Leben und Stil
Merken

„Gendern kann in der Medizin Leben retten“

Die Leipziger Herzchirurgin Sandra Eifert hat gute Gründe dafür, in ihrem Job auf Geschlechtsunterschiede zu achten. Denn weibliche Herzen schlagen anders als männliche.

Von Sylvia Miskowiec
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Prof. Dr. Sandra Eifert ist Herzchirurgin am Herzzentrum Leipzig und widmet sich zudem der Gendermedizin.
Prof. Dr. Sandra Eifert ist Herzchirurgin am Herzzentrum Leipzig und widmet sich zudem der Gendermedizin. © Michael Bader

Herzkrankheiten sind ein Männerding. Könnte man zumindest meinen, denn schließlich trifft es sie häufiger als Frauen. Doch Frauen sterben doppelt so oft daran. Der Herzinfarkt ist Todesursache Nummer eins für Frauen in der westlichen Welt, noch vor Tumorerkrankungen. Grund genug für die Leipziger Herzchirurgin und Leiterin einer der größten europäischen Frauenherzsprechstunden, Sandra Eifert, zusammen mit Medizinerin und Wissenschaftsjournalistin Suzann Kirschner-Brouns ein Buch zu schreiben: „Herzsprechstunde. Warum das weibliche Herz anders ist und wie es gesund bleibt“ ist seit Mitte September im Handel erhältlich.

Frau Prof. Dr. Eifert, was ist so anders am weiblichen Herzen, dass es ein Buch darüber braucht?

Oh, es gibt da viele, wenn auch manchmal sehr feine Unterschiede. Das geht los bei der Größe des Frauenherzens. Es wiegt 250 Gramm, ein Männerherz 300 Gramm. Das kleinere Frauenherz schlägt aber rund zehn Mal mehr pro Minute. Es muss sich also mehr anstrengen, obwohl es weniger muskulös ist als das männliche, weil Männer testosteronbedingt mehr Muskelmasse haben. Weitere Unterschiede liegen in den Risiken, denen es ausgesetzt ist, genauso wie in den Symptomen, in der Diagnostik und dem Verlauf von Krankheiten.

Man sagt ja, Herzinfarkte äußern sich bei Männern anders. Was ist da dran?

Viele Männer haben den typischen Schmerz hinterm Brustbein, der in den linken Arm ausstrahlt. Frauen können, müssen das aber nicht haben. Bei ihnen äußert sich ein Herzinfarkt durchaus unspezifisch, etwa mit Übelkeit, Abgeschlagenheit, Druckgefühl auf der Brust, Schmerzen im Kieferbereich oder im Rücken.

Welchen Risiken ist das Frauenherz ausgesetzt?

Klassische Risikofaktoren für alle sind Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen – sie wirken sich aber je nach Geschlecht unterschiedlich aus. Bei Frauen stehen Bluthochdruck und Zucker im Vordergrund, gravierender als bei Männern. Hinzu kommen psychische Faktoren, weil Frauen sich wortwörtlich oft viel zu Herzen nehmen. Nicht zu vergessen der weibliche Hormonhaushalt und Schwangerschaften inklusive möglicher Komplikationen – solche außergewöhnlichen Dinge erfährt ein männliches Herz nie.

Welche Rolle spielen Hormone?

Frauen haben einen großen Vorteil: Östrogene. Diese Hormone docken quasi am Herz und den Gefäßen an. Sie schützen sie, halten sie elastisch, verhindern Ablagerungen. Sie bewahren Frauen sogar in gewissem Maße vor Fettstoffwechselproblemen und Diabetes. Zumindest bis zu den Wechseljahren, danach sinkt der Hormonspiegel rapide ab. Das gefällt dem Herzen nicht.

Wie äußert sich das?

In Herz-Rhythmusstörungen zum Beispiel. Die Rezeptoren am Herzen, wo die Hormone saßen, werden nicht mehr so gut besetzt. Das spürt das Herz und rebelliert. Nicht zuletzt haben nun andere Risikofaktoren ein leichtes Spiel.

Welche sind das?

Frauen nehmen nach den Wechseljahren oft zu. Der Blutdruck steigt, und der Fett- und Zuckerstoffwechsel kommen aufgrund des neuen Hormonhaushaltes durcheinander.

Und das wiederum hat Auswirkungen aufs Herz ...

Genau. Zudem verdicken sich aufgrund des geringeren Östrogenspiegels nach den Wechseljahren unter Umständen die Gefäßwände. Männer mit Herzproblemen haben an ihren Herzkranzgefäßen häufig eine ganz spezifische Engstelle, bis zu der das Blut gut fließt und es danach zu einer Minderversorgung und einem Blutdruckabfall kommt. Das verursacht die typischen Herzbeschwerden. Frauen dagegen fühlen sich vielmehr schwach. Dass sie das oft auf ihr Alter oder die Hormone schieben, statt sich am Herzen checken zu lassen, verschleiert das eigentliche Problem noch zusätzlich.

Wie wirken sich Schwangerschaften auf das Herz aus?

Zum Glück hat es die Natur so eingerichtet, dass eine Schwangerschaft Frauen nicht über die Maßen belastet. Schwierig wird es allerdings, wenn Komplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck auftreten. Für diese Patientinnen besteht ein circa doppelt so hohes Risiko, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt im Laufe des Lebens zu erleiden als für Frauen, die diese Komplikationen nicht hatten.

In Ihrem Buch schreiben Sie vom Syndrom des gebrochenen Herzens, das „Broken-Heart-Syndrom“. Was verbirgt sich dahinter?

Offensichtlich liegt es in der Natur der Frau, weil sie für die Reproduktion verantwortlich ist, dass sie sich viel zu Herzen nimmt – was dann irgendwann aussteigt. 95 Prozent der Patienten mit dem Broken-Heart-Syndrom sind Frauen, die allermeisten über 50 Jahre alt. Frauenherzen erkranken eher an emotionalem Stress als Männer. Zudem gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen Schwangerschaftskomplikationen und dem Risiko für ein Broken-Heart-Syndrom. Trauer und Verlust, aber auch Mobbing am Arbeitsplatz oder finanziellen Sorgen und starker Stress können Symptome und Schmerzen wie bei einem Herzinfarkt auslösen. Untersucht man die Patientin mit einem Herzkatheter, sind die Herzkranzgefäße jedoch meist völlig unauffällig. Nur die linke Herzkammer zeigt an ihrer Spitze Veränderungen, die auf emotionalen Stress zurückgeführt werden können. Männer dagegen sind durch ihr Testosteron resistenter gegen Gefühlsstress. Das Hormon hilft ihnen, emotionale Themen eher beiseite zu wischen.

Wie kann man das gebrochene Herz heilen?

Man kann es medikamentös angehen. Das ist ein klassischer Fall für die sogenannte Psychokardiologie. Auf jeden Fall sollte der Stress reduziert werden. Immerhin kann sich der Herzmuskel nach einem Broken-Heart-Syndrom wieder vollständig erholen.

Die Medikamente sind dann dieselben wie für Männer?

Ja. Die Dosis ist entscheidend. Besonders bei Herzmedikamenten fällt auf, dass Frauen deutlich mehr Nebenwirkungen spürten, bis hin zu Todesfällen. Vermutlich war die Dosierung zu hoch, auch wenn sie vom Hersteller als Standarddosis so empfohlen wurde – jedoch auf Grundlage von Tests mit männlichen Probanden. Der weibliche Körper aber nimmt Medikamente aufgrund von Hormonen, mehr Fettgewebe und eine andere Verstoffwechslung unter Umständen anders auf. Gendern kann hier Leben retten. Glücklicherweise wird das mehr und mehr erkannt und hält auch in die Ausbildungen der Ärzte und Pflegekräfte Einzug.

Ein weiteres frauenspezifisches Leiden betrifft den Brustkrebs. Inwiefern stresst der das Herz?

Hier kommt es auf die Therapieform an. Eine Operation etwa hat kaum Folgen für das Herz. Chemo-, Immun- und Antikörpertherapie sowie Bestrahlung dagegen schon – für den Herzmuskel, die Kranzgefäße, das Reizleitungssystem, die Klappen. Daher sollte vor einer Krebsbehandlung unbedingt das Herz untersucht werden, um bisher unerkannte Vorschädigungen zu entdecken und die Krebstherapie darauf anzupassen. Nach der Behandlung raten wir Patientinnen, einmal im Jahr beim Kardiologen vorstellig zu werden.

Und was hält Frauenherzen gesund?

Bewegung! Egal, ob Gartenarbeit, Spielen mit den Kindern oder Sport: Bewegung macht das Herz stark und schützt uns vor Krankheiten. Und natürlich: Wer über mehrere Wochen Beschwerden verspürt, sollte diese abklären lassen. Und sich und seine Gesundheit wichtiger nehmen und an erste Stelle setzen.

Sandra Eifert, Suzann Kirschner-Brouns: Herzsprechstunde. Warum das weibliche Herz anders ist und wie es gesund bleibt, 304 Seiten, C. Bertelsmann, 24 Euro