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Großer Ärger um 300 Euro Fördergeld für Balkonsolaranlagen in Sachsen

Der Zuschuss für Balkonsolaranlagen kann nur online beantragt werden. Doch das komplizierte Verfahren schließt Menschen aus, wie ein Fall aus der Lausitz zeigt. Und es gibt noch mehr Ärger.

Von Andreas Rentsch
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Diese Balkonsolaranlage hätte Familie Neundorf gern von der SAB gefördert. Doch obwohl Tobias Neundorf seinen Vater Helmut unterstützt hat, sind die beiden am digitalen Registrierungs- und Antragsprozess gescheitert.
Diese Balkonsolaranlage hätte Familie Neundorf gern von der SAB gefördert. Doch obwohl Tobias Neundorf seinen Vater Helmut unterstützt hat, sind die beiden am digitalen Registrierungs- und Antragsprozess gescheitert. © Jürgen Lösel

Der Weg zum eigenen Solarstrom begann mit einem Artikel in der Sächsischen Zeitung über Fördermittel für Balkonkraftwerke. „Den hatten meine Eltern in Großschweidnitz gelesen, ausgeschnitten und mich gebeten, ihnen so eine Anlage zu besorgen“, erzählt Tobias Neundorf aus Dresden. Der 45-Jährige, von Beruf Elektronikentwickler und technisch versiert, ging in die Spur.

Die passenden Module nebst Wechselrichter waren schnell gefunden und auf einem Anbau neben der elterlichen Scheune installiert. Auch die vorgeschriebene Registrierung im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur sei keine nennenswerte Hürde gewesen, sagt Neundorf. „Die echten Probleme begannen mit der Registrierung beim Förderportal der Sächsischen Aufbaubank.“

Seit Ende August gewährt der Freistaat Mietern und Immobilienbesitzern einen Zuschuss für die Anschaffung einer Balkonsolaranlage. Doch die Anträge für die 300-Euro-Förderung lassen sich nur online stellen. Vorher müssen sich Antragsteller digital ausweisen – entweder über die elektronische ID ihres Personalausweises, den sie in ein Lesegerät stecken, oder per Videotelefonat bei einem externen Dienstleister namens Verimi. „Weil mein Vater noch keinen ,E-Perso‘ hat, blieb nur der zweite Weg“, sagt Tobias Neundorf. „Leider mussten wir feststellen, dass selbiger für Menschen, die schlecht hören oder sehen beziehungsweise anderweitig körperlich eingeschränkt sind, nicht gangbar ist.“

Keine Chance für einen Schwerhörigen

In der Theorie läuft die Verimi-Identifizierung über einen Videochat, wahlweise in einer Smartphone-App oder am PC. Dabei sitzt der Nutzer einem Callcenter-Mitarbeiter gegenüber, der Fragen stellt, sich den Personalausweis zeigen lässt und die Sicherheitsmerkmale des Dokuments auf Echtheit kontrolliert. In der Praxis stockt dieser Prozess aber, wenn es Verständnisprobleme gibt. Was bei Helmut Neundorf der Fall war. Der 84-Jährige ist zwar körperlich und geistig fit, aber schwerhörig.

Für Sachsens Balkonsolaranlagen-Förderprogramm stehen 6,5 Millionen Euro bereit. Damit könnten mehr als 20.000 Anlagen gefördert werden.
Für Sachsens Balkonsolaranlagen-Förderprogramm stehen 6,5 Millionen Euro bereit. Damit könnten mehr als 20.000 Anlagen gefördert werden. © Hendrik Schmidt/dpa

Etwa 15 Anrufversuche hätten er und sein Vater unternommen und seien immer gescheitert, sagt Tobias Neundorf. Mal sei die Audioqualität zu schlecht gewesen, ein andermal habe sein Vater das gebrochene Deutsch seines Gegenübers nicht verstanden. Nachfragen seien zeitnah mit kommentarlosem Auflegen quittiert worden. Er selber habe nicht helfend eingreifen können. „Die Callcenter-Agenten legen sofort auf, wenn sie bemerken, dass noch jemand im Raum ist.“ Nach zwei Stunden vergeblicher Telefonate habe sein Vater unverrichteter Dinge aufgegeben.

Ein Anruf beim Beschwerdemanagement der Sächsischen Aufbaubank (SAB) ergab, dass das Problem mit Verimi bekannt sei. „Aber der nette Mitarbeiter konnte uns auch keine Lösung empfehlen.“ Neundorfs Fazit: „Uns ist ein echtes Rätsel, warum es beim Land oder bei der SAB offenbar keine Instanz gibt, die sich Gedanken darüber macht, für wen die digitalen Zugänge nutzbar sind. Digitalisierung ist super, aber doch nicht so!“ Den Antrag habe er dann einfach ausgedruckt und am Dresdner Kundencenter der SAB in den Briefkasten gesteckt. „Das ist zwar nicht vorgesehen, aber es war der einzige Weg.“

SAB: Es gibt Komplikationen, aber Vorteile überwiegen

Auf Nachfrage von Sächsische.de bestätigt David Brähler vom Vorstandsbüro der Bank „teilweise“ auftretende „Komplikationen“, verweist aber im Gegenzug auf die Vorteile des papierlosen Verfahrens. Nicht nur der geringere Verwaltungs- und Kostenaufwand für die SAB sei hier zu nennen. Schließlich ermögliche die einmalige Identifizierung über Verimi „eine regelmäßige Nutzung der digitalen Unterschrift auch über die SAB hinaus“, so Brähler. Tatsächlich lassen sich mithilfe der Signatur auch Onlinekonten eröffnen, Autokäufe abwickeln oder virtuelle Behördengänge erledigen.

Zum Vorwurf der holprigen Verständigung erklärt der SAB-Mann, Verimi greife genauso wie andere Video-Ident-Anbieter auf Callcenter in Deutschland, Kroatien und Bulgarien zurück. „Alle eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen über Deutschkenntnisse von mindestens Level C1.“ Diese nahe des Muttersprachler-Niveaus liegenden Fähigkeiten würden regelmäßig überprüft, etwa durch verdeckte Testanrufe. Dass während des Videochats keine zweite Person im Raum sein darf, sei „regulatorischen Anforderungen“ geschuldet, sagt Brähler.

Immerhin will die Bank den Zugang zur Balkonsolarförderung nun doch barriereärmer gestalten. Hilfebedürftige Menschen ohne elektronische ID im Personalausweis sollen demnächst noch ein drittes Ident-Verfahren verwenden können. Mit dessen Hilfe solle eine Antragsprozedur ohne Personalausweis oder Reisepass ermöglicht werden, so Brähler. Über Details und den Freischalttermin will die SAB bald informieren. Klar ist, dass das Verfahren erlaubt, sich von Angehörigen oder anderen Vertrauenspersonen assistieren zu lassen.

Potenzielle Interessenten haben Datenschutzbedenken

Ob die neue Wahlfreiheit dazu führt, dass auch Eigenheimbewohner wie Olaf Kaps einen Antrag bei der SAB stellen? Die beiden bislang angebotenen Verfahren kämen für ihn nicht infrage, sagt der 58-Jährige aus Schöna in der Sächsischen Schweiz. „Lieber verzichte ich auf 300 Euro Zuschuss, als meine Datenschutzbedenken über Bord zu werfen.“ Olaf Kaps sagt, er habe sich eigentlich per Onlinefunktion seines Personalausweises ausweisen wollen, diese Methode nutze er ja auch bei der Abgabe seiner Steuererklärung. Doch auf dem Weg zum Fördergeld kommt er auch hier an Verimi nicht vorbei. „Diese Firma möchte jedoch meine Ausweisdaten und Unterschrift speichern, um diesen universell im Internet einsetzen zu können“, kritisiert der Eigenheimbesitzer. „Allein diese Speicherung ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit.“

Tatsächlich hat Verimi nicht den besten Leumund. Eine verspätet eingestandene Datenpanne, Ärger mit der Finanzaufsicht Bafin, Prüfungen durch Datenschutzbeauftragte: Der in Berlin ansässige Dienstleister produziert immer mal wieder Negativschlagzeilen. Auch die aktuelle Zusammenarbeit mit der SAB könnte Ärger bereiten: Seit Anfang vergangener Woche liegt eine Eingabe zur Causa Verimi bei der Sächsischen Datenschutzbeauftragten. Momentan werde die Beschwerde geprüft, sagt Behördensprecher Björn-Henrik Lehmann. Da es sich um ein laufendes Verfahren handele, könne er keine weiteren Auskünfte dazu erteilen. Von ihm stamme der Schriftsatz übrigens nicht, sagt Olaf Kaps. Er erwäge aber, auch eine Eingabe zu verfassen und nach Dresden zu schicken.

Verimi selbst äußert sich auf Nachfrage nicht zu den verschiedenen Kritikpunkten. SAB-Vertreter Brähler erklärt das so: Die Antworten auf die Fragen von Sächsische.de seien mit dem Unternehmen abgestimmt, Verimi verzichte daher auf eigene Antworten. Grundsätzlich bestehe zwischen der Bank und ihrem Dienstleister „eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zur weiteren Lösung bestehender Probleme“.

Insgesamt haben seit Ende August rund 4.800 Interessenten einen digitalen Förderantrag eingereicht. Von den 6,5 Millionen Euro, die der Freistaat Sachsen verteilen kann, sind erst gut 2,2 Millionen vergeben. Es könnten also noch 8.754 Anträge von Mietern und 5.585 von Hausbesitzern bewilligt werden (Stand: 22. September, 7 Uhr). Tendenziell müssen sich Immobilieneigentümer mehr beeilen als Mieter, um in den Genuss der 300 Euro zu kommen. „Obwohl wir derzeit erhöhte Nachfrage verzeichnen, ist derzeit noch nicht abschätzbar, wann die Förderung ausgeschöpft sein wird“, sagt David Brähler.

Ob der in Papierform eingereichte Antrag von Helmut Neundorf aus Großschweidnitz ausnahmsweise doch bearbeitet wird, lässt die SAB trotz Nachfrage offen. „Das Förderprogramm ist intern so konzipiert, dass keine technische Bearbeitung von Papieranträgen vorgesehen ist“, sagt Brähler lediglich.

Bliebe schließlich noch die Frage, ob die Neundorfs notfalls einen weiteren Anlauf zur Online-Identifizierung und Antragstellung nehmen werden. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mein Vater noch mal Lust hätte, sich damit zu beschäftigen“, erwidert Tobias Neundorf. „Bei ihm ist ein bisschen die Luft raus.“ Das letzte Wort sei bei dem Thema aber noch nicht gesprochen.

Zumindest freut er sich über die bisherige Stromausbeute des neuen Balkonkraftwerks. Nach vier Wochen habe der Zähler 95 Kilowattstunden angezeigt. „Gar nicht schlecht“, findet Neundorf.