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Görlitzer Kunst-Laden zieht nach Reichenbach

Silvia Bracke erfindet aus alten Dingen neue. Die sind nicht nur schön, sie sind auch zu gebrauchen. Der Umzug hat auch Vorteile.

Von Constanze Junghanß
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Zinnkrug und alter Lampenschirm werden zu einem Unikat. Silvia Bracke arbeitet in der ehemaligen Reichenbacher Stadtinformation, errichtet da ihren Laden.
Zinnkrug und alter Lampenschirm werden zu einem Unikat. Silvia Bracke arbeitet in der ehemaligen Reichenbacher Stadtinformation, errichtet da ihren Laden. © Constanze Junghanß

Omas Knöpfe werden zu Fingerringen, der alte Zinnkrug zur Lampe. Einweckgläser aus DDR-Zeiten sind mit hauchzartem Garn umhäkelt. Silvia Bracke stellt Teelichter hinein. Die werfen ein flackerndes Schattenmuster an die Wand. Zeit zum Genießen bleibt kaum. Denn die 65-Jährige ist im Umzugsstress. Bis Ende März wird ihre Galerie, das Atelier Nr. 7 im Napoleonhaus auf dem Obermarkt, ausgeräumt sein. Im April 2020 eröffnete die Reichenbacherin mit ihrer Tochter Fanny, einer Intarsienkünstlerin, da ihre „Galerie der Besonderheiten.“

Der Zeitraum war ungünstig, wie sich herausstellte. Die Pandemie war auf dem Vormarsch. „Mit Corona und den Lockdowns gestalteten sich die ersten zwei Jahre sehr kompliziert“, erinnert sich Silvia Bracke. Ihre Geschäftsidee mit Upcycling-Kunst und den selbst gezeichneten Bildern sei unter die gleichen Lockdown-Regeln wie die der Museen eingeordnet worden. Das habe den Start und die darauffolgende Zeit schwierig gemacht. Mal auf, mal zu, mal unter Einschränkungen. „Oster- und Weihnachtsgeschäft fielen dadurch flach“, erinnert sie sich.

Jetzt kommt die wirtschaftliche Lage als Grund dazu, dass die frühere Leiterin einer Görlitzer Nachhilfeschule und ehemalige Ausbilderin bei Karstadt die Reißleine in der Neißestadt zieht. Während die Kosten für Energie und Heizung stiegen, „sank das Kaufverhalten für Kunstprodukte dramatisch“, wie sie sagt und auch, dass sie dafür Verständnis aufbringt. Weil alles teurer wurde, bliebe den Leuten weniger Geld übrig für die Kunst. Zwei Standorte zu betreiben – in Reichenbach die Werkstatt und in Görlitz die Galerie – sei nicht mehr machbar gewesen. Auch, wenn Silvia Bracke den Weggang aus Görlitz „sehr bedauert“, freut sie sich auf den neuen Standort, zumal die Intarsienmanufaktur ihrer Tochter im gleichen Gebäude betrieben wird.

Auch Kurse geplant

Die Bilder, die Kisten mit den vielen handgemachten Unikaten, die Lampen und Kleinmöbel ziehen jetzt nach Reichenbach. Da arbeitet Silvia Bracke seit August letzten Jahres in den Räumen der ehemaligen Stadtinformation auf der Nieskyer Straße, wo auch der Bibliotheksstandort ist. Da hat sie ihre Werkstatt im Untergeschoss und dort entsteht das Ladengeschäft mit den Upcycling-Produkten. Die Bibliothek sollte geschlossen werden, ein Verein hat sie gerettet, bekommt dabei die Unterstützung der Stadt. Die Upcycling-Künstlerin gehört zum Vereinsvorstand und wird ihre Galerie den Öffnungszeiten der Bibliothek anpassen. Im Obergeschoss können Bücher ausgeliehen, in Brackes Laden ein Stockwerk tiefer Kunst gekauft werden. Eine Symbiose zwischen Kunst und Kultur, von denen Besucher und Kunstliebhaber gleichermaßen profitierten, zumal ebenso Veranstaltungen in der Bibliothek und Kurse in Brackes Serokreativwerkstatt geplant sind.

Aus Mangelwirtschaft gelernt

Dass die Mutter zweier erwachsener Kinder ein Herz für alte Dinge hat, um diese aufzuarbeiten und vor dem Sperrmüll zu retten, erklärt sie so: „Ich habe schon immer gern Sachen aufgehoben und gesammelt.“ Als Kind in der DDR aufgewachsen und damit in der Mangelwirtschaft, erinnert sie sich, dass früher weniger auf dem Müll landete, stattdessen eine Wiederverwertung stattfand. Der krumme Nagel wurde buchstäblich gerade gebogen, um ihn erneut zu benutzen. Im Laufe der Jahre entwickelte Silvia Bracke aus den zusammengesammelten Gegenständen eine eigene Kunstform. Ganz nach dem Motto, unliebsam gewordenen, überflüssigen Dingen neues Leben zu schenken.

Aus Alt macht sie jedoch nicht nur Neu, sondern ganz etwas anderes. Bücher werden durch fipselige Falttechniken zu Engeln, aus einem Berg von Verpackungsnetzen für Obst und Gemüse entstehen Blumen und Bilder, Bettlaken verwandeln sich in geflochtene Türkränze. Die Wandregale sind bis unter die Decke vollgestopft mit Lampenschirmen, bunten Stoffen, Pappen, Gläsern, Hölzern – sortiert und beschriftet. Im Raum nebenan warten Sprossenfenster, Stühle, Hocker auf die Aufarbeitung. Die ersten Interessenten schauten bereits durch die neu dekorierten Fensterscheiben, fragten, wann es losgeht. Und der Lampen-Zinnkrug ist bereits verkauft. Nur noch das Kabel wird mit grüner Wolle umhäkelt, der Schirm mit Blumen bestickt. Das Unikat geht nach Brandenburg in ein Künstlerdorf. Die Kontakte zu Künstlern und Kunstfreunden, die Silvia Bracke in Görlitz knüpfte, nimmt sie mit in ihre Heimatstadt Reichenbach.