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Ein Fan von Wilsdruff

Matthias Schlönvogt ist von seiner Heimatstadt begeistert. Warum? Das erklärt er bei Stadtführungen. Dafür und für andere Aktivitäten wurde er geehrt.

Von Maik Brückner
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Matthias Schlönvogt wurde für seine ehrenamtliche Museumsarbeit von Ministerin Barbara Klepsch geehrt.
Matthias Schlönvogt wurde für seine ehrenamtliche Museumsarbeit von Ministerin Barbara Klepsch geehrt. © Daniel Schäfer

Rastlos. So ist Matthias Schlönvogt. Zum SZ-Termin kommt der Wilsdruffer auf die Minute genau. Und ein wenig gehetzt. Gerade hat er eine Schülergruppe durch Wilsdruff geführt. Für ihn sind Stadtführungen eine Herzenssache. Begeistert berichtet er von den Schönheiten seiner Heimstadt. "Ich bin einer der wenigen, die hier geboren wurden. Ich bin ein Ur-Wilsdruffer", sagt er stolz. 

Matthias Schlönvogt ist mit Leib und Seele Wilsdruffer. Deshalb engagiert sich der 57-Jährige an mehreren Stellen. Er arbeitet für die Freien Wähler als Stadtrat und ist Mitglied in verschiedenen Vereinen. Und er unterstützt das Heimatmuseum. Für dieses dokumentiert er die Stadtgeschichte. Für dieses Engagement wurde er nun von Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) ausgezeichnet. 

Über diese Anerkennung habe er sich gefreut, sagt er. Er ist  Macher. Und er hat einen ungewöhnlichen beruflichen Werdegang hinter sich. Obwohl er in der Schule gut war, riet ihm sein Vater, nicht zu studieren. Er sollte einen Beruf ergreifen, bei dem er am Ende des Tages sehen konnte, was er geschafft hat. Und diesen Rat befolgte er: "Ich habe mich für den besten Beruf der Welt entschieden, ich wurde Drechsler. Hier kommt es auf den an, der es macht." Schlönvogt ließ sich von 1978 bis 1981 beim Dorfdrechsler in Schmiedewalde ausbilden. "Danach wollte ich auf Wanderschaft gehen." Doch er kam nicht weit: Seine erste und letzte Station war die Tischlerei in Wilsdruff. Dort ließ er sich zum Tischler ausbilden. Nach der Wende musste er sich nach einem neuen Job umschauen. Ein Freund holte ihn nach Westberlin. Dort baute er Möbel zusammen. Er pendelte jedes Wochenende nach Wilsdruff.

Für die Kinder ist Wilsdruff besser

2000 schloss seine Frau ihre Lehrerausbildung ab. Beide standen vor der Frage: Ganz nach Berlin gehen oder in Wilsdruff bleiben? Die Schlönvogts entschieden sich für Sachsen. "Für die Kinder ist es besser." Die Konsequenz: Matthias Schlönvogt wurde arbeitslos und musste sich einen neuen Job suchen. Übers Arbeitsamt ließ er sich zum Mediengestalter ausbilden. "Die Ausbildung war wirklich gut und sehr praxisnah. Ich würde sie sofort wieder machen." Danach arbeitete er in der Firma, die ihn ausgebildet hat, 2004 machte er sich als IT-Berater und Verleger selbstständig. Vor zehn Jahren begann er in der IT-Abteilung der AOK plus zu arbeiten. Dort kümmert er sich darum, dass Videokonferenzen und andere digitale Plattformen funktionieren. 

Seinem Hobby, der Heimatgeschichte, blieb er über die Jahre treu. Sie fasziniert ihn  seit frühester Jugend. Da waren zum einen die Bücher und Schriften von Oberlehrer Artur Kühne und vom Verein für Naturkunde und Heimatschutz, die bei seiner Oma standen und die er mit Interesse gelesen hat. So fand er heraus, dass Wilsdruff von 1100 bis 1538 Jahre Hauptort eines Kirchenkreises war und damit eine Art Kreisstadt. "Wir hatten hier einen Erzpriester. Deshalb stehen hier zwei große Kirchen." Mit der Reformation wurde der Kirchenkreis aufgelöst. Wilsdruff verlor an Bedeutung. 400 Jahre lang passierte nicht viel. Doch dann erreichte die Industrialisierung die Stadt. Es ging wieder aufwärts, sagt Schlönvogt. Es entstanden Möbelfabriken. Hier wurde der Küchentisch mit ausziehbarem Waschtisch erfunden und gebaut.

Dem Ruf der Zarin gefolgt

Auch seine Vorfahren veranlassten ihn, sich mit Geschichte zu befassen. Während die Familie seiner Mutter aus Lampersdorf stammt, kommt die seines Vaters aus dem heutigen Polen. "Mein Uropa folgte vor gut 200 Jahren einer Anwerbeaktion der russischen Zarin Katharina der Großen." Sie wollte in der Region Lodz Textilindustrie-Betriebe ansiedeln. Auch andere Weber aus Deutschland folgten ihrem Ruf. Sie bildeten eine Gemeinschaft, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges an ihren Bräuchen festhielt, privat deutsch sprach und evangelisch blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Familie, wie viele andere Deutsche, Polen verlassen.

Schlönvogts Vater kam nach Mohorn. Er begann Anglistik und Slawistik zu studieren, musste das Studium aber auf Druck der Behörden ohne Abschluss beenden. Trotzdem durfte er als Neulehrer zuerst in Limbach-Birkenhain und dann in Wilsdruff arbeiten. Später holte er seinen Abschluss im Fernstudium nach. "Schlimmer war es bei meiner Mutter." Als Klassenbeste durfte sie nicht studieren, weil ihr Vater Stellmachermeister war und als Kapitalist galt. Sie wurde Krankenschwester, gab aber nicht auf. In der Abendschule machte sie Abitur. "Dazu ist meine Mutter dreimal in der Woche mit dem Fahrrad, das keine Gangschaltung hatte, nachmittags von Lampersdorf nach Dresden und nachts halb elf Uhr wieder zurückgefahren. Das ist eine Leistung, die heute von keinem von uns abgefordert wird." Danach hätte sie an der Humboldt-Uni in Berlin Medizin studieren können. Doch sie entschied sich, in Wilsdruff zu bleiben, um hier eine Familie zu gründen. Das ist der Grund, weshalb es den Ur-Wilsdruffer Schlönvogt gibt.

Berlin ist verführerisch

Über Langeweile kann sich der Wilsdruffer indes nicht beklagen. Man könnte meinen, Matthias Schlönvogt ist ein Hansdampf in allen Gassen. Er arbeitet im Stadtrat, im Kirchenvorstand, im Technikverein, beim Förderverein Funkturm und beim Förderverein Gymnasium mit. Er kennt seine Grenzen: "Ich mach gerne mit, stelle mich aber nicht vorn ran." Etwas anders ist es beim Fototreff. Diese Arbeit macht ihm richtig viel Spaß und gründet auf seiner Berlin-Erfahrung. "Berlin ist verführerisch. Dort hat man alles und das zu jeder Zeit." Und in Wilsdruff gebe es gar nichts. "Hier musst du alles selbst machen." Und das reizte ihn - den Macher. 1994 organisiert er die erste Fotoausstellung in Wilsdruff. Weitere folgten und so entstand der Fototreff. 

Auch zum Museum hat der Wilsdruffer eine besondere Beziehung entwickelt. "Das Heimatmuseum ist wichtig. Besucher sehen hier, wie das Leben früher war und dass eine Stadt autark funktionierte. Hier gab es fast alles." In Wilsdruff arbeiteten nicht nur Bäcker, Fleischer, Stellmacher, sondern auch ein Büchsenmacher. "In unserer globalisierten Welt ist das anders", sagt Schlönvogt. Er setzt sich gern an den Einlass. Doch viel lieber führt er durchs Museum, um den Besuchern das Besondere von Wilsdruff zu zeigen.

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