Römer ersteigert eine Görlitzer Ruine

Es ist eine wirre Mischung von Menschen, die da am Montagvormittag im Saal 119 des Görlitzer Amtsgerichtes zusammengekommen ist. 18 Männer und eine junge Frau. Sie alle haben ein Ziel: Sie wollen die Bismarckstraße 18 in Görlitz ersteigern. Ein gut gekleideter junger Mann aus Berlin ist da, ein in München lebender Türke, ein junges polnisches Paar zusammen mit seinem weniger jungen deutschen Anwalt, ein bekannter Görlitzer Hotelier, ein gesprächsbedürftiger älterer Herr aus Trier sowie zwei Männer aus Düsseldorf, die beide Leonardo Spettmann heißen – und noch so einige weitere.

Mit so Vielen hatte das Gericht offenbar nicht gerechnet: Der Saal ist unter Corona-Bedingungen voll, kurzzeitig heißt es sogar mal, die Presse möge bitte wieder gehen. Doch dazu kommt es dann doch nicht. Kein Wunder, dass das Interesse groß ist: Das denkmalgeschützte Gebäude mit der Jugendstil-Fassade hat einen Verkehrswert von nur 20.000 Euro – und kann ab einem Startpreis von 3.913 Euro ersteigert werden. Das entspricht den Gerichtskosten.
Bisheriger Eigentümer aus Birmingham
Die Görlitzer Stadtverwaltung aber hat ein Interesse an einem deutlich höheren Preis: Sie hat die Zwangsversteigerung veranlasst. Und das nicht nur, weil der bisherige Eigentümer, die Firma „D Wilson ltd.“ im englischen Birmingham, Grundsteuern in Höhe von 1.400 Euro nicht bezahlt hat. Vor allem haben die Engländer das Haus verfallen lassen. So schlimm, dass es einsturzgefährdet war. Doch die Briten kamen ihrer Pflicht zur Sicherung trotz mehrfacher Aufforderung durch das Rathaus nicht nach, sodass die Stadt einsprang, das Gebäude im Jahr 2019 notsicherte und dem Eigentümer die Arbeiten hinterher in Rechnung stellte. Das waren noch einmal 78.000 Euro. Doch die Briten zahlten nicht. Um ihr Geld zurückzubekommen, initiierte die Stadt die Zwangsversteigerung.
Der junge Berliner gibt mit 5.000 Euro das erste Gebot ab, der Herr aus Trier versucht, auf 14.000 Euro zu erhöhen, wird aber zurückgewiesen: Er hat die von allen Bietern geforderte Sicherheitsleistung von 2.000 Euro nicht eingezahlt. Auch Nummer drei kann wieder abtreten: Ein Mann, der für eine Firma bieten will, aber nur einen zu alten Handelsregisterauszug dabei hat. Doch es sind genügend andere da – und die steigern sich gegenseitig hoch.
Polnisches Paar bietet 40.000 Euro
Das polnische Paar ist bis 40.000 Euro im Rennen, dann steigt es aus. Doch auch bei 55.000 Euro sind noch vier Bieter dran. Später sind es noch zwei, die sich hochsteigern – der eine in Hunderter-, der andere in Vierhunderter-Schritten. Bei 62.100 Euro die große Überraschung: Ein ganz neuer Bieter steigt ein und erhöht auf 62.101 Euro. Es ist der jüngere Leonardo Spettmann. Der Ältere ist sein Vater. Ab diesem Punkt wendet sich das Blatt: Einer der bisherigen Bieter steigt aus und verlässt den Saal, der andere bietet weiter. Doch was immer er sagt: Spettmann bietet stets einen Euro mehr. So geht es bis 70.100 Euro. Als Spettmann 70.101 Euro bietet, steigt der andere aus. Damit ist die Sache entschieden.
Für die Stadt Görlitz ist sie damit recht gut ausgegangen: Wenn der Käufer tatsächlich zahlt, bekommt sie den Großteil der ausstehenden 79.400 Euro zurück.
Fonds kauft Häuser für Investoren
Doch wer sind die Käufer, was wird aus dem Haus? Leonardo Spettmann hat nicht für sich geboten und auch nicht für seinen Vater, sondern für einen 48-jährigen Mann namens Roberto Petrucci, der in Rom lebt und in Deutschland nur eine Postadresse im nordrhein-westfälischen Geldern hat. „Wir sind ein Fonds aus Düsseldorf“, sagt Spettmann: „Wir haben einen Pool an Leuten, die denkmalgeschützte Häuser kaufen und sanieren.“ Einer davon ist Petrucci. Allerdings müssen es besondere Häuser sein. In diesem Fall sei es die hochwertige Jugendstilfassade, die das Interesse ausgelöst habe. „Wir hätten für Herrn Petrucci ohne jedes Limit mitgeboten“, sagt Spettmann. Der Römer habe in Görlitz schon mehrere Häuser – und einen Bautrupp, mit dem er sie saniere. Auch die Bismarckstraße 18 wolle er möglichst schnell sanieren – als Wohn- und Geschäftshaus. Sie äußern sich zuversichtlich, dass das gelingen wird.
Für ihre Klienten seien sie immer auf der Suche nach weiteren Häusern, sagt Spettmann – und verweist auf seine Internetseite leodami.de. Dort findet man seine Kontaktdaten. Von Immobilien ist dort aber nicht die Rede, sondern vom Verkauf von Steinfiguren und Buddha-Statuen.