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Nach einem Glas wird es für Frauen kritisch

Beate Dohmen aus Dresden möchte auf ihren täglichen Prosecco nicht verzichten. Dabei ist die Menge, die Frauen relativ gefahrlos zu sich nehmen dürfen, äußerst gering. Jede zehnte Sächsin hat damit ein Problem.

Von Sylvia Miskowiec
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Mindestens zwei Tage Alkoholpause pro Woche sollten es sein.
Mindestens zwei Tage Alkoholpause pro Woche sollten es sein. © 123

Es ist doch nur ein Gläschen. Beate Dohmen winkt ab und schenkt sich nach. Schon sind es zwei Gläschen. „Das ist doch nix“, sagt die 70-Jährige und nimmt einen großen Schluck. Ihren Prosecco kann ihr keiner nehmen. Den Wein auch nicht. Der steht im Kühlschrank, den gibt es zum Abendessen. Jetzt ist es 16 Uhr.

„Ich brauch das einfach manchmal“, sagt Beate Dohmen, die in Wirklichkeit anders heißt. Das „Manchmal“ bedeutet bei ihr jedoch beinahe jeden Tag, wie sie auf Nachfrage zugibt. „Abhängig bin ich aber nicht, wie meine Kinder immer mutmaßen“, wehrt die Seniorin entschieden ab. Schließlich sei ihr Hausarzt letztens zufrieden gewesen mit ihren Leberwerten.

Gute Leberwerte sagen nicht viel

„So einfach ist das nicht“, hält Professor Maximilian Pilhatsch dagegen. „Organschäden sind bereits die Spätfolgen des Alkoholkonsums, eine Abhängigkeit kann da schon längst vorliegen“, sagt der Chefarzt am Elblandklinikum Radebeul und Leiter der Suchtambulanz des Dresdner Uniklinikums. Zwei von 100 Menschen in Sachsen sind alkoholabhängig, wie aktuelle Auswertungen der Barmer Ersatzkasse zeigen. „Dabei geht es gar nicht nur um die tatsächlich getrunkene Menge“, so Pilhatsch.

Vielmehr seien es sechs Kriterien, die bestimmen, ab wann von Sucht gesprochen wird: körperliche Entzugserscheinungen, ein starkes Verlangen nach Alkohol, Kontrollverlust über die Trinkmenge, anhaltender Konsum trotz nachweislich schädlicher Folgen, eine zunehmende Toleranz, bis eine Wirkung eintritt, sowie das Vernachlässigen aller anderen Interessen. „Treffen drei dieser Dinge zu, ist der Trinkende bereits abhängig“, sagt Pilhatsch.

Zwar ist Alkoholismus auch in Sachsen überwiegend männlich – drei suchtkranken Männern steht eine abhängige Frau gegenüber. Doch die Frauen holen auf. „Von 2016 bis 2021 stieg der Anteil alkoholabhängiger Frauen im Freistaat um mehr als 20 Prozent auf rund 29.000 Suchtkranke“, sagt Sachsens Barmer-Chefin Monika Welfens. Mittlerweile findet sich also unter 100 Frauen durchschnittlich eine Alkoholabhängige.

Die Mär vom gesunden Rotwein

Die Vorstufe zur Sucht ist der riskante Alkoholkonsum. Der beginnt bei Frauen schon nach einem Glas Prosecco oder Wein am Tag. Sicherer lebt, wer weniger trinkt und mindestens zwei Tage pro Woche ganz pausiert. Jede zehnte Sächsin schafft das aktuellen Statistiken zufolge nicht.

Beate Dohmen ist eine von ihnen. Sie lehnt sich allerdings zurück und zitiert wieder ihren Hausarzt. Der vertrete die alte Überzeugung, dass vor allem Rotwein gut für Herz und Gefäße sei. In der Tat enthält Rotwein eine vergleichsweise hohe Konzentration an Resveratrol. Es verhindert das Verklumpen von Blutplättchen, wirkt sich positiv auf den Herzkreislauf aus und hemmt das Entstehen von Krebszellen. „Allerdings müsste ein erwachsener Mensch mehrere Liter Wein pro Tag trinken, um gesundheitliche Wirkungen durch Resveratrol zu erzielen – die Schäden durch den Alkohol überwiegen dabei eindeutig“, warnt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen.

Gerade Ältere rutschen in die Alkoholsucht

Leber, Verdauung, Herz, Kreislauf und das Nervensystem leiden unter zu viel Wein, Bier und Schnaps. Mehr als 200 Folgeerkrankungen gehen auf Alkoholkonsum zurück, darunter Depressionen und Angstzustände. Ausgerechnet die letzten beiden gelten unter Medizinern als zwei der Hauptgründe, weshalb Frauen zu viel trinken. „Es geht mir einfach besser nach einem Gläschen“, so Beate Dohmen. Nach dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren wurde ihre innere Unruhe noch größer, die empfundene Einsamkeit stärker – und mit ihr die Flaschen schneller leer.

„Mit meinen 70 Jahren muss ich doch nichts mehr befürchten“, sagt die Dresdnerin. Dabei sind es gerade ältere Erwachsene, die Probleme haben, wie Zahlen der Barmer zeigen. „Alkoholismus entwickelt sich in der Regel über lange Zeit“, so Monika Welfens. „Eine Sucht wird zurzeit verstärkt bei Personen diagnostiziert, die in den 50er- und 60er-Jahren geboren wurden.“

Frauen vertragen weniger als Männer

Ein weiterer Trend mag überraschen: Im Gegensatz zu Männern trinken Frauen unter einem gewissen Stresseinfluss deutlich weniger. Zu diesem Schluss kommt eine aktuell noch laufende gesamtdeutsche Studie, an der auch die Uniklinik Dresden beteiligt ist. Sind Frauen jedoch einmal abhängig, treffe es sie meist schwerer als Männer, sieht Maximilian Pilhatsch immer wieder in seiner Suchtambulanz.

Das habe auch damit zu tun, dass Alkohol stärker auf weibliche Körper wirke als auf männliche. So ist etwa der Blutalkoholspiegel nach einem Glas Wein bei einer Frau höher als bei einem Mann. Der Grund liege im höheren Anteil von Körperfett, in dem sich Alkohol nicht verteilt. Zudem bauen Frauen Alkohol langsamer ab, da das dafür nötige Enzym in Frauenlebern in geringerer Menge vorliegt. Damit ist die Gefahr von alkoholbedingten Lebererkrankungen für Frauen höher als für Männer.

Ihre Kinder hätten ihr einmal alkoholfreien Sekt mitgebracht, sagt Beate Dohmen. „Schmeckte nicht schlecht.“ Aber selbst welchen kaufen? „Da komme ich mir bisschen blöd vor, als wäre ich ein Alki, der nichts anderes trinken darf.“ Dabei sei es wichtig, Alternativen für Alkohol zu finden, betont Pilhatsch. „Es muss nicht immer das Gläschen Wein sein, um sich zu belohnen oder zu beruhigen. Dieses Bewusstsein zu entwickeln, ist essenziell für einen gesünderen Umgang mit Alkohol.“

Alkohol aktiviert Belohnungssystem im Gehirn

Für Abhängige und Menschen auf dem Weg dahin ist das allerdings schwer. Alkohol aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, Dopamin wird ausgestoßen, Glücksgefühle entstehen. Die sind jedoch flüchtig und beim nächsten Mal schwerer aus der Reserve zu locken. Je länger der Alkoholkonsum anhält, umso stärker wird er zur Gewohnheit, umso mehr muss für die gleichen Gefühle getrunken werden. Und umso weniger Chancen haben andere Reize.

Um ihr Trinkverhalten in den Griff zu bekommen, setzen einige auf das „kontrollierte Trinken“. Dabei wird nur an manchen Tagen, etwa am Wochenende, Alkohol konsumiert. Prinzipiell könne das funktionieren, meint Suchtexperte Pilhatsch. „Die Wirkung verpufft allerdings, wenn an den Trinktagen übertrieben wird und die Tage „ohne“ kaum Qualität haben, sondern lediglich sehnsüchtig aufs nächste Glas gewartet wird.“ Wem das so gehe, dem helfe nur eins: konsequenter Verzicht. „Zudem empfehle ich in solchen Fällen, seinen Hausarzt zu konsultieren oder eine Beratungsstelle aufzusuchen.“

So viel Alkohol darf’s sein

  • Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen rät Frauen, nicht mehr als zwölf Gramm Alkohol pro Tag aufzunehmen – und das auf keinen Fall täglich.
  • Diese Menge entspricht 0,3 Litern Bier oder 0,125 Litern Wein, also einem kleinen Glas.
  • Männer sollten nicht mehr als 24 Gramm Alkohol am Tag konsumieren.
  • Wer diese Schwelle regelmäßig überschreitet, riskiert Organschäden und eine Abhängigkeit.
  • Wer Hilfe benötigt, kann sich rund um die Uhr an die Sucht- und Drogen-Hotline für Betroffene und ihre Angehörigen wenden: 01806 313031.
  • Weitere Anlaufstellen hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen in ihrem Suchthilfeverzeichnis zusammengestellt.
  • Zudem bieten Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker Hilfe, sowohl bei Online- als auch Vor-Ort-Meetings.