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Ex-Abhängiger, Kifferin, Mutter: Drei Sachsen über ihre Erfahrungen mit Cannabis

Das umstrittene Cannabis-Gesetz wird zum 1. April gelten. Drei Sachsen erzählen, wie die Droge ihr Leben beeinflusst oder verändert hat.

Von Susanne Plecher
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Bleibt es bei den Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, darf es ab 1. April ganz offiziell in vielen Gassen dampfen.
Bleibt es bei den Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, darf es ab 1. April ganz offiziell in vielen Gassen dampfen. © dpa Deutsche Presse Agentur

Am Freitag wird im Bundesrat über das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis abgestimmt. Das Vorhaben ist auch in Sachsen nicht unumstritten. Tom Müller aus dem Oberland, der sich aus der Abhängigkeit gekämpft hat, hält die Legalisierungspläne für gefährlich. Ramona Paul aus Bautzen, Kifferin seit 30 Jahren, hofft sehr, dass das Gremium nicht bemüht wird. Und Maria Schröter, Mutter eines Abhängigen aus Dresden, ist hin- und hergerissen. Hier schildern sie ihre Meinungen:

Tom Müller: Ohne Cannabis hätte ich ein besseres Leben

Vor 18 Jahren hat Tom Müller aus dem Oberland (Name geändert) seinen letzten Joint geraucht. Doch mit den Spätfolgen wird er bis zu seinem Tod zu kämpfen haben. Aktuell findet er Halt und Hilfe in der Selbsthilfegruppe Oberland. Hier erzählt er seine Geschichte:

„Das Cannabis hatten wir vom Schwarzmarkt über Freunde bezogen. Bei uns in der direkten Grenzregion zu Tschechien war das damals (1998. A.d.R.) schon flächendeckend verbreitet. Jedes Wochenende hat man sich getroffen, mit den Kumpels Pfeife oder Joint geraucht, gelegentlich Alkohol dazu getrunken. Der Rausch war benebelnd und beruhigend. Depressionen oder Halluzinationen hatte ich damals noch nicht.

Es hat nicht lange gedauert, da kamen andere schädigende Substanzen dazu, Ecstasy, Crystal, Pilze. Wir haben alles ausprobiert, was da war. Es gab ja alles. Wir hatten das verharmlost und keinen Respekt davor. Die Märkte sind so strukturiert, dass der Einstieg über Alkohol erfolgt, dann kommt Stück für Stück alles Weitere dazu.

Meine schulischen Leistungen haben nachgelassen, ich war liederlich, faul, unpünktlich, hatte Probleme mit der Konzentration. Ich hab das Gymnasium im ersten Halbjahr der neunten Klasse geschmissen und dann einen Realschulabschluss gemacht und mit drei bestanden. Das hatte ich immer im Hinterkopf, dass ich die Ausbildung nicht völlig vernachlässige und wenigstens mit drei mache. Dass man sagt: „Das ist kein Guter, kein Schlechter.“ So habe ich es dann auch mit meinen beiden Ausbildungen gehalten.

Man denkt immer: Ich hab es im Griff. Aber das stimmt nicht. Der Körper braucht das, es wird immer mehr. Ich war mittelschwer suchtkrank, bin nie komplett abgerutscht. Gedealt habe ich nie, das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Aber ich hatte falsche Freunde, bin von ihnen auch bemaust worden.

Der Suchtdruck nahm dann auch unter der Woche zu. Ich habe Stimmen gehört, die gar nicht da waren, konnte nachts schlecht schlafen, bin depressiv geworden. Dann hat sich meine Freundin von mir getrennt und die ersten Freunde abgewendet. Ich hab gemerkt: Jetzt bist du suchtkrank. Ich musste die Reißleine ziehen. In der Klinik in Großschweidnitz habe ich gleich einen Therapieplatz bekommen. Vier Wochen war ich dort. Zuerst wurde ich mit Tabletten ruhig gestellt, dann gab es viele Gespräche. Die Entgiftung hat mir körperlich keine Probleme bereitet, aber ich war psychisch abhängig. Danach musste ich sechs Monate warten, bis ich in Langzeittherapie gehen konnte. Dafür war ich ein halbes Jahr in Eiberbach bei Heidelberg.

Mit den Drogen habe ich damals (2006, A.d. R.) gleich aufgehört. Alkohol, vor allem Bier habe ich aber noch getrunken, geraucht habe ich auch. Ich war noch nicht auf der Stufe, das alles lassen zu können. Seit zwei Jahren bin ich jetzt komplett trocken. Ich habe dann sehr zurückgezogen gelebt, hatte meine eigene Wohnung, nur wenige Kontakte, war mit mir beschäftigt. Das ging vier bis fünf Jahre, in denen ich arbeitslos war.

Danach konnte ich zu meinen Eltern ein offeneres Verhältnis aufbauen. Mein Vater hat mich zurückgeholt auf unseren Hof, wo ich für mich und meinen Bruder Wohnungen ausgebaut habe. Ich arbeite jetzt im Saisonbetrieb in der Gärtnerei meines Onkels. Meine Familie hat mir Kraft gegeben. Aber ich nehme gegen meine Psychosen immer noch Medikamente. In Absprache mit meinem Arzt will ich sie jetzt ausschleichen lassen.

So sehen erntereife Cannabispflanzen aus. Geraucht werden die getrockneten Blütenstände.
So sehen erntereife Cannabispflanzen aus. Geraucht werden die getrockneten Blütenstände. © dpa

Die Drogen haben meine persönliche Entwicklung verändert, meine Entfaltung minimiert. Ich wäre jetzt ein Anderer, hätte ein besseres Leben, wäre fähiger in allen Sachen. Ich wäre schneller, agiler, gesünder. Heute weiß ich, dass es viel mehr Vorteile hat, clean zu bleiben. Für den Körper und für den Geist, man ist wacher, immer da, kann sich jederzeit ins Auto setzen, hat viel mehr Bereitschaft.

Ich finde die Legalisierungspläne der Regierung sehr gefährlich. Der Schuss geht nach hinten los. Das gepanschte Cannabis auf dem Schwarzmarkt wird immer preiswerter bleiben als das, was es legal zu kaufen geben wird. Jugendliche werden es aus meiner Sicht immer verheimlichen, dass sie kiffen. Aber wenn sie erstmal soweit sind, sinkt die Hemmschwelle, etwas anderes auch mal zu probieren.“

Ramona Paul: "Ich freue mich, nicht mehr kriminalisiert zu werden“

Ramona Paul, 53, aus Bautzen kifft seit 30 Jahren, trotz Wohnungsdurchsuchungen und Führerscheinentzug. Die Menge macht das Gift, sagt sie und erzählt hier ihre Geschichte:

„Ich finde es wunderschön, nach einem Arbeitstag abends gemütlich mit einem Joint runterzufahren. Andere trinken ein Feierabendbier, wir rauchen einen Feierabendjoint. Wir drehen noch gepflegt Zigaretten, seit 30 Jahren. Das ist unser Ritual.

Mein Mann und ich hatten beide in der Familie Alkoholiker gehabt. Deshalb wollten wir nicht dem Alkohol verfallen. Wir trinken ganz selten. Wenn ich im Jahr auf zwei Flaschen Wein und mein Mann auf zehn Flaschen Bier kommen, ist das viel.

Der Kauf von Marihuana birgt immer ein Risiko. Da begibt man sich immer in die Illegalität und Kriminalität. Man muss sich jemanden suchen, der einem was verkauft, hoffen, dass das kein Schwein ist. Am besten kommt man, wenn man von Leuten Eigenanbau kaufen kann, die es selber konsumieren.

Wir wollten nie Cannabis beim Dealer kaufen, weil wir dann ja nicht wissen, was wir bekommen. Hin und wieder haben wir mal in der Tschechei gekauft, aber das war gestreckt und nicht gut. Man merkt das am nächsten Morgen, wenn man verkatert und ein bisschen verschoben aufsteht. Uns ist es wichtig, dass wir biologisch reines Cannabis haben.

Deshalb haben wir entschlossen, uns über das Anbauverbot hinwegzusetzen. Wir hatten ein Zelt in der Wohnung stehen, einen Meter mal einen Meter, sieben Pflanzen haben wir darin angebaut. Das wäre genau im Rahmen des neuen Gesetzes gewesen. Aber es war noch verboten, als unsere Samen, die wir in Holland bestellt hatten, 2019 vom Zoll gefunden worden sind. Das war der Auslöser für zwei Wohnungsdurchsuchungen.

Wenn die Teillegalisierung kommt, freue ich mich am meisten, dass ich wieder zur Gesellschaft gehöre. Mir hat ein Richter bestätigt, dass ich das nicht mehr tue, wenn ich Cannabis konsumiere. Das hat mich sehr geärgert, denn ich bin im Tierschutz und sozial aktiv. Wegen sieben Pflanzen sind von mir Nacktbilder auf der Polizeistation gemacht worden! Ich habe mich schlimmer als ein Schwerverbrecher gefühlt. Ich freue mich, nicht mehr kriminalisiert zu werden. Ich freue mich auch, dass sich die Erwachsenen nicht mehr verstecken brauchen. Auf meiner Arbeitsstelle bin ich die Einzige, die sich outet. Aber ich weiß, dass über die Hälfte meiner 120 Kollegen kiffen.

Im Joint wird auf losen Tabak getrocknetes Cannabis gestreut und zu eine Zigarette gedreht.
Im Joint wird auf losen Tabak getrocknetes Cannabis gestreut und zu eine Zigarette gedreht. © dpa

Neben den Wohnungsdurchsuchungen sind wir fünfmal in einem Jahr von der Polizei angehalten worden. Nach über 30 Jahren unfallfreien Fahrens, ohne Punkte in Flensburg und mit Schadensfreiheitsklasse 20 haben wir beide mittlerweile keine Fahrerlaubnis mehr. Natürlich war im Blut noch was drin, aber das war vom Vorabend. Wenn jemand abends Bier trinkt, darf er am nächsten Tag auch wieder Auto fahren. Ich wünsche mir, dass die Grenzbereiche im Verkehrsrecht noch angepasst werden.

Ich habe eine erwachsene Tochter und einen Enkel und kann es nachvollziehen, dass sich Eltern oder Suchtmediziner wegen der Teillegalisierung Sorgen machen. Dazu gehört eine ordentliche Aufklärung. Das, was wir bisher hatten, ist gescheitert. Wenn das so bleibt, werden die Kinder- und Jugendlichen weiter zum Schwarzmarkt gehen.

Wir haben in Deutschland über 60.000 Alkoholtote jährlich, aber keinen einzigen Cannabis-Toten. Wie gesagt: Die Masse macht das Gift. Der verantwortungsbewusste, ehrliche und offene Umgang damit bringt den Kindern viel mehr, als wenn ich sie in die Illegalität schicke. Alles, was verboten ist, ist interessant. Das weiß doch jeder. Ich bin allerdings nicht dafür, dass chemische Drogen legalisiert werden.

Cannabis ist für mich nicht die Einstiegsdroge, sondern eine Jahrtausende alte Kultur- und Heilpflanze. In meiner langen Cannabis-Erfahrung habe ich noch nie eine andere Droge genommen, keinen Pilz, keine Chemie. Mir reicht mein Cannabis.

Ich weiß, wer alles kifft. Das sind Leute, die stehen im Leben, aber die werden in einer Art und Weise stigmatisiert und diffamiert, die nicht gerechtfertigt ist. Deswegen muss das auch enden. Ich kann nur von meinen Erfahrungen reden. Die waren wirklich gut. Ich möchte beweisen, dass man mit Cannabis ein ganz normales Leben leben kann.“

Maria Schröter: "Mein Sohn ist seit 19 Jahren suchtkrank"

Maria Schröters Sohn hat mit 16 zum ersten Mal gekifft. Jetzt ist er 34 und lebt auf der Straße. Das emotionale Chaos, in das der Dresdner die ganze Familie seither stürzt, reißt nicht ab, berichtet die Mutter, deren Namen wir auf Wunsch geändert haben.

„Ich selbst bin mit der Legalisierung von Cannabis auch hin und her gerissen. Ich habe mich, seit für mich die Suchterkrankung unseres Sohnes sichtbar wurde, immer wieder gefragt: Warum bei uns? Was hat die Droge meinem Sohn geboten, was wir ihm nicht geben konnten? Was hat ihm gefehlt? Und warum ist es beim Probieren nicht geblieben?

Dass er erkrankt ist, haben wir vor zwölf Jahren bemerkt. Da war er 22. Begonnen hat er vermutlich mit 16 Jahren. Anfangs sind wir damit beschwichtigt worden, dass viele Jugendliche sich ausprobieren und abgrenzen wollen. Das beruhigte uns damals. Das Abitur hat er geschafft, dann war er beim Bund und es zog in unsere Familie Ruhe ein. Wir dachten, das Thema hat sich erledigt.

Wir waren so naiv. Es lief ja nun auch gut. Die begonnene Ausbildung ließ uns hoffen. Im ersten halben Jahr hatte er fast nur Einsen. Doch dann begann eine schleichende Veränderung, die wir anfangs gar nicht bemerkten oder bemerken wollten. Unser Sohn hatte an der Ausbildung immer weniger Interesse, schlief lange, war gereizt, sprach von Stundenausfall, blieb anfangs mit Krankenschein und später ohne einfach zu Hause. Auch das Familienleben interessierte ihn immer weniger. Er zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Wieder suchten wir Hilfe, diesmal war es nicht mehr nur Gras.

Seitdem leben wir im ständigen Auf und Ab, eine Achterbahnfahrt für die gesamte Familie. Zwischen Hoffen und Bangen, Arbeit, Arbeitslosigkeit, Wohnung und Wohnungslosigkeit. Ich hätte nie gedacht, wie schnell ein Mensch von jetzt auf gleich auf die Straße gesetzt werden kann. Sicher gab es vorher genug Warnungen, Briefe. Was leider gerade bei Suchtkranken sehr verbreitet ist, ist das Ausblenden der Realität. Briefe werden nicht geöffnet, Schulden nicht beglichen.

Das Desinteresse spiegelt sich in der Regel auch in der Wohnung, soweit die überhaupt noch vorhanden ist. Die äußere Verwahrlosung ist für Angehörige kaum auszuhalten. Oft gleichen die Wohnungen Suchtkranker einer Messi-Bude. Körperpflege, Kleidung werden je nach aktuellem Zustand immer unwichtiger. Viele Suchtkranke sind eigentlich wesentlich jünger als sie aussehen.

Zusammen mit meinem Mann besuchen wir seit 2012 regelmäßig die Selbsthilfegruppe Anker in Dresden, ein Treffpunkt für betroffene Eltern und Angehörige. Dort können wir uns im geschützten Raum über unsere Sorgen und Ängste austauschen. Man überlegt über die Jahre genau, wo kann ich was erzählen, wo bin ich lieber still. Aber auch unser normaler Alltag, Familie, Arbeit läuft ja parallel zur Suchterkrankung weiter.

Wie oft erzählen Angehörige in der Gruppe von Situationen, wo es zu verbalen bis zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist, wie oft es Besuch von der Polizei gab oder wie oft Nachrichten, dass gerade wieder etwas Furchtbares passiert ist, Verletzungen, Krankenhauseinweisungen. Wie oft sind Angehörige froh, dass ihr Kind endlich in der Klinik ist, endlich auf Therapie und wie oft sind sie enttäuscht, dass er oder sie sie (wieder) vorzeitig abgebrochen hat. Und dann geht man, nachdem mal wieder eine Hiobsbotschaft eingetroffen ist, auf Arbeit, macht seinen Job. Irgendwie geht der Alltag ja für alle weiter. Ich frage mich oft, wie lange das auch für Angehörige zu ertragen ist.

Ich glaube nicht, dass sich unsere Kinder Gedanken über das Morgen machten, als sie zum ersten Mal einen Joint rauchten oder eine Pille einwarfen. Es heißt, nicht die Droge allein mache süchtig. Es ist die innere und psychische Leere, der Versuch, in der zunehmend digitalisierten Welt, der Entfremdung von uns selbst, von der Natur, der Regellosigkeiten, dem Mangel an Halt und Sicherheit, seinen Platz zu finden. In meinen Augen ist am Ende nicht die Frage von Bedeutung, ob Cannabis legalisiert wird oder verboten bleibt. Drogen sind austauschbar. Wir brauchen ausreichend und geeignete Therapiemöglichkeiten. Auch für die Angehörigen. Sie warten ein halbes Jahr auf einen Platz.“