Zu Dornröschens Turm kamen die Königssöhne des Landes vergeblich. Zu dicht das Gestrüpp. Eine Kettensäge hätten sie benutzen müssen. So wie Martin und Jenny. Die hatten dasselbe Problem mit ihrem Märchenschloss. Vor lauter Wildwuchs waren Teile davon gar nicht mehr sichtbar, sagt Martin. Fast zwanzig Jahre hatte keine Menschenseele mehr darin gewohnt. "Die Natur hatte das Gelände zurückerobert."
Neue Residenz für den abgebrannten Großbauern
Der Bau-Ingenieur Martin Mönch und seine Freundin Jennifer Barczyk, gelernte Restaurantfachfrau, haben sich durchgeschlagen, mit Kettensägen und noch viel größerer Technik. Ein riesiger Wurzelhaufen beim ehemaligen Schweinestall zeugt noch von dem Befreiungsschlag, mit dem sie das riesige Gehöft am Oelsaer Ortsrand dem Wildwuchs und wahrscheinlich dem Untergang entrissen haben. Zehn weitere Jahre, schätzt Mönch, dann hätte man die Reste dieses Baus über den Haufen schieben können.
Dieser Bau war einst Sitz des Oelsaer Großagrariers Theodor Merbitz. Nachdem sein alter Gutshof im Ort, den man das Freigut nannte, kurz vor dem Ersten Weltkrieg abgebrannt war, ließ er sich den Komplex nahe dem Götzenbusch errichten. Zwei 45 Meter lange Stallgebäude mit Wohnungen, dazu eine dreistöckige Scheune. Auch ein Herrenhaus war geplant, mit großzügiger Freitreppe und Park.
Vor dem Notartermin noch ein Großfeuer
Das Herrenhaus hat es nie gegeben. Nur eine bescheidenere Version, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und kurz vor der DDR entstand. Die Eigentümer des Hofes verließen bald das Land, das keine Großbauern mehr dulden mochte. Die LPG mästete hier fortan Schweine. Die Substanz aber kam auf den Hund. Nach dem Umschwung wohnten noch einige Zeit Menschen im Freigut. Zur Jahrtausendwende zog die letzte lebende Seele aus. Seither kam nur noch der Feuerteufel vorbei.
Dreimal hat es während des Leerstands im Gut gebrannt. Das letzte und schlimmste Feuer fraß die Scheune auf, wenige Tage, bevor Martin Mönch den Notarvertrag unterzeichnen wollte. Er hat es dennoch getan. Es ging nie um Rendite bei diesem Projekt, sagt er, der sonst mit Immobilien handelt, Häuser vermietet und Bauplätze erschließt. Was sie hier erreichen wollen, sagt er, ist die "Schwarze Null", und die Rendite heißt Lebensqualität. "Wir wollen uns hier zu Hause fühlen und die alte Bausubstanz erhalten."
Das ganze Grundstück nach Müll durchgesiebt
Vom Dorf stammen beide. Er aus der Oberlausitz, aus der Gegend von Wilthen, sie aus der Freitaler Ortschaft Kleinnaundorf. Gewohnt haben sie bisher im Süden Dresdens. Nette Gegend, aber mit der Zeit zu eng, zu laut. "Man kann schlecht entspannen", sagt Jenny. So suchten sie etwas Ruhiges, ohne direkte Nachbarn. "Dass es so ruhig wird, hätten wir nicht gedacht."
Ein Grundstücksmakler, den Martin Mönch gebeten hatte, ihm auch die hoffnungslosesten Objekte vorzuschlagen, meldete sich eines Tages mit dem Freigut. So kam das Paar 2017 nach Oelsa. Das ganze Ausmaß der Aufgabe hatten die beiden da noch nicht begriffen. "Eine Katastrophe", sagt Martin Mönch rückblickend. "Fünf Jahre Leben mit einer schier unlösbaren Thematik."
Altes Spielmobil wird Zentrale des Aufbaus
Außergewöhnlich war es schon, dass Mönch erstmals in seiner über zwanzigjährigen Sanierungstätigkeit keine Möglichkeit im Bauobjekt fand, wenigstens provisorisch einzuziehen. Alles verfallen und keinerlei Anschluss an irgendwas. Von der Stadt Köln kaufte er einen Wohnwagen, der dort als mobiler Spielplatz gedient hatte, und richtete darin seine Schaltzentrale ein - Klo, Dusche, Kaffeeküche, Internet.
Die "unlösbare Thematik" war der Müll, verteilt auf zwei Hektar Fläche. Ganze Wagenladungen, eingewachsen in den Brombeeren. Matratzen, Möbel, Ölkanister, halbe Trabis, alte Klamotten, Dachpappe und Bauschutt. Vormalige Mieter hatten hier Entsorger gespielt, in Wahrheit aber große Teile des Abfalls eingelagert oder vergraben.
Das ganze Grundstück wurde durchgesiebt, mindestens einen halben Meter tief. Wie viele Container die Funde füllten, weiß Martin Mönch nicht mehr. "Irgendwann hab' ich aufgehört zu zählen." Brauchbares war nicht darunter. Das einzige Relikt, das die beiden aufgehoben haben: eine Flasche der Actien Bierbrauerei zu Reisewitz. Sie war in der abgebrannten Scheune eingemauert - leider leer.
Ende 2018 war die Müllhalde endlich beräumt und es konnte ans Bauen gehen. Der Schweinestall wurde 2019 hergerichtet. 2020 folgten die teils eingebrochenen und angekohlten Dächer der historischen Wirtschaftsgebäude. Sämtliche Dächer und Teile der Fassaden tragen jetzt Fotovoltaik-Module. Zusammen ergeben sie ein Sonnenkraftwerk von rund zweieinhalbtausend Quadratmetern Fläche.
Kraftwerk liefert Strom für hundert Haushalte
Sein Energiepark reicht, sagt Martin Mönch, um etwa hundert Vier-Personen-Haushalte ein Jahr zu versorgen. Der Strom, der an der Börse gehandelt wird, ist eine Strategie, die "Schwarze Null" im Freigut zu erreichen. Wenn das Anwesen einmal fertig ist, soll praktisch alle Energie, die hier gebraucht wird, aus der Sonne kommen. "Für die Energiewende haben wir mehr als genug getan."
Was wollen sie eigentlich mal anstellen mit dem Gut? Den großen Plan gibt es noch nicht. Ein paar Räume sind Garage und Lager. Vielleicht wird man lokalen Firmen etwas anbieten. Auf den Wiesen grasen schon Alpakas vom Nachbarn. Und Jennys Walliser Schwarznasenschafe. Die sind ihr Kontrastprogramm zur Plackerei auf dem Bau, sagt sie. "Man braucht auch mal was Schönes."
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Gelohnt hat sich die Plackerei jetzt schon. Nicht nur wegen des Baufortschritts, sondern auch wegen der Leute. Menschen mit Macher-Gen sind hier willkommen, hat Martin Mönch gemerkt, bei der Verwaltung und im Dorf selbst. Es geht weniger "ellenbogenartig" zu, sagt er, weniger angespannt. In Oelsa hat er schon mehr gute Leute getroffen, als in den zehn Dresdner Jahren davor.
Wie soll es nun weitergehen? Das Wohnhaus muss noch hergerichtet werden, als künftiger Lebensmittelpunkt. Einige Dächer des Hofs sind noch kaputt, auf einige Ecken passen noch Solarmodule drauf. Und Hochzeit soll auch bald sein. Überhaupt: mehr Zeit für die Familie. Denn für das eigene Leben, sagt Martin Mönch, ist dieses Projekt sowieso zu groß. "Aber die Basis ist jetzt top."