Der Mensch braucht Vitamine zum Überleben, keine Frage. Das Vitamin B12 etwa benötigt unser Körper für die Blutbildung, die Zellteilung sowie für Aufbau und Funktion des Nervensystems. Weil wir es nicht selbst bilden können, nehmen wir es mit der Nahrung auf. Für Veganer ist das ein Problem – B12 ist nur tierischen Lebensmitteln enthalten. Mit zunehmendem Alter leiden aber auch andere Menschen unter einem B12-Mangel; bei den über 60-Jährigen ist es etwa jeder Vierte.
Wie gut der Körper mit diesem Vitamin versorgt ist, lässt sich mithilfe einer Blutprobe bestimmen. In der Regel wird dabei der Gesamt-Vitamin-B12-Spiegel im Blutserum analysiert; es gibt aber auch noch andere Methoden.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für eine aussagekräftige Diagnostik eine Kombination mehrerer Messwerte. Bei Symptomen wie Abgeschlagenheit und Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit, aber auch bei entsprechenden Vorerkrankungen ist dieser Test sinnvoll und kann von den Krankenkassen bezahlt werden.
Praxen bieten Kuren an, ohne dass ein B12 Mangel feststeht
Viele Praxen bieten sogenannte Vitamin-Checks aber auch zur Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels an, ohne dass es dafür einen begründeten Verdacht gibt. Dann müssen Patienten die Rechnung aus eigener Tasche bezahlen – je nach Methode zwischen 17 und 76 Euro. Die Kosten für Beratung und Blutentnahme kommen noch dazu. Und das passiert gar nicht mal so selten. Nach Erkenntnissen des IGeL-Monitors – einer Einrichtung des Medizinischen Dienstes Bund der Krankenkassen – gehörte diese Früherkennungsuntersuchung bereits im Jahre 2020 zu den 20 am häufigsten nachgefragten beziehungsweise angebotenen Selbstzahlerleistungen.
Natürlich gibt es auch die „Vitaminkur“ nicht umsonst. Man kann sich Präparate als Nahrungsergänzungsmittel in der Apotheke oder Drogerie kaufen oder beim Arzt als Spritze oder Infusion verabreichen lassen. Laut IGeL-Monitor erstrecken sich die Angebote für fünf bis zehn Anwendungen über mehrere Wochen. Der Preis bewegt sich demnach zwischen 12,50 Euro pro Behandlung oder etwa 60 Euro für acht Behandlungen. Auch hier gilt, dass die Krankenkassen nur dann für die Kosten aufkommen, wenn ein „nachgewiesener, schwerwiegender Vitaminmangel vorliegt, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden kann.
Vitamingabe schadet nicht
Bleibt die Frage, wem das Ganze nutzt? Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors hat nach Studien gesucht, die einen positiven Effekt für die Gesundheit belegen – allerdings ohne Erfolg. Auch für den Nutzen einer frühen Therapie bei Menschen, die zwar einen Vitamin-B12-Mangel haben, aber noch keine Symptome zeigen, gibt es keine wissenschaftlichen Beweise. Immerhin: Weder der Test noch die vorbeugende Vitamingabe sind schädlich, wenn man mal von der unnötigen Ausgabe absieht. In sehr seltenen Fällen könnten die Spritzen oder Infusionen allergische Reaktionen auslösen. Der IGeL-Monitor bewertet die Leistung damit als „unklar“.
Seit nunmehr zehn Jahren prüfen die Wissenschaftler solche individuellen Gesundheitsleistungen (daher der Name IGeL) auf ihren Nutzen und Schaden. Inzwischen gibt es mehr als 50 Bewertungen. Nur zwei Selbstzahlerleistungen tragen das Siegel „tendenziell positiv“, was einer Empfehlung gleichkommt. In der großen Mehrheit der Fälle lautet die Bewertung dagegen „negativ“ oder „tendenziell negativ“. Das heißt: Der Schaden dieser Leistungen überwiegt den Nutzen geringfügig oder sogar deutlich.
Zum Beispiel bei der Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung von Eierstockkrebs. Weil es dabei zu vielen falsch positiven Ergebnissen kommen kann, folgen oft unnötige weitere Untersuchungen und Eingriffe. „Dies widerspricht den einfachsten Regeln der Patientensicherheit“, sagt Stefan Gronemeyer, Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund. Seiner Meinung nach sollte diese Leistung gar nicht mehr angeboten werden. Internationale medizinische Fachgesellschaften raten schon seit Jahren davon ab.
Ärzte können frei entscheiden, welche Selbstzahlerleistungen sie anbieten. Wie viele es genau gibt, kann niemand sagen. Der IGeL-Monitor schätzt die Gesamtzahl auf mehrere 100. Patienten hätten berichtet, dass sie Wochen und Monate auf einen Untersuchungstermin warten müssen – für Selbstzahlerleistungen in derselben Praxis aber sofort angenommen würden. Knapp die Hälfte der befragten Patienten hat die Erfahrung gemacht, dass IGeL positiver als die Kassenleistungen dargestellt wurden. Mit dem IGeL-Monitor wollen die Krankenkassen den Versicherten zu mehr Durchblick verhelfen.