Görlitz
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Hartmut Zenker prägte Oberlausitzer Bibliotheken

Erst leitete er die Zittauer Bibliothek, dann von 1959 bis 1966 die Görlitzer. Jetzt wäre der Schriftsteller 100 Jahre alt.

Von Ralph Schermann
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Ines Thoermer leitet heute die Stadtbibliothek Görlitz. Einer ihrer Vorgänger wäre jetzt 100 Jahre alt.
Ines Thoermer leitet heute die Stadtbibliothek Görlitz. Einer ihrer Vorgänger wäre jetzt 100 Jahre alt. © Fotomontage: SZ-Bildstelle

Als im Jahr 2009 die Görlitzer Stadtbibliothek neu eröffnet wurde, kam es zu einem besonderen Familientreffen, berichtete Christine Wessels: „Denn fast auf den Tag genau vor 50 Jahren zog unsere Familie von Dresden nach Görlitz.“ Frau Wessels Vater war Hartmut Zenker (gestorben 1991), der damals die Leitung der Bibliothek übernahm: „Es begann für uns ein tolles Leben: Unsere Wohnung befand sich in dieser Bibliothek selbst. In den Mittelpunkt rückte ein Leben mit vielen Büchern. Meine Eltern arbeiteten beide in diesem Haus und liebten ihren Beruf über alles.“

Hartmut Zenker hatte nicht nur große Verdienste um den Ausbau der Bibliothek, sondern trug dazu bei, dass ein lebendiges kulturelles Leben stattfand. Bekannte Schriftsteller wie Günter de Bruyn, Jurij Brezan oder Kurt David lasen. Es gab Klavierkonzerte, Fernsehabende, Treffen des Zirkels „Schreibender Arbeiter“.

Hartmut Zenker wäre jetzt hundert Jahre alt. Geboren wurde er am 24. Februar 1922 in Zittau. Er legte 1940 das Abitur ab und studierte zunächst an der Kunstakademie Dresden. Als Soldat geriet er 1945 in Italien in Gefangenschaft, aus der er im November 1946 entlassen wurde. Nach Kriegsende war er Hilfsarbeiter in Jena, besuchte die dortige Fachschule für Bibliothekare und legte 1950 das Examen ab. Von 1952 bis 1954 leitete er die Stadtbibliothek Zittau und war an deren Namensgebung zur „Christian-Weise-Bibliothek“ maßgeblich beteiligt.

Selbstporträt Hartmut Zenkers, entstanden um 1960
Selbstporträt Hartmut Zenkers, entstanden um 1960 © Repro: privat

Nach einigen Jahren an der Bezirksbibliothek Dresden leitete er dann von 1959 bis 1966 die Stadtbücherei auf der Görlitzer Jochmannstraße. Später studierte er an der Berliner Humboldt-Universität Bibliothekswissenschaft und erwarb 1971 das Diplom, war Abteilungsleiter an der Schweriner Bibliothek, ab 1978 freischaffender Schriftsteller und ab 1981 in Dresden sesshaft. Dort kümmerte er sich um literarischen Nachwuchs am Literaturzentrum, wie er auch in seiner Görlitzer Zeit erfolgreich einen Zirkel schreibender Arbeiter geleitet hatte.

Bereits im Jahr 1976 legte Zenker mit Tamara Tanzmann den Gedichtband „Handschriften“ vor. Seinen literarischen Durchbruch erreichte er mit dem Roman „Die Uhr steht auf fünf“ über den Zittauer Theodor Korselt (1979). Zur bibliophilen Kostbarkeit wurde sein Lyrikband „Zeitflug ins Grün“ (1980), den er mit eigenen Aquarellen versah. Überhaupt diente ihm der Schreibstift auch für so manche Zeichnung. Hartmut Zenkers Sohn Lorenz bestätigte das: „Mein Vater war neben seiner umfangreichen schriftstellerischen Arbeit auch anderweitig künstlerisch tätig. Er schuf unter anderem auch viele aquarellierte Görlitzer Ansichten, die sicherlich heute vielen unbekannt sind.“

Zenker forderte in sensiblen Gedichten, darunter dem Band „Fürsprache“ (1987), Leser zum Mitdenken auf. Weitere Arbeiten vereinte der Autor in dem Band „Vorkommnisse“ (1981). In seiner Reiseerzählung „Mit Goethe in Polen“ (1986) ließ er Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfließen, sodass historische wie imaginäre Gestalten gleichsam in einem großen Welttheater agierten. In seinem Roman „Hohe Straße“ (1989) erzählte Zenker das Schicksal des Schriftstellers Hans-Jürgen Münnich und verflocht abermals Gegenwart und Geschichte. 1989 legte Hartmut Zenker den Band „Kornblum und andere Erzählungen“ vor. Der Schriftsteller publizierte auch in Zeitschriften und Anthologien. Sein literarischer Nachlass ist in der Landesbibliothek Dresden gut aufgehoben.