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Wie viel Platz braucht eine Sau?

Der Bundesrat entscheidet nach langem Hin und Her über die Kastenstände in der Schweinezucht. Bauern laufen Sturm.

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Schweine in einem konventionellen Kastenstall.
Schweine in einem konventionellen Kastenstall. © Friso Gentsch/dpa

Von Hanna Gersmann

Berlin. Die Sau hat ein Recht auf mehr Platz im Stall. Sie muss sich zumindest mit ausgestreckten Beinen ungehindert auf die Seite legen können. Das hat das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt schon im Jahr 2015 entschieden. Heißt: Landwirte müssen ihre Sauen aus den üblichen, mit 70 Zentimetern Breite sehr engen Gattern aus Stahlstangen, den sogenannten Kastenständen, befreien. Das Gesetz will das sogar schon seit 1988 – so ist es aber bis heute nicht. Doch jetzt soll das Problem gelöst werden.

An diesem Freitag soll der Bundesrat über die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entscheiden. Eigentlich sollte die Abstimmung schon Mitte Februar sein, wurde damals aber kurzfristig von der Tagesordnung genommen, für März geplant und wieder verschoben. Der Fall zeigt, wie weit die Meinungen darüber auseinandergehen, wie viel Tierschutz im Stall möglich und nötig ist.

Landwirte haben für Freitag zu einer Demonstration aufgerufen. Sie fürchten wirtschaftliche Einbußen und ihre Ställe teuer umbauen zu müssen. Die Verbraucherorganisation Foodwatch und die Bürgerbewegung Campact warnten indes vor „einem faulen Kompromiss“, ihnen gehen die geplanten Vorgaben nicht weit genug.

Umdrehen nicht möglich

Bisher läuft es für die knapp zwei Millionen Zuchtsauen Deutschlands so: Soll eine Sau trächtig werden, wird sie künstlich besamt. Dazu wird sie im sogenannten Deckzentrum in den Kastenstand gesperrt. Dort bleibt sie dann maximal vier Wochen, kann einen Schritt nach vorne, einen nach hinten machen. Umdrehen aber ist nicht möglich. Das Procedere soll vor allem dafür sorgen, dass der Befruchtungserfolg groß ist, die Sau trächtig bleibt.

Etwa eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin kommt die Sau dann in einen Kastenstand in der Abferkelbucht, wie Landwirte sagen. Sie bringt dort ihre Ferkel zur Welt, das sind so zehn bis 14. Sie säugt sie dort bis zu 28 Tage. Dabei trennt ein Gitter die Mutter von ihren Ferkeln. Die Kleinen können sich zwar bewegen und unter den Stangen an die Zitzen ihrer Mutter gelangen. Die Mutter hat aber keinen weiteren Kontakt zu ihnen. Die großen Schweine könnten ihre Ferkel so nicht erdrücken, argumentieren die Befürworter. Im Jahr geht das zwei- bis dreimal so, so oft kann die Sau trächtig werden.

Nun sollen die Gattter etwas größer und die Zeit in ihnen verkürzt werden, von vier Wochen auf eine Woche im Deckzentrum und von 35 Tagen auf höchstens fünf Tage im Abferkelbereich. So hat es die Bundesregierung vorgeschlagen. Allerdings wollte sie den Bauern noch einmal 17 Jahre Zeit geben, um sich auf die neuen Regeln einzustellen. Das wollten vor allem die grün regierten Bundesländer nicht mitmachen.

Viele Jahre Zeit zum Umbau

Denn eigentlich fordern die Grünen „einen Abschied vom Kastenstand“. Der grüne Agrarminister Schleswig-Holsteins, Jan Philipp Albrecht, hat sich laut Insidern nun aber mit dem CDU-geführten Agrarressort in Düsseldorf auf einen Kompromiss geeinigt. Danach sollen die Landwirte nun acht, im Härtefall zehn Jahre Zeit bekommen, um ihre Ställe vollständig saufreundlicher einzurichten. Dass sich die anderen Agrarminister darauf einlassen, galt am Donnerstagnachmittag als ziemlich wahrscheinlich, die Beratungen liefen aber noch.

Bei der Abstimmung im Bundesrat zur Zukunft der Sauenhaltung hofft die Branche auf einen Kompromiss unter den Landesregierungen. Ein Scheitern würde letztlich den Trend beschleunigen, dass die Sauenhaltung und damit die Ferkelerzeugung aus Deutschland ins Ausland abwandere, sagte der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Werner Schwarz, am Donnerstag in einer Video-Pressekonferenz. Vor allem familiengeführte Betriebe sähen dann keine Perspektive mehr. Noch im Jahr 2000 lieferten seinen Angaben zufolge die Niederlande und Dänemark 2,5 Millionen Schweine nach Deutschland. Inzwischen seien es elf Millionen Ferkel pro Jahr.

Der Umbau koste insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro, rechnete das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits vor. Im Konjunkturpaket, mit dem die schwarz-rote Koalition die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie eindämmen will, sind 300 Millionen Euro für „Tierwohl gewährleisten“ veranschlagt. Der Betrag soll demnach „auch helfen, das so genannte Kastenstandurteil zeitnah umzusetzen“. (mit dpa)