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Erster Sachse erhält ein komplett künstliches Herz

Schwere Herzschwäche endet oft tödlich, weil Spenderorgane fehlen. Ein Dresdener hat dank neuester Technik überlebt, die erst 25 Mal benutzt wurde.

Von Stephanie Wesely
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Das Kunstherz (vorn) steht zur Implantation im Herzzentrum Dresden bereit. Das Chirurgenteam arbeitet unter Hochdruck. Ist das natürliche Herz erst entfernt, gibt es kein Zurück mehr.
Das Kunstherz (vorn) steht zur Implantation im Herzzentrum Dresden bereit. Das Chirurgenteam arbeitet unter Hochdruck. Ist das natürliche Herz erst entfernt, gibt es kein Zurück mehr. © Volker Schmidt

Max Michael aus Dresden kann schon wieder langsam die Gänge des Herzzentrums der Uniklinik Dresden entlanggehen. „Ich freue mich über jeden Meter mehr, den ich schaffe“, so der 57-Jährige. In ihm schlägt seit dem 31. August ein knapp ein Kilogramm schweres Kunstherz. Es wiegt damit etwa dreimal so viel wie ein natürliches. Das Kunstherz ist über ein Kabel, das seinen Brustkorb verlässt, mit einem Akku-System außerhalb seines Körpers verbunden.

Ein Zustand, den Max Michael erst für sich akzeptieren muss, weil es nichts Alltägliches ist, wenn sein Leben von einem Akku abhängt. Deshalb möchte er auch seinen richtigen Namen nicht nennen, auch noch keine Fotos von sich in Zeitung und Internet sehen. „Ich will mir erst sicher sein, dass ich alles gut überstanden habe und das Kunstherz richtig funktioniert“, sagt er.

30.000 Tote jährlich

Doch danach sieht es zum jetzigen Zeitpunkt aus. „Es läuft alles nach Lehrbuch“, sagt Professor Klaus Matschke, Herzchirurg am Herzzentrum Dresden. Noch bewegt der Physiotherapeut den Wagen, auf dem der Akku steht. In Kürze, wenn der Patient nach Hause entlassen wird, befindet sich die Stromquelle in einer Tasche mit der Größe eines Schuhkartons. Ein Akku hält etwa vier Stunden. Ein zweiter steht in Reserve bereit.

„Das sind zweimal vier Stunden Freiheit, die es vorher für den Patienten nicht gab“, sagt Dr. Ephraim Winter. Der Kardiologe hat Max Michael von Beginn an betreut. Der Patient hätte unter extremer Atemnot gelitten und konnte sich trotz herzstärkender Medikamente nicht belasten. Immer wieder lagerte sich Wasser in seinen Körper ein, und das Herz pumpte immer schlechter. Ursache dieser schweren Herzschwäche waren verengte und verschlossene Herzkranzgefäße – eine koronare Herzkrankheit. Obwohl er gesund lebt, rank und schlank ist, leidet er daran.

Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, aber auch Herzrhythmusstörungen haben oft eine Herzschwäche zur Folge. 30.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich daran. „Meist sind das Patienten im höheren Lebensalter“, sagt Professor Axel Linke, Ärztlicher Direktor des Herzzentrums. Und die Herzschwäche nehme immer weiter zu. „Im Jahr 2045 rechnen wir mit 100.000 Erkrankten in Sachsen, davon 35.000 so schwer, dass sie auf Unterstützungssysteme angewiesen sind.“

Erst 25 Herzen weltweit ersetzt

Ohne das Kunstherz wäre Max Michael gestorben. „Wir wollten zunächst versuchen, die Durchblutung des Herzens mithilfe von Stents oder Bypässen wiederherzustellen. Doch bei ihm war schon viel Herzmuskelgewebe abgestorben und vernarbt“, sagt Ephraim Winter. Eine Bypass- oder Stent-Implantation hätte keine Verbesserung gebracht. Für Max Michael kam nur noch ein Spenderherz in Frage. „Da er unter 65 Jahre alt und sonst körperlich und psychisch gesund ist, wurde er auf die Transplantationsliste genommen“, erklärt Klaus Matschke. Doch die Warteliste ist lang. Im Schnitt warten die Menschen zwei Jahre, viele überleben diese Zeit nicht.

Am sogenannten Herzinsuffizienzboard, an dem einmal wöchentlich Ärzte aller Fachdisziplinen über Therapieoptionen für Patienten mit schwerer Herzschwäche beraten, wurde die Entscheidung zur Implantation des neuen Kunstherzens getroffen. Es wird in Frankreich hergestellt. Max Michael war der dritte Patient in Deutschland, dem ein solches Kunstherz eingesetzt wurde, der erste in den neuen Bundesländern. 25 Kunstherzen wurden weltweit implantiert, die meisten in den USA.

„Dieses System gilt als erstes wirkliches Kunstherz, weil es das kranke Organ komplett ersetzt“, sagt Matschke, dessen Team den Patienten auch operiert hat. Bisher habe man unter dem Begriff Kunstherz sogenannte Unterstützungssysteme verstanden, die seit etwa zwölf Jahren im Einsatz sind. Sie übernehmen nur einen Teil der Arbeit des Herzens, die Pumpfunktion zum Beispiel. Doch bei Max Michael hat das ganze Herz nicht mehr funktioniert. Er hätte bis zu einer Organübertragung mit einer Art Herz-Lungen-Maschine leben müssen. Das neue Kunstherz bot ihm eine Chance bei guter Lebensqualität.

Blick in die Plastikbox: Das Kunstherz ist fertig aufbereitet für die Implantation. Das Kabel für die Stromversorgung wird durch den Brustkorb nach außen geleitet.
Blick in die Plastikbox: Das Kunstherz ist fertig aufbereitet für die Implantation. Das Kabel für die Stromversorgung wird durch den Brustkorb nach außen geleitet. © Volker Schmidt

Das Kunstherz arbeitet physiologisch wie ein menschliches Herz: Es pulsiert, es reguliert sich selbst und ist mit Blut kompatibel. Es simuliert die Natur mithilfe von biologischen Materialien und Sensoren. „Während andere Unterstützungssysteme den Takt des Lebens vorgeben, passt sich das Kunstherz dem Lebensrhythmus seines Trägers an. In der Nacht schlägt es langsamer als bei Aktivität – ein Wunderwerk der Technik“, so Herzchirurg Matschke. Es hat einen weiteren Vorteil: Aufgrund der anpassungsfähigen Materialien ist keine dauerhafte Blutverdünnung mehr notwendig. Gerade eine hoch dosierte Blutverdünnung sei oft die Ursache für Hirnblutungen, die dann zum Schlaganfall führten. Der Nachteil des Gerätes liegt aber in der externen Stromversorgung. Das Kabel ist eine Eintrittspforte für Infektionen.

Keine dauerhafte Lösung

Das Kunstherz kostet rund 240.000 Euro. Hinzu kommt der stationäre Aufenthalt, der etwa zwei Monate gedauert hat. „Wir haben die Krankenkassen über diese neue Möglichkeit der Herzschwäche-Behandlung informiert und sie hatten Vertrauen zu dieser Technologie“, so Jörg Scharfenberg, Geschäftsführer des Herzzentrums. Zugelassen sei es nur für Patienten auf der Transplantationsliste, also solche mit Herzschwäche im Endstadium. Bislang gilt das Kunstherz auch nur als Brückentechnologie, bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Es hat eine Lebensdauer von etwa fünf Jahren.

Doch die Wissenschaft arbeitet daran, die Geräte auch als Dauerlösung zu entwickeln. Mit Blick auf den steigenden Bedarf an Therapieoptionen für Patienten mit schwerer Herzschwäche sicher eine lohnende Investition. Wichtig ist es, die Akkus im Körper platzieren zu können. Auch unterschiedliche Größen sind nötig, denn momentan hat das Kunstherz gar nicht in jedem Brustkorb Platz.

Max Michael weiß, dass die Wissenschaft neugierig jeden seiner Fortschritte verfolgt. Rund um die Uhr ist er in Überwachung durch die Kardiotechniker im Herzzentrum. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind ebenfalls nötig. Doch diese Termine werden ihm jetzt versüßt. Denn er hat mit seinen Herzchirurgen eine Wette abgeschlossen: Wenn er die OP gut überstehe, seien sie ihm ein Eis schuldig. Jetzt bekommt er bei jedem Treffen eins.