin Ardelt-Klügel in Freital-Weißig Asyl bekommen: Gänse und Mini-Schafe aus dem Zoo Meißen.
Haben auf dem Biohof bei Kerstin Ardelt-Klügel in Freital-Weißig Asyl bekommen: Gänse und Mini-Schafe aus dem Zoo Meißen. © Karl-Ludwig Oberthür

Fremde auf dem Grundstück! Lauthals schlägt die Gans mit dem typischen Geschrei an. Ein Wachhund würde es nicht viel besser machen. Einen solchen gibt es zwar auch auf dem Biohof Klügel in Freital-Weißig. Doch jetzt hat er gefiederte Unterstützung bekommen. "Das war eigentlich gar nicht so geplant. Aber jetzt bin ich froh, dass Auguste da ist. Das macht den Hof irgendwie komplett", sagt Kerstin Ardelt-Klügel, die Biohof-Chefin.

Dass die graue Pommersche Landgans so plakativ Auguste heißt, war aber nicht auf ihrem Mist gewachsen. Den Namen gab ihr der Vorbesitzer, Heiko Drechsler. Der führte privat den Tierpark Meißen, den er Ende vorigen Jahres aufgegeben hatte. Er musste deshalb alle Tiere abgeben. Als es um seine Gänse ging, hatten potenzielle Käufer aber nur nach dem Gewicht gefragt - es stand der Martinstag an.

Ende nach fast 20 Jahren

Dass seine Tiere geschlachtet werden, das wollte er nicht. Drechsler hatte die Gans, die einen geschädigten Kippflügel hat, selbst vor der Schlachtung bewahrt. "Gänse können über 20 Jahre alt werden. Ich wollte alle Tiere in gute Hände geben. Das ist mir auch fast bei allen gelungen", sagt Drechsler.

Er sieht sich als Corona-Opfer. Für einen privat geführten Tierpark gab es kein passendes Hilfsprogramm. Mit den paar Tausend Euro, die er für Fixkosten bekam, waren die Tiere aber nicht zu versorgen. "Wenn ich Ostern 2021 hätte öffnen dürfen, hätte mich das gerettet. Aber da ging ja kein Weg rein", sagt er verärgert. Der Inzidenzwert lag damals im Landkreis Meißen bei 104 und damit knapp über dem damals maßgebenden Grenzwert. Nach fast 20 Jahren hat Drechsler seinen Tierpark aufgegeben. Mit der Stadt hatte er sich auf die Beendigung des Pachtvertrages zum Ende des Jahres 2021 geeinigt. Erst danach gab es ein Hilfsprogramm für Zoos. Für den Tierpark Meißen kam das zu spät.

Heiko Drechsler mit seinem Känguru Gertrud. Das lebt jetzt bei ihm auf dem privaten Grundstück.
Heiko Drechsler mit seinem Känguru Gertrud. Das lebt jetzt bei ihm auf dem privaten Grundstück. © privat

Drechsler freut sich, dass seine Gänse nun in Freital gut aufgehoben sind. "Da hatte er mich vor Ort etwas überrumpelt. Jetzt bin ich froh, dass ich das gemacht habe", sagt Ardelt-Klügel. Eigentlich war sie nur zum Tierpark nach Siebeneichen bei Meißen gefahren, um gebrauchte Einzäunungen von dort mitzunehmen.

Glücksgefühle entschädigen

Während sich die Freitalerin und ihr Mann in Meißen mit Akkuschrauber und sonstigem Gerät zu schaffen machten, kamen zwei Zwergschafe der Rasse Quessant angelaufen. "Die waren so zutraulich und herzallerliebst", sagt Ardelt-Klügel. Sie hat sich sofort schockverliebt in die Tiere, denn sie weiß aus ihrer therapeutischen Arbeit, was solche, den Menschen zugewandten Tiere bewirken können. Seit ihrer Ausbildung zur Fachkraft in der tiergestützten Intervention ist sie mit Tieren von ihrem Hof in Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen im Einsatz.

Bisher war sie dort meist mit Meerschweinchen, Kaninchen oder Hühnern unterwegs. "Es ist wunderschön zu sehen, wie glücklich die Menschen sind, wenn sie die Tiere auf dem Schoß halten oder streicheln", erzählt Ardelt-Klügel. Eine Begegnung ist ihr besonders in Erinnerung. Da saß mal eine sehr betagte Frau in einer solchen Runde und schien kaum etwas um sich herum wahrzunehmen. Zielgerichtet lief das Huhn der Freitalerin auf die Rentnerin zu, sprang schließlich auf den Schoß und erwartete offenbar eine Reaktion der Seniorin. "Als die Frau dann tatsächlich mit einer Hand über die Federn strich, kam wieder Leben in ihr Gesicht und alle Wesenszüge. Das ist dann Entschädigung für all den Aufwand", sagt Ardelt-Klügel.

Kleinste Schaf-Rasse der Welt

Die Zahl der Tiere auf ihrem neu gebauten Hof nimmt inzwischen eine staatliche Größe an. Vom Tierpark Meißen nahm sie spontan drei der Quessant-Schafe mit. Sie gilt als kleinste Schafrasse der Welt. Wenn es die Corona-Maßnahmen endlich wieder zulassen, werden aus ihnen die ersten Therapie-Schafe der Region. Die Widerristhöhe beträgt bei ausgewachsenen Tieren nicht mal 50 Zentimeter. Da werden manche Pudel größer. Das wird ein Hallo in Pflegeeinrichtungen geben. "Weil es sich um eine Handaufzucht handelt und die Tiere Kontakt mit Menschen vom Tierpark gewöhnt sind, sind sie nicht scheu", sagt Ardelt-Klügel.

Im Stall bei ihr in Weißig stehen sie friedlich neben größeren Artgenossen. Jedes Mutterschaf dort hat auch ein Lamm. Die Herde wird vergrößert, weil es die bisherigen Tiere kaum schaffen, die gepachteten Streuobstwiesen abzugrasen.

Auf dem Hof stehen auch Pferde. Eine Reitlehrerin ist die einzige Angestellte. Der Hofladen und die Pension müssen auch am Laufen gehalten werden. Ein kleiner Biergarten ist noch im Bau. Die Aussicht auf den Windberg und ins weitere Umland ist fantastisch. Dass der Familienbetrieb dann weitere Beschäftigte einstellen muss, um das zu bewältigen, ist jetzt schon klar.

Was Gans Auguste angeht, hält Ardelt-Klügel natürlich ihr Versprechen an Heiko Drechsler, dass sie nicht geschlachtet wird. Darüber wird sich auch die Patin freuen. Die ältere Dresdnerin hatte die Gans nach einem Besuch im Tierpark in Meißen ins Herz geschlossen. Nun kann sie das Tier in Freital besuchen kommen. Dann wird es wohl wieder ein aufgeregtes Geschnatter von Auguste geben.