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Kassen zahlen jetzt Medikationsanalyse

Vor allem Ältere nehmen oft viele Medikamente. Ein neues Angebot in Apotheken soll Wechselwirkungen vermeiden.

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Verträgt sich mein neues Medikament mit den anderen?
Verträgt sich mein neues Medikament mit den anderen? © dpa-tmn

Von Ricarda Dieckmann und Stephanie Wesely

Ein Viertel der Patienten über 70 Jahre nimmt fünf oder mehr Medikamente. Das zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Bei der Medikationsanalyse in der Apotheke wird der Inhalt der Pillendose auf Wirksamkeit und Wechselwirkungen geprüft.

Seit Mitte Juni tragen die Krankenversicherungen die Kosten dafür. Und zwar einmal pro Jahr für alle, die dauerhaft mindestens fünf ärztlich verordnete Medikamente einnehmen. Im Freistaat wird damit ein vergleichbares Projekt abgelöst – die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, kurz Armin, an der Hunderte Ärzte und Apotheken mitwirkten.

Was ist das Problem bei der Einnahme von Medikamenten?

„Bei der Medikation sind häufig mehrere Ärzte beteiligt“, sagt Apotheker Alexander Schmitz. Der Hausarzt verschreibt ein Medikament, der Kardiologe oft noch weitere – und zwar, ohne dass jemand die Medikation in ihrer Gesamtheit im Blick hat. Zwar gibt es durchaus auch die aufmerksame Stammapothekerin, die stutzig wird bei der Kombination von Medikamenten, die sie über die Zeit herausgibt. „Allerdings gehen viele Patienten zu unterschiedlichen Apotheken und haben keine feste Anlaufstelle, um Rezepte einzulösen“, sagt Schmitz. Hier hilft die Medikationsanalyse.

Was ist eine Medikationsanalyse?

Dabei gibt ein Apotheker eine fachliche Einschätzung, ob die Medikamente in ihrer Gesamtheit optimal eingestellt sind. So lassen sich unerwünschte, womöglich sogar gefährliche Wechselwirkungen vermeiden oder Nebenwirkungen mildern. Je mehr Medikamente zusammenkommen, desto wichtiger ist so ein Überblick. Denn bei einigen Menschen sind es eben nicht nur fünf Präparate, sondern auch mal zehn oder fünfzehn. „Das kann gefährlich werden“, so Schmitz.

Was ist der erste Schritt?

Fix zur Apotheke um die Ecke und die Pillendose auf den Tresen legen? Ganz so einfach ist es nicht. „Im ersten Schritt muss man sich vergewissern, dass die eigene Apotheke überhaupt eine Medikationsanalyse anbietet“, sagt Schmitz. Im Zweifel hilft da nur: Bei der Apotheke nachfragen oder auf der Webseite nachschauen.

Wie weit das Angebot verbreitet ist, dazu liegen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände keine Zahlen vor. „Die Zahl der Apotheken, die eine Medikationsanalyse anbieten, dürfte weiter ansteigen“, so Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Ein bisschen dürfte das aber dauern. Denn die Apotheker müssen für dieses Angebot eine Schulung hinter sich haben. Denn eine Medikationsanalyse geht weit über die Beratung hinaus, die man vom Einlösen eines Rezeptes kennt, so Overwiening.

Wie ist das Angebot in Sachsen?

In Sachsen und Thüringen haben Apotheker bereits seit 2016 Erfahrung mit der Überprüfung von Medikationsplänen, denn sie waren Bestandteil des zu Ende gegangenen Projekts der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, kurz Armin. Die Bereitschaft der Apotheken, weiterhin solche Überprüfungen vorzunehmen, dürfte damit größer sein als im Bundesvergleich.

Eine Apotheke ist gefunden. Wie läuft die Analyse nun ab?

Das Vorgehen ist einem Arztbesuch nicht so unähnlich. „Man macht erst einmal einen Termin aus“, sagt Apotheker Schmitz. Dazu gehört auch, mit der Apotheke einen Vertrag aufzusetzen, damit die Krankenversicherung weiß, dass man die Medikationsanalyse dort in Anspruch nimmt. Zum Termin selbst bringt man eine Tüte mit, die durchaus prall gefüllt sein kann. Laut Schmitz füllt man sie nicht nur mit allen ärztlich verordneten Medikamenten.

Auch Nahrungsergänzungsmittel, Selbstmedikation, Arztbriefe, Entlassbriefe aus dem Krankenhaus, Medikationspläne oder Laborwerte sollte man mitbringen. Einzig Medikamente, die im Kühlschrank gelagert werden müssen, sollten zu Hause bleiben. Hier notieren Patienten am besten den genauen Namen und die Wirkstärke. In der Apotheke wird der Inhalt der Tüte dann dokumentiert.

Schmitz stellt den Patienten in diesem Zusammenhang verschiedene Fragen: „Gibt es Beschwerden oder Schmerzen? Schlafstörungen? Wie sehen die Ernährungsgewohnheiten aus? Rauchen Sie und in welchem Maße trinken Sie Alkohol?“ All diese Informationen helfen, ein vollständiges Bild zu bekommen.

Wie gehen die Apotheken vor?

„Im zweiten Schritt prüft der Apotheker die Medikation auf möglicherweise auftretende arzneimittelbezogene Probleme“, erklärt Overwiening. Das sind unter anderem Wechsel- oder Nebenwirkungen oder auch Doppelverordnungen von verschiedenen Ärzten. So entstehen Empfehlungen, wie der Medikationsplan angepasst werden kann. Übrigens: Wer nun denkt, dass in der Apotheke einfach eine Software die gesamte Arbeit erledigt, liegt falsch. „Pharmazie ist komplex – da braucht es immer den denkenden und handelnden Apotheker“, sagt Alexander Schmitz. Und je nach Vorgehen auch verschiedene Datenbanken, Nachschlagwerke und andere Hilfsmittel.

Was passiert nach der Analyse?

Um die Ergebnisse zu besprechen, gibt es in aller Regel einen zweiten Termin. „Wenn der Patient einwilligt, wird auch der Arzt informiert“, sagt Overwiening. „Der Patient erhält einen aktualisierten und vollständigen Medikationsplan.“ Der kann verschiedene Änderungen enthalten. „Eine häufige Folge ist, dass bestimmte Medikamente abgesetzt werden“, sagt Schmitz. „Oft sind das Relikte, die Patienten beibehalten, nachdem sie im Krankenhaus waren.“

Hintergrund: Denn oft bleibt keine Zeit für eine ausführliche Übergabe zwischen Krankenhaus und Hausarztpraxis. Patienten nehmen Medikamente dann einfach weiter, obwohl sie vielleicht gar nicht mehr notwendig sind. Manchmal folgen aber auch kleinere Anpassungen aus der Analyse. Zum Beispiel, dass man eine Tablette künftig zu einer anderen Uhrzeit schluckt. „Cholesterinsenker etwa können für Schmerzen in den Beinen sorgen, wenn sie zum falschen Zeitpunkt eingenommen werden“, sagt Schmitz. Eine kleine Anpassung kann da schon viel Verbesserung bringen.

Was verändert sich für Patienten in Sachsen und Thüringen?

Bis Ende Juni haben in beiden Bundesländern rund 6.300 Patienten vom Arzneimittelprojekt Armin profitiert, wie AOK-Plus-Sprecher Bernd Lemke sagt. 527 Ärzte und 874 Apotheken haben hierbei zusammengearbeitet.

Für die im Projekt eingebundenen mehrfach erkrankten Patienten, die regelmäßig mehr als fünf Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen, bedeutet dies von einem Tag auf den anderen das Ende der elektronisch gestützten, strukturierten Versorgung durch Arzt und Apotheker.

Ziel der am Projekt Armin Beteiligten war es, das strukturierte Arzneimittelmanagement in die elektronische Patientenakte zu integrieren. Doch die technische Umsetzung dieses Projektes geht nach wie vor nur langsam voran.

Patienten in Sachsen und Thüringen beleibt damit nur die neue Möglichkeit, ihre Medikationspläne einmal im Jahr bei einem Apotheker überprüfen zu lassen. Ein Medikationsmanagement wie vorher beim Armin-Projekt ist das allerdings nicht mehr. (dpa/rnw)