Von Gastautor Thomas Backhaus
Man ahnt es. Noch ist es verhüllt. Planen und Gerüste werden fallen. Das neue Gebäude auf der oberen Jakobstraße wird sein Gesicht bald zeigen. Es wird wohl keine Überraschung geben. Können doch die Görlitzer schon fast vier Monate lang die neue Fassade auf der Bahnhofstraße studieren. Eine Rundfahrt bei übersichtlichem Kreisverkehr bietet dazu eine gute Gelegenheit.
Dass die Senckenberg-Gesellschaft mit einer solchen Großbaustelle in den Wissenschaftsstandort Görlitz investiert, ist ausdrücklich zu begrüßen. Es verdient großen Respekt allen Machern gegenüber. Dass jedoch Fassaden in der Denkmalstadt Görlitz nicht ganz unwichtig sind, zeigen die derzeitigen Reaktionen der Bürgerschaft bei Veränderungen des Stadtbildes. Die moderne in Lehmfarben gehaltene Klinkerfassade an einer der wichtigen Verkehrsadern der Stadt wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich, ist es aber nicht.
Klinkerfassaden, bis dato in Rot, zeigt die Bahnhofstraße mehrfach. Gewerbe- und Industriegebäude, das Parkhaus schräg gegenüber der Baustelle sind Beispiele dafür. Besonders preußische Verwaltungsgebäude am Postplatz wie Amtsgericht und Hauptpost zeigen Architekturqualität vom Feinsten an prominenter Stelle der Stadt. Diese waren scheinbar nicht der Maßstab für Architekten und Städtebauer am Campus von Senckenberg.
Die tolle Idee, die jahrzehntelange Forschungsarbeit des Senckenberg-Institutes zu Böden und Erdschichten durch mehrfarbige Klinker in schwankenden Verlauf in der Fassade deutlich zu machen, verpufft leider in ihrer Umsetzung. Dies geschieht aus mehrfachen Gründen. Gebäudezahl, Maßstab und Proportionen negieren leider die vorherrschende Bebauung der Bahnhofstraße. So lässt die große, undifferenzierte Länge der Straßenfront das Gebäude als „langen Schlitten“ erscheinen. Eine einfache senkrechte Zäsur, einen kleinen Rücksprung oder eine intelligente Differenzierung des Eingangsbereiches hätte zumindest zu einer modulhaften Fassade geführt. Diese wäre für das menschliche Auge erfassbar und verträglich geworden.
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Weiterhin wurde auf eine Differenzierung der Höhe der Fassade verzichtet. Die erfreuliche Einhaltung der Traufhöhen der Nachbarbebauung beruhigt zunächst. Auf die klassische Aufteilung in Sockel, Hauptfassade und Hauptsims, die durchaus auch modern oder besser noch zeitlos gestaltet werden kann, wurde verzichtet. Vielmehr erstreckt sich die Fassade ohne Not von der Gehwegpflasterung bis zur Liegedachrinne. Durch die fehlende Differenzierung wirkt das Gebäude folgerichtig höher, obwohl es doch annähernd die beschriebenen Traufhöhen einhält.
Aber damit nicht genug. Die farbliche Gestaltung der Hauptfassade setzt sich im Dachbereich mit entsprechenden Dachziegeln fort. Dachflächen gehören selbstverständlich zur Fassade, das wissen Planer. In Görlitz ist das ein bekanntes Thema mit vielfältigen Gestaltungsformen. Bei der vorgestellten Fassade ist das etwas anderes. Die Gestaltung der Fassadenfläche, die letztlich ein großes Ornament darstellt, wird auf die Dachfläche wie selbstverliebt hochgezogen und übertragen. Damit wird die ornamentale gute Idee letztlich entwertet, wirkt plakativ und tapetenhaft.
Schließlich darf man doch gespannt sein, wenn Planen und Gerüste auf der Jakobstraße fallen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob die beiden verbliebenen Gründerzeithäuser die Kraft haben, zwischen den blockhaften, kolossal wirkenden neuen Campusgebäuden optisch zu bestehen. Ein Einzwängen des Eckgebäudes, den älteren Görlitzern als Zittauer Keller ein Begriff, nach der Wende viele Jahre Videothek, und des anschließenden Gründerzeithauses auf der Jakobstraße wäre fatal, zumal bekannt ist, dass Häuser sich nicht wehren können.
Es gibt grundsätzlich zwei Wege bei einer Lückenbebauung im innerstädtischen Bereich: eigenständiger Neubau oder Anpassung/Rekonstruktion. An diesem Standort und im Fall Görlitz gibt es jedoch noch einen dritten Weg: Einen qualitätsvollen, zeitlosen Neubau, der es versteht, die Sprache der umliegenden Bebauung zu respektieren und Gebäudezahl, Format und Proportionen souverän umzusetzen. Ein solcher Bau hätte wohl Anerkennung gefunden.