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Kirchenhistoriker mit Görlitzer Wurzeln ist gestorben

Hans-Georg Thümmel stammte aus Görlitz, wirkte aber zeit seines Lebens in Greifswald. Er prägte viele Theologen in und aus Görlitz.

Von Sebastian Beutler
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Hans-Georg Thümmel ging auf das Görlitzer Gymnasium Augustum.
Hans-Georg Thümmel ging auf das Görlitzer Gymnasium Augustum. © Archivfoto: Paul Glaser/glaserfotografie.de, Montage: SZ-Bildstelle

Hans-Georg Thümmel war ein Görlitzer Kind. Hier wurde er 1932 geboren, hier wuchs er auf, ging zur Schule, machte sein Abitur am Gymnasium Augustum. Anschließend ging er nach Leipzig, um Theologie zu studieren. Doch schon 1951 wechselte er an die Universität Greifswald, um für sein weiteres Leben in Vorpommern zu bleiben. Jetzt ist er 90-jährig gestorben, an diesem Freitag wurde er in Greifswald beigesetzt.

Seine Geschwister sind in Görlitz und Niesky bekannter. Bruder Hans-Wolf Thümmel war nach der Friedlichen Revolution lange Jahre Notar in Görlitz und lebt nun im Ruhestand abwechselnd in Görlitz und in Süddeutschland. Schwester Rosemarie Thümmel gilt als die große alte Dame der Diakonissenanstalt Emmaus in Niesky, war dort mehr als 20 Jahre Oberin und lebt, hochbetagt, immer noch in Niesky.

Viele Görlitzer Theologen haben bei Thümmel studiert

Aber auch bei Hans-Georg Thümmel lohnt sich ein tieferer Blick, obwohl er in seinem Leben nur noch sporadisch nach Görlitz kam. Neben Familienbesuchen waren es zwei öffentliche Vorträge, an die sich Christian Wesenberg erinnern kann, der sich bei der Evangelischen Kirche in Görlitz zuletzt um Kultur und Tourismus kümmerte. Beide Male am Heiligen Grab, 1989 und 2004. Wesenberg hat aber auch noch eine weitere Verbindung zu Thümmel: Er hat bei ihm studiert. "Hans-Georg Thümmel bestach durch fachliche Souveränität. Seine Seminare und Vorlesungen waren immer gut." Besonders die christliche Archäologie, die Kunst und Formensprache in Kirchen fesselten Thümmel. "Er war hochbeliebt bei den Studenten."

Wie Wesenberg verbindet auch den Kunnerwitzer Pfarrer Uwe Mader viel mit Hans-Georg Thümmel. Noch vor zwei Jahren wandte sich Mader an ihn, um eine Inschrift im Heiligen Grab von Jerusalem zu entschlüsseln. Und auch er studierte bei Thümmel. "Er war ein gründlicher Mann, der uns in Kirchenbau und Architektonik eingeführt hat. Und er war sehr hilfsbereit."

DDR versagte dem Theologen den Professorentitel

Erinnern sich und würdigen Hans-Georg Thümmel: Der frühere Superintendent von Hoyerswerda, Friedhart Vogel ...
Erinnern sich und würdigen Hans-Georg Thümmel: Der frühere Superintendent von Hoyerswerda, Friedhart Vogel ... © Benjamin Zibner
der Kunnerwitzer Pfarrer Uwe Mader ....
der Kunnerwitzer Pfarrer Uwe Mader .... © Paul Glaser/glaserfotografie.de
und der frühere Regionalbischof Hans-Wilhelm Pietz.
und der frühere Regionalbischof Hans-Wilhelm Pietz. © Nikolai Schmidt

Ein Dritter aus der Oberlausitz, der wache Erinnerungen an Thümmel hat, ist der frühere Hoyerswerdaer Superintendent Friedhart Vogel, der auch aus Görlitz stammt. Vogel studierte Anfang der 1960er Jahre bei Thümmel und erinnert sich an einen "angenehmen Menschen" mit großem Wissen.

Der frühere Görlitzer Regionalbischof, Hans-Wilhelm Pietz, der nicht bei Thümmel studierte, hält es für außergewöhnlich, dass mit Thümmel, mit dem Görlitzer Superintendent Peter Lobers und mit Hermann Goltz, Bruder des Görlitzer Seilermeisters Helmut Goltz, gleich drei mit Görlitz verbundene Theologen Spezialisten in der christlichen Orthodoxie waren. "Hans-Georg Thümmel hat als Kirchengeschichtler, Orthodoxiespezialist und Kunstgeschichtler mehrere Generationen von Theologiestudenten in Greifswald geprägt", sagt Pietz. "Dabei hat er, soweit ich das beurteilen kann, gerade in der DDR-Zeit den Studierenden aus der sozialistischen Schule zu einem verstehenden Hinsehen und differenzierenden Urteilen verholfen."

Die Leidenschaft für die Wissenschaft und den Unterricht hielt Hans-Georg Thümmel auch dann noch an der Universität, als ihm die DDR jahrzehntelang den längst fälligen Professorentitel vorenthielt. Thümmel war nicht in der Staatspartei SED, sah auch keinen Grund in die CDU einzutreten, so blieb er von 1956 bis 1990 Assistent an der Universität Greifswald - es war die längste Assistenzzeit an der Uni. Erst 1990 fand er mit der Verleihung einer Professur die Anerkennung, die er schon längst erhalten hätte müssen.

Für Thümmel begannen nun nochmals spannende Jahre, in denen er endlich jene Gebiete und Länder bereisen konnte, über die er so viel geforscht hatte. Die Orte der frühen Christenheit. Und er gab Bücher und Schriften bis ins hohe Alter heraus. Sein vierteiliger Band zur "Ikonologie der christlichen Kunst", dessen letzter Teil 2022 erschien, gilt als Standardwerk.

Jugendkreis "Die Zelle" gab für Hans-Georg Thümmel den Ausschlag

Ursprünglich hatte Thümmel eigentlich zwischen Kunst, Geschichte oder Physik als Studienwunsch geschwankt. Noch 1992 wurde er an der Uni Marburg in Kunstgeschichte promoviert. Doch ein evangelischer Jugendkreis in Görlitz führte zu einem Umdenken. Der Kreis nannte sich "Die Zelle" und traf sich regelmäßig in den Nachkriegsjahren, um Andacht zu halten, Kranke zu besuchen oder einfach Gemeinschaft zu erleben. Aus ihm gingen zahlreiche Theologen hervor, berichtet Ingrid Wilke. Sie ist die Tochter des Görlitzer Pfarrers Georg Wollstadt und beobachtete als Kind, wie sich der Kreis im Umfeld der Lutherkirche unter Leitung von Pfarrer Gotthard Bunzel traf.

Neben Thümmel der spätere Görlitzer Bischof Hans-Joachim Wollstadt, Frau Wilkes Bruder; dann auch Peter Schicketanz, der später in der Kirchenleitung der Magdeburger Landeskirche wirkte, Siegfried Wagner, von 1972 bis 1995 Professor für Alttestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig, sowie Günter Dreßler, Pfarrer an der Görlitzer Kreuzkirche. Dazu noch Mechthild Wenzel, Tochter des Görlitzer Kirchenmusikers Eberhard Wenzel, und eben auch Thümmels Schwester Rosemarie. Hans-Georg Thümmels Tod ist Anlass genug, auch an diese Geschichte zu erinnern.