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Görlitzer OB: "Wir wollen internationaler werden"

Octavian Ursu im SZ-Interview über Willkommenskultur, 25 Jahre Europastadt Görlitz/Zgorzelec und die Idee, eine internationale Schule zu gründen. Und was das alles mit mehr Speisekarten auf Englisch zu tun hat.

Von Sebastian Beutler
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Gleich zu Amtsbeginn traf sich der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu (re.) mit seinem Zgorzelecer Amtskollegen Rafal Gronicz auf der Altstadtbrücke. Die beiden verständigen sich zumeist auf Englisch.
Gleich zu Amtsbeginn traf sich der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu (re.) mit seinem Zgorzelecer Amtskollegen Rafal Gronicz auf der Altstadtbrücke. Die beiden verständigen sich zumeist auf Englisch. © Nikolai Schmidt

Herr Ursu, in letzter Zeit fällt häufig das Wort "Willkommenskultur". Was verstehen Sie darunter?

Mit den zugesagten Forschungsinstituten kommen hochqualifizierte Wissenschaftler in die Stadt, auch aus dem Ausland. Diese wollen wir willkommen heißen. Sie sollen einen Leitfaden in die Hand bekommen, aus dem sie erfahren, was man machen kann, an wen man sich wegen einer passenden Wohnung wenden kann, in welchen Vereinen man mitwirken kann. Außerdem müssen wir unsere Infrastruktur so anpassen, dass Menschen mit Familie in Görlitz Fuß fassen.

Der Landkreis plant Willkommenszentren einzurichten, auch in Görlitz. Das wäre so ein Ort, wo dieser Leitfaden ausgeteilt wird?

Das könnte der Ort dafür sein. Wir brauchen aber auch gute, zeitgemäße, digitale Angebote dafür sowie persönliche Ansprechpartner, die die interessierten Neubürgerinnen und Neubürger lotsen können.

Die Arbeitsagentur-Chefin erklärte in der SZ kürzlich, dass die Oberlausitzer Firmen künftig nicht ohne gezielt angeworbene Menschen aus Drittstaaten auskommen werden und sie beim Fleischer oder beim Bäcker um die Ecke das Gefühl vermittelt bekommen sollten, dass sie hier willkommen sind. Sind wir schon so weit?

Das ist ein Prozess. Ein befreundeter Unternehmer erzählte mir, dass er einen jungen Mann aus Afghanistan in Ausbildung genommen hatte. Anfangs sei er von den Kollegen kritisch beäugt worden. Doch als sie sahen, dass der Lehrling fleißig war und seine Ausbildung mit den besten Noten abschließen konnte, da wuchs auch die gegenseitige Akzeptanz. Ich denke, das ist wichtig: Sich besser kennenzulernen - auf Arbeit, in Sportvereinen, wo immer Menschen zusammenkommen.

Aber der Bäcker oder der Fleischer um die Ecke kennt den Einwanderer im Zweifel nicht?

Wenn er in dem Stadtteil wohnt und immer wieder einkaufen kommt, werden sich beide Seiten kennenlernen.

Görlitzer Stadtverwaltung nicht besser oder schlechter als die Görlitzer Stadtgesellschaft

DZA-Gründungsdirektor Günther Hasinger wollte Willkommenskultur in einem SZ-Gespräch vor drei Wochen nicht als große Idee verstanden wissen, sondern warb dafür, offen auf Unbekanntes zu reagieren. Aber wie gelingt uns diese Offenheit zu erzeugen?

Am besten dadurch, indem wir Neugier wecken. Viele sind neugierig auf die Forschungseinrichtungen, darauf, wie sie Görlitz und vielleicht auch ihr Leben verändern werden. Deswegen versuche ich immer wieder, diese Institute in den Vordergrund zu rücken, zu zeigen, dass Menschen um die halbe Welt reisen, um nach Görlitz zu kommen, weil sie hier berufliche Rahmenbedingungen wie sonst nirgends vorfinden. Und auch eine Stadt, in die sie gern kommen.

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Was tun Sie, damit in Görlitz diese Offenheit entsteht?

Einerseits unterstützen wir die Einrichtungen, wo immer wir können. Andererseits müssen wir uns auch selbst verändern. In der Gastronomie oder in den Hotels könnten mehr englischsprachige Speisekarten angeboten werden. Und es wäre natürlich auch ideal, wenn die Bedienung im Restaurant Englisch spricht.

Vor zehn Jahren legte Kommwohnen-Geschäftsführer Arne Myckert ein Programm für ein weltoffenes Görlitz vor. Dazu zählte für ihn auch, dass im Rathaus Zugezogene ihre Dinge auf Englisch klären können. Ist das jetzt möglich?

Das geht nur punktuell. Die Verwaltung ist da nicht anders als die Gesellschaft. Jüngere Kollegen sind der englischen Sprache oftmals mächtig, weil sie damit in viel stärkerem Maße aufgewachsen sind als ältere Kollegen.

Görlitz und Zgorzelec müssen sich noch besser verbinden

Spreche ich mit jungen Menschen, dann schwärmen sie schnell davon, in zehn Minuten über der Neiße in eine andere Kultur und Welt eintauchen zu können. Ist Görlitz für das profane Leben und Zgorzelec für die weltoffenen Träume zuständig?

Es ist immer attraktiv, in eine andere Welt einzutauchen. Man geht über den Fluss, trifft andere Menschen, hört eine andere Sprache, erlebt andere Bräuche, isst andere Gerichte. Das ist für viele spannend. Das geht aber polnischen Bürgern auch nicht anders, wenn sie nach Görlitz kommen. Das macht uns gerade aus als Doppelstadt. In der Vergangenheit wurde das häufig als Nachteil empfunden. Doch das hat sich stark gewandelt in den vergangenen Jahren. Unsere Lage ist nun ein Vorteil.

Dieser Wandel hat aber auch eine Generation gedauert, Mitte Mai begehen beide Städte die Deklarierung als Europastadt vor 25 Jahren. Was könnten nächste Schritte sein?

Unsere Angebote auf beiden Seiten der Neiße müssen besser miteinander verbunden werden. Das betrifft alle Lebensbereiche: Wohnen, Arbeiten, Lernen ... Die Europastadt soll zunehmend international und als zukunftsfähige und moderne Stadt wahrgenommen werden.

Wird das auch andernorts so wahrgenommen?

Ich habe gerade der Zeitschrift "Geo" ein Interview gegeben. Sie fragt nach Projekten, mit denen Kommunen bei der Klimaneutralität vorankommen wollen. Ich habe von unseren Bemühungen erzählt, eine grenzüberschreitende klimaneutrale Fernwärme-Versorgung einzurichten, von dem Umbau des Elisabethplatzes mit einem neuartigen Bewässerungsmodell, von der neuen Straßenbahn, die möglicherweise irgendwann mit Wasserstoff fährt. Der Journalist war sehr erstaunt, was wir in dem vergleichsweise kleinen Görlitz alles verwirklichen wollen, wie viel in Bewegung ist. Viele große Projekte, die wir verfolgen, sprechen sich herum und tragen positive Seiten von Görlitz nach außen. Das tun wir, das tue ich vor allem, um junge Familien für Görlitz zu interessieren.

Ist die einheimische Bevölkerung auch schon so weit?

Ich besuche immer die Freisprechung der Gesellen durch die Kreishandwerkerschaft. Letztens stand da unter den Klempnergesellen ein dunkelhäutiger junger Mann. Es wird zunächst ein ungewohntes Bild sein, wenn er beim Kunden klingelt und sagt, er ist der Klempner. Aber der Kunde wird froh sein bei den Schwierigkeiten heutzutage, einen Handwerker zu bekommen. Wenn die Menschen sehen, dass die Einwanderer Arbeit erledigen, die wir benötigen, wird das die Akzeptanz erhöhen.

Idee: In Görlitz eine internationale Schule gründen

Görlitz hat Erfahrungen mit der bilingualen Schulausbildung am Augustum-Annen-Gymnasium. Brauchen wir eine internationale Schule in der Stadt?

Ich habe sofort gesagt, als Görlitz den Zuschlag als Sitz für das Großforschungszentrum erhielt, dass wir unsere eigene Infrastruktur anpassen müssen. Das ist ja jetzt schon der Fall. Weil sich die Schülerzahlen besser entwickeln als gedacht, mussten wir im Stadtrat weitere Container für Görlitzer Schulen beschließen, um Platz zu schaffen. Diese Entwicklung wird sich aber noch verstärken. Das ist eine große Aufgabe für die Stadt. Dazu gehört auch, eine internationale Schule zu gründen oder wenigstens Klassen zu bilden, in denen hauptsächlich auf Englisch unterrichtet wird.

Aber Sie haben ja noch nicht mal ausreichend Geld, um eine neue fünfte Oberschule zu bauen?

Es ist ein mühsamer Prozess. Ich habe im Amt gelernt, nicht so weit in die Zukunft zu planen, wie es sinnvoll wäre, weil sich die Zahlen permanent ändern. Wir können hoffen, dass der Freistaat den Kommunen mehr Geld überweist, weil jetzt auch viele andere Städte finanzielle Probleme bekommen. Zugleich aber will ich nochmals eine Initiative starten. Schon vor ein paar Jahren haben wir vorgeschlagen, mit einem Teil der investiven Schlüsselzuweisungen Kredite tilgen zu können. Das ist bislang kaum möglich. Kredite würden wir für die Pflichtaufgaben wie Kita- oder Schulhausbau aufnehmen wollen. Dadurch könnten wir gleich ganz andere Summen bewegen. Der Freistaat war in der Vergangenheit eher zurückhaltend diesbezüglich. Ich würde mir wünschen, dass künftig die Möglichkeit eröffnet wird. Angesichts der sehr niedrigen Pro-Kopf-Verschuldung von Görlitz wäre das ein geeigneter Weg, um mehr Gelder für notwendige Investitionen zu haben.