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Zwischen Predigt und Journalismus: Peter Hahnes Corona-Abrechnung in Görlitz

Das gab es selten an einem Wochenende in Görlitz: Mit Peter Hahne und Peter Voß erklären zwei frühere ZDF-Journalisten die Welt. Und zeigen, wie verschieden Journalismus sein kann.

Von Sebastian Beutler
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Peter Hahne in seinem Element am Rednerpult im Görlitzer Tivoli, Heimstatt der Freien evangelischen Gemeinde.
Peter Hahne in seinem Element am Rednerpult im Görlitzer Tivoli, Heimstatt der Freien evangelischen Gemeinde. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Als es noch keine sozialen Netzwerke gab, also so vor 30 Jahren, da prägten Nachrichtenmoderatoren wie Peter Voß und Peter Hahne den Blick auf die Welt. Beide haben damals beim ZDF Nachrichtensendungen moderiert, Voß ging später zum Südwestfunk und wurde Intendant, Hahne ging ins Berliner Hauptstadtstudio des ZDF. Mittlerweile sind sie beide Rentner und noch immer als Welterklärer im Lande unterwegs.

Doch damit enden die Gemeinsamkeiten, wie am Wochenende in Görlitz zu erleben war. Der Zufall wollte es, dass sie mit dem Abstand von 24 Stunden in der Stadt auftraten, Voß im Gespräch mit dem polnischen Publizisten Kazimierz Woycicki in der Görlitzer Synagoge, Hahne als Alleinunterhalter im Görlitzer Tivoli, der die Heimstatt der Freien Evangelischen Gemeinde ist.

Peter Voß stellte erst Gedichte in Görlitz vor und diskutierte dann in der Görlitzer Synagoge.
Peter Voß stellte erst Gedichte in Görlitz vor und diskutierte dann in der Görlitzer Synagoge. © Paul Glaser

Nur rund 30 Interessierte wollten Voß am Sonnabendnachmittag erleben. Es war ein Parforceritt durch die deutsche und europäische Geschichte seit 1989, vom Mauerfall über den Irak-Krieg bis hin zum Verhältnis mit Russland und Amerika. Voß wägte seine Worte ab, illustrierte mit eigenen Erlebnissen, blieb aber der auf Distanz achtende, in seinem Urteil zurückhaltende Journalist.

Das machte seine Äußerungen nachdrücklich. Etwa, wenn er die gegenwärtige Mentalität in Russland mit der in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verglich. Auch Deutschland hielt sich damals für unbesiegt, von Verrätern hintergangen. Russland und Putin wiederum hätten eine romantische Vorstellung von der Größe der Nation, eine Sehnsucht nach einem Reich, und deswegen ist in Putins Weltbild kein Platz für eine eigenständige Ukraine.

Dass trotzdem Amerikas Völkerrechtsbrüche wie die Kriege in Vietnam und dem Irak präsenter in Teilen Deutschlands sind als die gleichen Völkerrechtsbrüche Russlands mit den Tschetschenien-Kriegen, dem Einmarsch in Georgien und in den Donbass sowie die Annexion der Krim erklärte Voß mit dem Unbehagen, dass Amerika die Vormacht des Westens ist und Europa zu schwach, um als eigenständige Macht agieren zu können. Voß zeichnete aber ein positives Bild von den Amerikanern. Sie seien die humanste Weltmacht im Vergleich zu den Imperien Nazideutschlands oder Stalins Sowjetunion, die amerikanische Demokratie sei fähig zur Selbstkorrektur, unglaublich vital und die einzige Macht, die Russland und China Paroli bieten könne.

Voß kritisiert Sprachpolizei im ZDF

Auf diese Weise meldet sich Voß regelmäßig auch in etablierten Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. Erst am Freitag, als er am Abend in Görlitz eigene Gedichte vorstellte, erschien ein langer Leserbrief in der FAZ, in der Voß den Eingriff des ZDF in den Text von Udo Jürgens Hit "Aber bitte mit Sahne" kritisierte. Der Sender hatte den "Mohrenkopf" in einer Show ersetzt. Voß sieht darin "ein weiteres schönes Beispiel für die Lächerlichkeit semantischer Verrenkungen, in den sich Leute versuchen, die wohl sonst keine Sorgen haben". Wer Peter Hahne am Sonntag in Görlitz hört, glaubt gar nicht, dass so etwas in deutschen Zeitungen erscheint. Und nicht nur als Leserbriefe.

Doch für Hahne steht fest, dass der Großteil der Journalisten in den vergangenen drei Jahren versagt habe, weil er die Corona-Politik nicht stärker hinterfragt hätte. Hahne war zuvor von dem Görlitzer Pastor der Freien evangelischen Gemeinde, Eugen Böhler, gleich zweimal als "kritischer Autor" vorgestellt worden. Dabei galt Hahne in der Zeit, als er noch eine sonntägliche Talkshow im ZDF hatte, als nicht gerade sehr kritisch gegenüber seinen Gästen. Seine ganze Karriere und Bekanntheit hat er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verdanken. Doch in den vergangenen Jahren kommt er nicht mehr so häufig bei den öffentlich-rechtlichen Medien vor, dafür eher bei Bild-TV oder rechtskonservativen Alternativmedien wie dem Blog von Boris Reitschuster, dem vorgeworfen wird, Falschinformationen über die Corona-Pandemie zu verbreiten. Passend dazu liegt im Tivoli die Zeitung „Demokratischer Widerstand“ aus, die als Alternativmedium bei Corona-Protesten verteilt wird und in der Hahne veröffentlicht.

Auch bei Hahne ist das nur eine starke Grippe, die Politik habe mit der Corona-Politik eine Gesellschaft erzeugt, die bis in die Familien unversöhnlich und gespalten sei und die Maske habe sowieso keinen Sinn gehabt. So, wie die Pflicht verordnet gewesen sei, habe sie sogar tödliche Folgen gehabt. Dafür leben aber noch viele Menschen in Deutschland, die die Maskenpflicht befolgt haben.

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Hahnes Rede ist eine Mischung aus legitimer Kritik, Posse und Verschwörungsgeraune. Er greift Themen aus den Corona-Jahren auf, die schon damals umstritten waren und die im Rückblick auch als problematisch angesehen werden, über die auch kontrovers von Medizinern, Ethikern, Politikern und Betroffenen diskutiert wurde, aber er differenziert kaum in seiner Rede. So hört es sich an, als wenn drei Jahre lang die Kirchen geschlossen waren, dabei waren es nur wenige Wochen für alle. Oder die Maskenpflicht im Freien, die nur im Winter 2020/21 galt, oder die Vorschrift, wie viele Menschen sich in einer Wohnung versammeln dürfen. Auch die gab es nur wenige Monate. Gleiches gilt für das Homeschooling.

Hahnes Abrechnung mit den Corona-Jahren

Trotzdem haben diese Maßnahmen auch Folgen, die niemand wollte, aber die tatsächlich eingetreten sind. Deswegen gibt es in Berlin jetzt die Absicht, eine Enquete-Kommission des Bundestages einzusetzen, die sich mit der Corona-Pandemie beschäftigt und Lehren für vergleichbare Ereignisse zieht, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Diese Pläne für die Kommission erwähnt Hahne nicht, aber die Aufarbeitung der Pandemie ist für ihn gleichwohl die "Nagelprobe für den Rechtsstaat". Und er fordert nicht nur Aufklärung über das, was geschah, sondern auch die Übernahme von Verantwortung für das Geschehen. Erst danach könne es Vergebung geben.

Das hört sich wie montags auf dem Postplatz an. Dass Hahne die Montagsdemonstranten schätzt, ist nicht neu. Bei der Verleihung der Ehrenpromotion an der nicht-staatlichen Theologischen Hochschule in Basel hatte Hahne vor fünf Monaten erklärt: "Ich hoffe, das Volk nimmt in den kommenden Monaten den Rat der Ärzte sehr, sehr ernst. Die einzige Möglichkeit, gesund und fit durch die Krise zu kommen: viel Spazierengehen. Das hilft! Vor allem montags. Das stabilisiert das Immunsystem, auch gegen den geistigen Müll." Für Hahne ist auch AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla ein fähiger Politiker, weil er einen Berufsabschluss hat und deswegen weiß, worüber er spricht und mitten im Leben steht. Er nennt ihn in einem Atemzug mit früheren SPD-Politikern wie Georg Leber und Franz Müntefering. Früher galt Hahne als CDU-nah - genauso wie Voß, der steht heute noch dazu und erklärt das auch in Görlitz. Von Hahne hört man das nicht mehr, nur dass er sich mit linken Publizisten gezofft habe.

Evangelisation trifft auf wenig Gegenliebe

Vor allem aber findet Hahne, müssten die Deutschen wieder mehr auf Gott setzen. Wenn er das in Görlitz erwähnt, fällt der Beifall aber vergleichsweise dürftig aus. Nach Evangelisation steht den meisten hier nicht der Sinn. Dabei ist das für Hahne mindestens so wichtig wie das Thema Corona. Auch das hat Tradition. Hahne war engagierter Streiter für die Pro-Christ-Veranstaltungen, schrieb für sehr konservative evangelische Nachrichtendienste und war sogar in Gremien der evangelischen Kirche in Deutschland präsent. Heute ist das nicht mehr der Fall. Doch für Hahne bleibt die Bibel die Bedienungsanleitung Gottes für die Welt. "Wer die Bibel liest, steht auf festem Grund. Das sind Fakten, Fakten, Fakten."

Die sind bei Hahne nicht ganz so zahlreich wie bei seinem erklärten Vorbild. So wirft er der sächsischen Sozialministerin Köpping vor, sie hätte gesagt, wer ungeimpft sei, gehöre in die Psychiatrie. Wenn es sich um ein Zitat handelt, wäre es durchaus interessant von Hahne die Quelle zu erfahren. Möglicherweise bezieht er sich aber auch auf eine Diskussion beim ersten Lockdown im April 2020. Damals hatte Köppings Ministerium in einem Erlass angeordnet, dass quarantänepflichtige Personen als letztes Mittel und mit richterlichem Beschluss abgesondert untergebracht werden. Dafür standen auch 22 Plätze in sächsischen Psychiatrien kurzzeitig zur Verfügung. Doch niemand wurde je aus diesem Grund gegen seinen Willen in eine Psychiatrie eingeliefert in Sachsen, der Erlass nach der Kritik auch schnell abgeändert. Einen Impfstoff gab es aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.

Hahne spricht an diesem Nachmittag weniger in der Art des Journalisten Voß, sondern eher wie Sonntag für Sonntag Eugen Böhler an selber Stelle. Für den Sprecher der Görlitzer Montagsdemonstranten ist Böhler ihr "Haus-und-Hof-Prediger". Dabei hatte Hahne in seiner Basler Rede noch gesagt, wir bräuchten gar keine Hofprediger mehr, für Böhler und dessen Predigten findet er aber nur lobende Worte.

Für Hahne sind Pastoren und Journalisten ohnehin vergleichbar. Sie wollten eine wichtige Nachricht überbringen, müssten zuvor gut recherchieren, packend formulieren und nicht langweilen, sondern die Menschen mobilisieren. Immerhin, das hat Peter Hahne geschafft: Rund 600 Menschen folgten seiner langen Rede im Tivoli sowie an einem Außen-Bildschirm. Sie kamen, nach den Kennzeichen der parkenden Fahrzeuge zu urteilen, aus dem ganzen Kreis Görlitz, aus Bautzen und Dresden. Hahne selbst begrüßte gar Gäste aus dem thüringischen Eichsfeld.