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"In Sachsen werden die Wege zum Zahnarzt weiter"

Seit 2019 gibt es rund 300 Zahnarztpraxen weniger in Sachsen. Und der Abbau geht weiter – wenn auch nicht in jeder Region gleichermaßen.

Von Stephanie Wesely
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Josefin Könner ist seit Herbst letzten Jahres die Neue im Team der Zahnarztpraxis Hoy im vogtländischen Falkenstein.
Josefin Könner ist seit Herbst letzten Jahres die Neue im Team der Zahnarztpraxis Hoy im vogtländischen Falkenstein. © David Rötzschke

Wer Zahnschmerzen hat, möchte, dass ihm so schnell wie möglich geholfen wird. Doch das wird in den nächsten Jahren immer schwieriger werden, sagt Dr. Holger Weißig, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen (KZVS). Dann könnten ganze Regionen unterversorgt sein. Im SZ-Gespräch nennt er die Gründe dafür, hat aber auch Lösungsvorschläge parat.

Herr Dr. Weißig, in welchen Regionen Sachsens gibt es aktuell bereits zu wenige Zahnärzte?

Einen Versorgungsgrad von unter 100 Prozent gibt es bereits in der Stadt Chemnitz, im Raum Crimmitschau, in Marienberg, Mittweida und Oschatz. Im Schnitt versorgt ein Zahnarzt in Sachsen 1.350 Einwohner. In den genannten Regionen sind es viel mehr. Im Jahr 2030 wird in fast ganz Ostsachsen, in großen Teilen Mittelsachsens und des Vogtlandes eine Unterversorgung drohen. Die Wege zum Zahnarzt werden dann für viele weiter werden.

Ganze Regionen Ost- und Mittelsachen werden 2023 mit Zahnärzten schlechter versorgt sein.
Ganze Regionen Ost- und Mittelsachen werden 2023 mit Zahnärzten schlechter versorgt sein. © Grafik: Freie Presse

Woran liegt das?

Zum einen liegt das an der Überalterung der Zahnärzte. Im Landkreis Görlitz, im Erzgebirgs- und im Vogtlandkreis sind etwa die Hälfte der Zahnärztinnen und Zahnärzte älter als 60 Jahre. Sie werden in absehbarer Zeit ihre Praxen aufgeben. Weil der Nachwuchs fehlt, wurde bisher nur für jede dritte oder vierte Praxis ein Nachfolger gefunden. Dieser Trend setzt sich weiter fort – nicht nur auf dem Land, auch in sächsischen Großstädten.

Hat das auch Auswirkungen auf den Notdienst? Welche Wegstrecken müssen Patienten dafür zurücklegen?

Zum Notdienst – also der Behandlung von Schmerzpatienten außerhalb der regulären Sprechzeiten – ist zunächst jeder Zahnarzt mit einer Kassenzulassung verpflichtet. Seit Jahresbeginn ist zum Beispiel der Notdienst im Dresdener Norden neu strukturiert – auch aus personellen Gründen. Die Einzugsbereiche sind damit größer. Das hat längere Wege für die Patienten zur Folge. Die Entfernung nach Großenhain beträgt beispielsweise von Moritzburg 23 Kilometer und von Radeburg 20 Kilometer.

Dr. Holger Weißig (66) war bis 2023 als Zahnarzt in eigener Niederlassung tätig. Seit 2005 ist er Vorsitzender der KZVS.
Dr. Holger Weißig (66) war bis 2023 als Zahnarzt in eigener Niederlassung tätig. Seit 2005 ist er Vorsitzender der KZVS. © Norman Paeth/ photastisch.de

Sind solche längeren Wege denn zumutbar, wenn Menschen Schmerzen haben?

Ja. Denn durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen lässt sich das Risiko einer Schmerzbehandlung deutlich reduzieren. Deshalb sind im Ausnahmefall längere Wege vertret- und zumutbar.

Warum gibt es eigentlich weniger Zahnärzte? Ist der Beruf nicht mehr lukrativ genug?

Der Beruf und die Aufgabe sind spannend und verantwortungsvoll. Das erfordert auch eine ständige Weiterentwicklung, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Doch die Rahmenbedingungen stimmen immer weniger. So wurde von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Budget für zahnärztliche Leistungen wieder eingeführt. Im Klartext heißt das, dass Ärzte in unterversorgten Gebieten, die viele Patienten behandeln müssen, ab einem bestimmten Zeitpunkt umsonst arbeiten, weil ihre Leistung nicht mehr honoriert werden. Wenn sie aber Patienten ablehnen, haben diese keine Möglichkeit, bei einem anderen Zahnarzt unterzukommen. Aufgrund der hohen Bürokratielast und fehlendem Fachpersonal wird es für diese Praxen zunehmend schwerer, weitere Patienten aufzunehmen. Das macht die Arbeit unattraktiv.

Zahnarzt Norbert Heinze aus Bautzen geht in den Ruhestand. Trotz langer Suche fand er keinen Nachfolger für seine Praxis.
Zahnarzt Norbert Heinze aus Bautzen geht in den Ruhestand. Trotz langer Suche fand er keinen Nachfolger für seine Praxis. © Steffen Unger

Was hindert Ärzte daran, sich in Sachsen niederzulassen oder tätig zu werden? Es gibt doch bestimmt genügend Absolventen?

Nein. Wir könnten durchaus 50 Prozent mehr gebrauchen. Deshalb sind Landeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Vereinigung im Gespräch mit dem sächsischen Sozialministerium, ob sich die Zahl der Studienplätze erhöhen lässt. Ob ein Zahnarzt in einer bestimmten Region eine Praxis eröffnet, hängt aber auch von der dortigen Infrastruktur ab. Gibt es zum Beispiel Jobangebote für den Ehepartner? Gibt es gute Schulen und Freizeitmöglichkeiten? Hier können die Kommunen selbst viel dazu tun, dass ihre Region für Zahnärzte attraktiv wird. Und dann braucht es noch eine gute Verkehrsanbindung. Wenn in einem Ort nur dreimal am Tag ein Bus hält, haben die Patienten kaum eine Chance, zum Zahnarzt zu kommen.

Um Berufsnachwuchs für die Allgemeinmedizin zu gewinnen, hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen eine Landarztquote durchgesetzt. Damit haben auch Bewerber ohne Einser-Abi eine Chance, Arzt zu werden, wenn sie zusichern, in unterversorgten Gebieten zu arbeiten. Warum machen Sie so etwas nicht?

Auch wir Zahnärzte sind mit der Landesregierung im Gespräch, um für unseren Berufsstand ebenso eine Landzahnarztquote zu etablieren. Als weitere Maßnahme gibt es für Vorbereitungsassistenz-Zahnärzte eine gemeinsam von Zahnärzteschaft und Krankenkassen finanzierte Unterstützung, wenn sie in Praxen arbeiten, die in schlecht versorgten Regionen liegen. 800 Euro gibt es da pro Monat. Doch das Geld allein reicht nicht, wie ich schon sagte. Es gehört auch Infrastruktur dazu.

Im letzten Jahr hat sich die Zahnärzteschaft mit der Aktion „Zähne zeigen“ gegen die Sparpolitik zusammengeschlossen. Was haben Sie inzwischen erreicht?

In den meisten Bundesländern ist die Budgetierung und damit die Kürzung der Leistungen so geblieben, wie sie war. Das betrifft vor allem die Parodontitis-Behandlung. Die Zahnärzte haben also nicht das Gewünschte erreicht. In Sachsen ist das anders. Unsere Krankenkassen vertreten die Einstellung, dass vor allem durch die umfassende Nachsorge – was ja eine neu eingeführte Leistung war – die Zahl der Neuerkrankungen oder Rückfälle sinkt. Damit werden auf längere Sicht Kosten gespart. Wir haben im Freistaat Lösungen gefunden, dass die Parodontitis-Behandlung wie in den letzten Jahren fortgeführt und finanziert werden kann. Damit können auch Behandlungen neu begonnen werden. Das rechne ich unseren Krankenkassen in Sachsen hoch an, weil es eine Ausnahme in Deutschland ist.