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Görlitzer Kathedrale St. Jakobus öffnet verborgenen Raum

Der Glockenturm der Görlitzer Kirche wurde 1945 schwer getroffen. Die Spuren werden jetzt erstmals gezeigt. Der Raum wird auch Veranstaltungsort.

Von Ines Eifler
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Im neuen "Lapidarium" im Glockenturm der St.-Jakobus-Kathedrale zeigt Architektin Doris Kohla historische Dachziegel, die bei der Sanierung in den vergangenen Jahren durch neue ersetzt wurden.
Im neuen "Lapidarium" im Glockenturm der St.-Jakobus-Kathedrale zeigt Architektin Doris Kohla historische Dachziegel, die bei der Sanierung in den vergangenen Jahren durch neue ersetzt wurden. © Martin Schneider

Bislang war der Raum auf zehn Metern Höhe im Glockenturm der St.-Jakobus-Kathedrale für die Öffentlichkeit verschlossen. Jetzt wird man bei besonderen Gelegenheiten die Stufen der engen Wendeltreppe hinaufsteigen und das neue Lapidarium betreten können.

Ein "Lapidarium" ist ein Raum, in dem historische, meist bei archäologischen Grabungen geborgene Steinwerke ausgestellt werden. Für St. Jakobus sei die Bezeichnung fast schon ein bisschen zu vielversprechend, sagt die Görlitzer Architektin Doris Kohla, die zwischen 2012 und 2022 die Sanierung der großen katholischen Kirche in der Görlitzer Südstadt betreut hat.

Generalvikar Markus Kurzweil (r.) übergibt dem Görlitzer Kulturbürgermeister Benedikt Hummel den neuen Kirchenführer, den der verstorbene Archivar des Bistums Winfried Töpler schrieb und der kürzlich erschienen ist.
Generalvikar Markus Kurzweil (r.) übergibt dem Görlitzer Kulturbürgermeister Benedikt Hummel den neuen Kirchenführer, den der verstorbene Archivar des Bistums Winfried Töpler schrieb und der kürzlich erschienen ist. © Martin Schneider
Der frühere Bauamtsleiter des Bistums Görlitz Thomas Backhaus spricht über die Kriegsschäden am Glockenturm der St.-Jakobus-Kathedrale. Im Lapidarium sind Fotos davon zu sehen und wird die Sanierung von 2012 bis 2021 dokumentiert.
Der frühere Bauamtsleiter des Bistums Görlitz Thomas Backhaus spricht über die Kriegsschäden am Glockenturm der St.-Jakobus-Kathedrale. Im Lapidarium sind Fotos davon zu sehen und wird die Sanierung von 2012 bis 2021 dokumentiert. © Martin Schneider

Denn zu sehen sind eigentlich keine Steine, sondern Ziegel – unter anderem historische Dachziegel aus der Bauzeit der Kirche um 1900, als die Ziegelproduktion wegen der intensiven Bautätigkeit in Görlitz boomte. Auf manchen davon sind sogar noch die Stempel der Firmen zu sehen, die damals die Ziegel lieferten.

Erinnerung an Bombardierung 1945

Vor allem aber ist der Raum im Glockenturm ein Erinnerungsort, an dem mit großen Fotos an die Einweihung 1900 und die Zerstörung am 6./7. Mai 1945 erinnert wird. Als höchster Punkt in Görlitz wurde der Turm damals durch sowjetischen Artilleriebeschuss getroffen und an der zum Bahnhof zeigenden Nordseite von oben bis unten "aufgeschlitzt". Die Glocken fielen aus 30 Metern Höhe in die Tiefe, der Druck des Bombeneinschlags deckte das Dach ab und ließ die Fenster bersten, die Kirche war nicht mehr nutzbar. Sie war eines von rund 80 Görlitzer Gebäuden, die Ende des Krieges stark beschädigt wurden.

Thomas Backhaus, der frühere Bauamtsleiter des Bistums Görlitz, zeigt auf die "Narben", die im Glockenturm noch sichtbar sind: auf Risse und schützenden Putz. Auf die einfache Decke aus Stahl und Ziegeln, die nach 1945 das zerstörte Gewölbe ersetzte und den Glockenstuhl trägt. Und auf die Spuren einer Zimmerdecke, die eingezogen wurde, damit in den 1950/60ern hier Religionsunterricht stattfinden konnte.

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"Für mich ist dieser Raum wie ein kriegsverletzter Soldat, der Narben zurückbehält", sagt Backhaus. Als letzten Baustein der großen Sanierung der Kirche habe man ihn nun nach Jahren, in denen er als Abstellraum diente, wieder freigelegt. Ein Teil des Gewölbes ist sogar noch mitsamt der originalen Bemalung erhalten. Im Hauptraum der Kirche war diese nach dem Krieg weiß überstrichen worden, bei der Innensanierung bis 2021 wurde sie teilweise wiederhergestellt.

Lapidarium beim Schlesischen Nachtlesen geöffnet

Neben den historischen Ziegeln ist auch ein neogotischer Sakristeischrank aus der Zeit des Kirchenbaus ausgestellt, in den Schubladen sieht man zwei Kirchengewänder und Bauzeichnungen. Beschienen wird der Raum am Morgen durch ein neues rundes Buntglasfenster, das Doris Kohla als Ersatz für das 1945 zerborstene Fenster entworfen hat. Von innen beleuchtet, taucht es die kleine Grabanlage an der Kirche in farbiges Licht.

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"In Zukunft wird der Raum für kleinere Veranstaltungen dienen, die nicht direkt in sakralem Zusammenhang stehen", sagt Generalvikar Markus Kurzweil. Erstmals wird das beim Schlesischen Nachtlesen am 13. April sein, wenn er selbst aus einem Roman von Ota Filip liest.

Die Geschichte der St.-Jakobus-Kathedrale kann man auch in dem kleinen Kirchenführer nachlesen, den der 2023 verstorbene Kunsthistoriker, Theologe und Archivar des Bistums Winfried Töpler hinterlassen hat. Das reichbebilderte Heft ist kürzlich im Verlag Josef Fink erschienen und für vier Euro erhältlich.