Leben und Stil
Merken

Mehr Gürtelrose nach der Pandemie

1.635 Fälle gab es im letzten Jahr allein in Sachsen. Achim L. litt noch lange nach der Krankheit – und will sich jetzt impfen lassen

Von Stephanie Wesely
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bei einer Gürtelrose breiten sich die Viren entlang der Nervenbahnen aus.
Bei einer Gürtelrose breiten sich die Viren entlang der Nervenbahnen aus. © Symbolbild: dpa/Friso Gentsch

Alles begann mit Bläschen im Rippenbereich, die schmerzten. Ein typisches Symptom für Gürtelrose. Doch mit seinen 54 Jahren war Achim L. eigentlich noch zu jung dafür. Die meisten Patienten sind 60 Jahre und älter. „Doch da meine Mutter zwei Jahre zuvor Gürtelrose hatte, war ich sensibilisiert und ging zum Arzt“, sagt er.

„Wenn sich schmerzhafte Bläschen zeigen, ist die Krankheit meist schon vollständig ausgebrochen. Die Bläschen zeigen an, dass der Nerv bereits entzündet ist. Die Gefahr für Folgeschäden ist dann größer, als wenn die Behandlung vor dem typischen Ausschlag einsetzt“, sagt Dr. Markus Heinemann, Infektiologe und Immunologe aus Stuttgart. Doch in einer frühen Phase werde die Krankheit selten erkannt, denn unspezifische Infektsymptome, lokal begrenzte brennende Schmerzen oder Juckreiz lenkten den Verdacht häufig auf andere Krankheiten. Vor allem, wenn der Patient so jung sei wie Achim L.

Schmerzende, brennende Bläschen zeigen, dass die Krankheit schon vollständig ausgebrochen ist.
Schmerzende, brennende Bläschen zeigen, dass die Krankheit schon vollständig ausgebrochen ist. © GSK

Gürtelrose könne jeden treffen, der schon einmal Windpocken hatte. Das sind mehr als 95 Prozent der heute über 60-Jährigen. Nach einer Windpockeninfektion verschwinden die Herpes-Zoster-Viren nicht aus dem Körper, sondern ziehen sich in die Nervenknoten im Rückenmark zurück. „Ist das Immunsystem zum Beispiel durch psychischen Stress, eine Erkrankung oder schwere Infekte geschwächt, können die Viren reaktiviert werden“, erklärt Dr. Christoph Gallinger, Immunologe bei Impfstoffhersteller GSK. Deshalb werde jetzt nach der Corona-Pandemie auch ein Anstieg der Gürtelrose-Erkrankungen beobachtet – 1.635 Fälle gab es im letzten Jahr allein in Sachsen, 200 mehr als 2021.

Schmerz macht einsam

Familiäre Veränderungen und Stress im Job hatte auch Achim L. „Beim Arzt bekam ich eine Lotion zum Auftragen auf den schmerzenden Hautbereich und Tabletten gegen die Nervenentzündung“, sagt er. Nach einem Monat etwa sei die Gürtelrose abgeklungen. Doch sie war nicht vorbei, wie ihm schmerzlich bewusst wurde: „Beim Schuhe anziehen schoss mir wie aus dem Nichts ein so starker Schmerz in die Seite, die damals von der Gürtelrose befallen war, dass ich kaum atmen konnte.“ Es habe sich wie stärkstes Seitenstechen angefühlt. Und diese Schmerzen kamen immer wieder. Einmal hätten sie nur kurz, dann wieder über Stunden angehalten. „Ich war ständig in Alarmbereitschaft. Die Schmerzen machten mich regelrecht aggressiv, sodass ich mich mehr und mehr zurückzog.“ Da er nachts kaum schlief, war er am Tag nicht leistungsfähig, das verstärkte wiederum die Schmerzattacken – ein Teufelskreis.

Achim L. wurde immer einsamer. „Ich habe es mir nicht zugetraut, Einladungen von Freunden anzunehmen, weil ich immer Angst hatte, von einem neuen Schmerzanfall übermannt zu werden. Irgendwann wird man dann nicht mehr gefragt“, sagt er.

Täglich solche Berichte

Günter Rambach, Vizepräsident der Deutschen Schmerzliga, hört täglich solche Berichte. Mit acht weiteren Ehrenamtlichen berät er Anrufer am Schmerztelefon. „Etwa bei jedem vierten Anruf geht es um Spätfolgen einer Gürtelrose“, sagt er. Bei vielen seien die Schmerzen chronisch, gehen also nicht mehr weg. „Die Patienten erzählen mir von ihrer Verzweiflung und Ausweglosigkeit.“ Das werde von ihnen oft als Erleichterung empfunden, doch Angehörige wollten es meist schon nicht mehr hören. Deshalb sei es gut, dass es solche Möglichkeiten des Austauschs wie das Schmerztelefon gibt.

Gut wirksamer Impfstoff

Doch Gürtelrose und ihre Folgeerkrankungen müssen nicht sein. „Es gibt heute einen sehr gut wirksamen Totimpfstoff, der Studien zufolge zu 92 Prozent vor einer Gürtelrose und zu 82 Prozent vor Folgeschäden schützt. Der Impfstoff selbst kann keine Erkrankung auslösen, das Immunsystem aber zur Bildung von Abwehrstoffen anregen“, sagt Markus Heinemann. Frühere Impfstoffe seien nicht so effektiv gewesen. Die Ständige Impfkommission empfiehlt den Schutz ab dem 60. Lebensjahr. Menschen mit Vorerkrankungen, die das Immunsystem beeinträchtigen, etwa Diabetes, chronische Bronchitis, Asthma oder auch überstandene Krebserkrankungen, sollten sich bereits mit 50 Jahren impfen lassen. Unter diesen Bedingungen übernehmen auch die Krankenkassen die Kosten für die zwei im Abstand von zwei bis sechs Monaten erforderlichen Impfungen.

Sie sind gut verträglich. In den ersten drei Tagen nach der Impfung könnten Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Fieber und Muskelschmerzen auftreten, so Christoph Gallinger. Häufig komme es zu Juckreiz an der Einstichstelle. „Gelegentlich schwellen Lymphknoten an oder Gelenke schmerzen. Solche Impfreaktionen sind in der Regel nur von kurzer Dauer und klingen nach ein bis drei Tagen wieder ab. Sie sind nichts im Vergleich zu den Schmerzen einer Gürtelrose oder einer chronischen Nervenentzündung“, sagt er.

Windpockentest unnötig

Auch Achim L. will sich impfen lassen, denn an Gürtelrose kann man mehrfach erkranken. Ob er als Kind Windpocken hatte, weiß er nicht. Das geht vielen so. Doch eine Blutuntersuchung auf Antikörper wird nicht empfohlen. Laut Robert Koch-Institut werde davon ausgegangen, dass jeder Erwachsene in seinem Leben bereits Kontakt mit Windpocken-Viren hatte. Diese müssen nicht unbedingt eine Erkrankung ausgelöst haben, die Infektion kann auch unbemerkt erfolgt sein.

Viele Kinder erkranken heute gar nicht mehr an Windpocken, weil sie gegen die Infektionskrankheit geimpft sind. Trotzdem können sie im Alter Gürtelrose bekommen. „Nicht durch den Windpocken-Impfstoff, sondern durch unbemerkte Sekundärinfektionen“, sagt Markus Heinemann. Solche Gürtelrose-Erkrankungen fielen aber meist nicht so schwer aus.

Achim L. hat mittlerweile sein altes Leben wieder zurück, wie er sagt. Im Herbst letzten Jahres habe er sich eine Auszeit gegönnt, Seele und Immunsystem in einem längeren Urlaub wieder gestärkt. Er kommt nun ohne Schmerzmittel aus und kann wieder voll arbeiten. Doch nicht alle haben so viel Glück. Jeder zehnte Patient mit einer Gürtelrose-Folgeerkrankung muss mit chronischen Schmerzen leben.

  • Das Schmerztelefon der Deutschen Schmerzliga ist unter der Rufnummer 069 20019019 zu folgenden Zeiten erreichbar: Montags von 9 bis 11 und von 18 bis 20 Uhr, dienstags und donnerstags von 10 bis 12 Uhr und mittwochs von 9 bis 11 Uhr.