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Ein Schlafmediziner erklärt die Frühjahrsmüdigkeit

Nicht nur die Zeitumstellung macht vielen Menschen zu schaffen. Ausgerechnet auch das zunehmende Licht ist ein Problem, sagt Schlafmediziner Moritz Brandt.

Von Sylvia Miskowiec
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Linien, die den Schlaf deuten – im Schlaflabor der Dresdner Uniklinik wertet Moritz Brandt die Gehirnaktivitäten seiner schlafenden Patienten aus.
Linien, die den Schlaf deuten – im Schlaflabor der Dresdner Uniklinik wertet Moritz Brandt die Gehirnaktivitäten seiner schlafenden Patienten aus. © ronaldbonss.com

Besonders Langschläfern graust es schon vor dem kommenden Sonntag: Die Uhr wird eine Stunde vorgestellt, uns fehlen also 60 Minuten Wochenende. Und womöglich auch noch Schlaf. Denn viele Menschen fühlen sich jetzt im Frühling schlapp und schläfrig. Schlafmediziner wie Moritz Brandt vom Uniklinikum Dresden haben für dieses und andere Schlafphänomene eine Erklärung.

Herr Dr. Brandt, wer sich momentan antriebslos fühlt und am liebsten lange schlafen würde, der sagt häufig, er leide unter Frühjahrsmüdigkeit. Ist dem so?

Frühjahrsmüdigkeit ist kein offizielles Krankheitsbild, aber der Wechsel der Jahreszeiten kann auf jeden Fall einen Einfluss auf unser Befinden haben. Zu Beginn des Frühjahrs etwa reichen die Klagen von Müdigkeit über Antriebslosigkeit bis hin zu Stimmungsschwankungen und Kreislaufproblemen – immerhin klagt in dieser Zeit erfahrungsgemäß rund ein Viertel der Bevölkerung verstärkt über derartige Beschwerden. Verantwortlich für die Leiden sind häufig die wärmeren Temperaturen und das zunehmende Licht.

Warum gerade das zunehmende Licht? Macht das nicht eigentlich wach?

Die Krux liegt in der Geschwindigkeit, mit der die Tage momentan länger werden. Das geht manchem Körper zu schnell! Nicht nur die Tageslänge, sondern auch die Geschwindigkeit der Veränderung variiert im Laufe des Jahres. Gerade jetzt zur Tag- und Nachtgleiche um den 20. März herum gewinnen wir vier, fünf Minuten mehr Licht pro Tag. Der Körper hat unter Umständen zu tun, mit seinen eigenen Prozessen, besonders im Hormonhaushalt, hinterherzukommen. Das dauert in etwa zwei Wochen, dann beruhigt sich das Ganze aber wieder.

Was genau passiert da im Körper, wenn die Tage so schnell zunehmen und wir uns müde fühlen?

Es sind vor allem zwei Hormone, die eine Rolle spielen für unseren Schlaf-wach-Rhythmus: Serotonin und Melatonin. Beide können nicht ohne einander, denn Melatonin wird aus Serotonin gebildet, in einer kleinen Drüse im Gehirn – allerdings erst, wenn es dunkel wird. Daher wird Melatonin umgangssprachlich als Schlafhormon bezeichnet, ist aber eher der Taktgeber des Schlaf-wach-Rhythmus. Der kritische Punkt ist, wenn es morgens hell wird. Normalerweise sinkt dann der Melatoninspiegel und der Serotoninspiegel steigt, das hebt die Stimmung, macht wach. Eigentlich läuft das auch schön synchronisiert ab, aber die relativ rasche Verlängerung der hellen Tagphasen bringt manche Körper, die noch die längeren Dunkelphasen des Winters gewohnt waren, aus dem Takt.

Wie bekommt man da schnell wieder ein Gleichgewicht rein?

Am besten, man beugt dem Ganzen schon im Winter vor: Immer raus an die frische Luft, das Licht wirken lassen, am besten recht schnell nach dem Aufstehen. Selbst an trüben Tagen ist Tageslicht draußen viel mehr wert als künstliche Beleuchtung drinnen. Tageslicht synchronisiert sozusagen die innere Uhr immer wieder, stupst das Pendel zwischen Serotonin und Melatonin zum richtigen Zeitpunkt an. Ein kurzes Nickerchen tagsüber schadet auch nicht, wenn man müde genug ist und nicht unter einer Einschlafstörung am Abend leidet. Es sollte nur nicht zu lang sein, um nicht tagsüber zu viel Schlafdruck abzubauen, der neben der inneren Uhr der wichtigste Regulator unseres Nachtschlafs ist.

Im Herbst nehmen die Tage ähnlich schnell ab, wie sie im Frühjahr zunehmen. Aber kaum jemand klagt über Herbstmüdigkeit, warum?

Wir bekommen mit zunehmender Dunkelheit mehr Gelegenheit zum Ausruhen. Das ist ähnlich dem Reisen in andere Zeitzonen oder der Zeitumstellung. Werden uns Stunden geklaut, leiden wir mehr, als wenn wir welche dazubekommen. Denn eigentlich tickt unsere innere Uhr langsamer: Der Chronobiologe Jürgen Aschoff experimentierte in den 1960er-Jahren mit Freiwilligen, die über Wochen in einem Bunker bei Andechs lebten, ohne Uhr, Radio oder Kontakt nach außen.

Er wollte herausfinden, wie der Mensch im wahrsten Sinn des Wortes tickt, wenn Taktgeber von außen fehlen. Heraus kam: Die Meisten lebten einen 25-Stunden-Tag. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, warum das so ist. Die über das Licht vermittelte Hormonproduktion synchronisiert jeden Tag unsere innere Uhr mit dem durch die Erdrotation vorgegebenen 24-Stunden-Rhythmus.

Wie viel Schlaf ist überhaupt gesund?

Das Schlafbedürfnis eines Menschen ist individuell. Grob gesagt: Genug Schlaf hat bekommen, wer sich am nächsten Tag ausgeruht fühlt und nicht ständig Gefahr läuft, gleich einzunicken. In einem solchen Fall sollte man dem Schlafdruck nachgeben und versuchen, nachts mehr Schlaf zu bekommen. Schlaf nachzuholen funktioniert – und ist ratsam, denn zu wenig Schlaf ist auf Dauer äußerst ungesund: Besonders Menschen im mittleren und höheren Lebensalter, die regelmäßig weniger als sechs Stunden schlafen, haben ein höheres Risiko, Schlaganfälle zu erleiden oder dement zu werden. So ist beispielsweise die Gefahr für Wenig-Schläfer, an Alzheimer zu erkranken, rund 30 Prozent höher.

Woran liegt das?

Während wir schlafen, läuft im Gehirn das Reinigungsprogramm. Gerade, wenn wir tagsüber viele neue Dinge erleben, sind die Nervenzellen im Gehirn sehr aktiv. Dabei hinterlassen sie aber Abbauprodukte wie bestimmte Eiweiße. Diese Proteine lagern sich im Laufe des Tages in den Zwischenräumen der Nervenzellen ab. Manche sind schädlich und begünstigen Krankheiten wie eben Alzheimer. Während des Schlafes werden deutlich weniger Abbauprodukte gebildet und zudem erweitern sich die Zwischenräume, sodass diese durchgespült und gereinigt werden. Verschiebt sich das Gleichgewicht von Wach- und Schlafphasen zuungunsten des Schlafs, lagern sich mehr Proteine im Gehirn ab, die die Nervenzellen schädigen.

Und wenn man nachts mal aufwacht?

Das hält diesen Prozess in der Regel nicht auf. Es gibt immer kurze, sekundenlange Aufwachphasen, an die sich niemand erinnert. Die sehen wir nur im Schlaflabor, wenn wir Gehirnströme sichtbar machen. Manche Patienten wachen bis zu zehnmal pro Stunde ganz kurz auf, das ist nicht ungewöhnlich. Erst ab einer Wachdauer von ein bis zwei Minuten können wir uns morgens überhaupt an solche Phasen erinnern.

Viele Leute klagen über Schlafprobleme. Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ein Arztbesuch empfiehlt sich für alle, die mindestens einen Monat lang wenigstens dreimal pro Woche Probleme beim Ein- und Durchschlafen haben und sich das auch tagsüber deutlich bemerkbar macht. Letzteres ist wichtig, da das primäre Ziel der Behandlung sein sollte, die durch die Schlafstörung verursachten Symptome und Beeinträchtigungen am Tage zu bessern und nicht eine bestimmte Schlafdauer zu erreichen. Zudem können Schläfrigkeit, Konzentrationsstörungen und Leistungsminderung am Tag – trotz subjektiv guten Schlafs – auf Schlafstörungen hindeuten, die häufig erst eine Schlaflaboruntersuchung aufdecken kann. Die Ein- und Durchschlafstörung ist nur eine von vielen krankhaften Veränderungen des Schlafs.

Was macht ein Schlafmediziner?

Wir versuchen, die Ursache für einen gestörten, nicht mehr erholsamen Schlaf, ein krankhaft gesteigertes Schlafbedürfnis oder ungewöhnliches Verhalten während des Schlafs zu finden. Manchmal kann eine Schlaflaboruntersuchung notwendig sein. Im Schlaflabor überwachen wir den Schlaf der Patienten per Video und mit ungefähr 30 an den Körper angeschlossenen Elektroden. So messen wir unter anderem die Gehirnströme und können zum Beispiel Atem- und Bewegungsauffälligkeiten aufdecken. Für jede Schlafstörung existieren verschiedene Therapiemöglichkeiten. Meist bietet sich bei Ein- und Durchschlafstörungen sowohl eine Verhaltens- als auch eine medikamentöse Therapie an. Da kann ich auch beruhigen: Moderne Schlafmittel sind hinsichtlich der Verträglichkeit besser als ihr Ruf. Entscheidend ist aber, dass Nutzen und Risiko einer medikamentösen Behandlung sowie die notwendige Dauer regelmäßig ärztlich überprüft und neu bewertet werden. In schweren Fällen sollte ein Schlafmediziner kontaktiert werden.

Haben Schlafprobleme in den vergangenen Jahren zugenommen?

Ja, seit etwa zehn Jahren beobachten wir einen enormen Anstieg. Eine große Rolle spielt unter anderem die Mediennutzung. Wir sind ständig online, checken nachts noch Mails oder die neuesten Nachrichten. Das bringt uns aus dem Takt. Früher war der Tag vorbei, als es dunkel wurde.