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Wenn die künstliche Intelligenz Krebszellen zählt

Die Arbeit von Pathologen ist häufig zeitaufwendig. Lernfähige Maschinen sollen sie nun unterstützen.

Von Jana Mundus
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Krebszellen aufwendig selbst zu zählen, gehörte für Daniela Aust und Gustavo Baretton vom Institut für Pathologie der Uniklinik Dresden lange zum Alltag. Jetzt hilft ihnen KI.
Krebszellen aufwendig selbst zu zählen, gehörte für Daniela Aust und Gustavo Baretton vom Institut für Pathologie der Uniklinik Dresden lange zum Alltag. Jetzt hilft ihnen KI. © Marion Doering

Dresden. Rote Punkte zählen – das klingt erst einmal einfach. Doch was Daniela Aust und Gustavo Baretton da tun, ist zeitaufwendig. Der Direktor des Instituts für Pathologie und seine Stellvertreterin zeigen am Mikroskop, was tägliche Arbeit von Pathologen überall auf der Welt ist. „Das hier sind Gene, das hier sind Zellen“, erklärt Baretton und weist auf das Wirrwarr aus Punkten, das über das Mikroskop auf dem Computerbildschirm zu sehen ist.

Es ist eine Aufnahme, die deutlich macht, wie stark sich Tumorzellen bereits im Gewebe ausbreiten. Ein wichtiges Instrument, um eine Diagnose zu stellen. Wie stark ist der Krebs schon fortgeschritten? Welche Therapien sind notwendig? Welche Heilungschancen bestehen? Doch dafür müssen zuerst viele rote Punkte gezählt werden, ganz ohne technische Hilfe. Das kostet Zeit. Wertvolle Zeit, die Krebspatienten nicht haben. Doch die Pathologen bekommen nun Unterstützung – von einer künstlichen Intelligenz.

Falk Zakrzewski ist Trainer. Nicht für Menschen, sondern für Maschinen. Ursprünglich hatte er eigentlich Biologie in Dresden studiert. Später spezialisierte er sich jedoch auf Bioinformatik. Ihn faszinierte, was mit modernster Technologie beispielsweise bei der Entschlüsselung von Genomen möglich ist. Später wechselte er ans Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Dresden.

Dort entstand die Idee, solche technologischen Möglichkeiten im Bereich der Tumordiagnostik zu etablieren. An diesem Projekt war auch die Pathologie beteiligt, und Zakrzewski kam erstmals mit diesem medizinischen Fachgebiet in Berührung. „Die Pathologen müssen vieles noch händisch machen“, schildert Zakrzewski ein Problem. Die Frage war also: Wie lässt sich das eventuell vereinfachen?

Training für das Computerhirn

Die Lösung sind neuronale Netzwerke. Lernende Maschinen, die Stück für Stück verinnerlichen, was sie zu sehen bekommen. Eine künstliche Intelligenz, oder KI, die auf Basis von Mathematik und Algorithmen agiert. „Ich war damals noch Neuling in diesem Thema, aber die Experten für KI saßen nur 50 Meter vom Institut für Pathologie entfernt.“ Am dortigen Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik findet er Informatiker, die den künstlichen Intelligenzen durch Programmierung Leben einhauchen. Der Rest ist ein bisschen wie Sport – und viel Kommunikation.

So wird Falk Zakrzewski in den Folgejahren zum Übersetzer zwischen Computerexperten und Medizinern. Schritt für Schritt tasten sich alle Beteiligten an eine Lösung für die Aufgabenstellung in der Pathologie heran. „Wir mussten der KI beibringen, was auf solchen Mikroskopaufnahmen zu sehen ist“, erläutert er. Die zu untersuchenden Tumorgewebe werden für eine Untersuchung eingefärbt, um besser erkennen zu können, wie sie aufgebaut sind.

Mit speziellen Trainingssätzen von Bildaufnahmen, auf denen vorab Pathologen schon gezählt und markiert haben, lernt die KI. Was ist eine Tumorzelle, was ist keine Tumorzelle? Was ist Krebsgewebe und was nicht? „Wir können sogar den Lernfortschritt messen“, erklärt der Bioinformatiker. Heute erkennt das System Zellkerne und Gene und kann sie zählen. Bis nächstes Jahr soll das Verfahren noch ausgiebig getestet werden, dann könnte es in die breite Anwendung kommen. „Bisher läuft alles sehr gut.“

Bioinformatiker Falk Zakrzewski ist Trainer für die Künstliche Intelligenz. Deren Unterstützung hilft auch Daniela Aust, wichtige Zeit zu sparen.
Bioinformatiker Falk Zakrzewski ist Trainer für die Künstliche Intelligenz. Deren Unterstützung hilft auch Daniela Aust, wichtige Zeit zu sparen. © Marion Doering

Es gehe nicht darum, Pathologen zu ersetzen, unterstreicht Zakrzewski. Im Gegenteil: Die KI soll sie unterstützen. Das wird in Zukunft noch wichtiger werden. „Die Menschen werden älter, Krebserkrankungen häufen sich.“ Die Expertise von Pathologen würde künftig noch mehr gefragt sein als heute. Auch wenn am Krankenbett Onkologen die Patienten betreuen, ist die Arbeit der Pathologie gerade für die Therapieentscheidung essenziell. „Auch durch die mehr und mehr personalisierte Medizin wird der Arbeitsaufwand in den Pathologien größer.“ Indem die KI für die Mitarbeiter dort zählt, kann Zeit gespart werden, die für all diese zusätzlichen Aufgaben nötig ist.

Es steckt Potenzial in dieser Entwicklung. Das war den Beteiligten aus Medizin und Informatik schnell klar. Schon vor ein paar Jahren wurde mit der Firma Asgen deshalb ein Unternehmen aus der TU Dresden ausgegründet, das das entstandene Produkt nun vermarktet. „Bereits nach unseren ersten Veröffentlichungen zu dem Thema war die Resonanz sehr groß“, erinnert sich Zakrzewski, der heute für die Produktentwicklung bei Asgen zuständig ist.

Auch andere Disziplinen haben Interesse

Der KI-Ansatz ließe sich längst nicht nur bei der Untersuchung von Tumorgewebe einsetzen. „Das Prinzip, Computern Bilder zu zeigen und eine künstliche Intelligenz zu trainieren, funktioniert ja auch in vielen anderen Bereichen.“ So sind die Experten beispielsweise auch mit Radiologen im Gespräch, die Frauen hinsichtlich einer Brustkrebs-Erkrankung untersuchen. Auch Aufnahmen des Brustgewebes könnten mithilfe der Algorithmen schneller analysiert werden.

Es gibt also noch viel zu tun, und die Asgen-Gründer hoffen, dass das auch bald Investoren erkennen. Die Idee und die Firma sollen wachsen. „Wir wollen das hier entwickelte Wissen gern auch hier halten“, sagt der Bioinformatiker. Die KI zählt, der Patient gewinnt Zeit.