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Menschen mit Demenz finden Erinnerungen in Görlitzer Museum wieder

Gruppen aus Heimen und Tagespflegen besuchen immer wieder Ausstellungen des Schlesischen Museums. Hier wird Vergangenes für sie wieder lebendig.

Von Ines Eifler
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Christiane Dumke hat sich auf die Arbeit mit Demenzkranken spezialisiert. Heimbewohnern und Tagespflegegästen bringt sie immer wieder Ausstellungen im Schlesischen Museum nahe.
Christiane Dumke hat sich auf die Arbeit mit Demenzkranken spezialisiert. Heimbewohnern und Tagespflegegästen bringt sie immer wieder Ausstellungen im Schlesischen Museum nahe. © Martin Schneider

Dass Lauban (Luban) vor 100 Jahren als Taschentuchstadt galt, wissen sogar noch einige der diesmal besonderen Besucher des Schlesischen Museums zu Görlitz.

"Ach ja, die Schnupftüchl", sagt eine ältere Dame und streicht über den fein gehäkelten Rand eines Taschentuchs. Später werden Spitzen gezeigt, die um 1900 in Hirschberg (Jelenia Góra) gefertigt wurden, was einen älteren Herrn veranlasst zu sagen: "Ich bewundere es, wenn Frauen so etwas können." Genau wie die anderen zehn in der Gruppe sind die beiden an Alzheimer erkrankt.

Landkreis fördert kulturelle Teilhabe

Da die Pflegekoordination des Landkreises Görlitz die kulturelle Teilhabe pflegebedürftiger Menschen fördert, haben immer wieder Gruppen aus Pflegeheimen oder Tagespflegen die Chance auf kulturelle Erlebnisse. Zum Beispiel auf Ausstellungsbesuche im Schlesischen Museum.

Christiane Dumke als Schaffnerin vor einer Bergmannsuniform in der Ausstellung "Niederschlesien im Aufbruch".
Christiane Dumke als Schaffnerin vor einer Bergmannsuniform in der Ausstellung "Niederschlesien im Aufbruch". © Martin Schneider
Etwas Kreatives ist immer Teil des Demenzprojekts. Hier kleben die Senioren Papier- und Stoffteile auf, um etwas von ihrem Museumsbesuch mitnehmen zu können.
Etwas Kreatives ist immer Teil des Demenzprojekts. Hier kleben die Senioren Papier- und Stoffteile auf, um etwas von ihrem Museumsbesuch mitnehmen zu können. © Martin Schneider
Musikgeragogin Christiane Dumke (links) und Kunsttherapeutin Beate Wuigk-Adam als Schaffnerin und junge Frau mit verheddertem Häkelgarn.
Musikgeragogin Christiane Dumke (links) und Kunsttherapeutin Beate Wuigk-Adam als Schaffnerin und junge Frau mit verheddertem Häkelgarn. © Martin Schneider
Musik gehört immer dazu. Lieder wie "Muss i denn ..." können die meisten älteren Menschen trotz Demenz mitsingen.
Musik gehört immer dazu. Lieder wie "Muss i denn ..." können die meisten älteren Menschen trotz Demenz mitsingen. © Martin Schneider
Jeder bekommt eine Modellbahnlok in die Hand gedrückt. Besonders Männer erinnern sich dann oft an die eigene Modelleisenbahn.
Jeder bekommt eine Modellbahnlok in die Hand gedrückt. Besonders Männer erinnern sich dann oft an die eigene Modelleisenbahn. © Martin Schneider

Zum vierten Mal seit 2018 sind Christiane Dumke und Beate Wuigk-Adam mit einem Projekt für Demenzkranke im Schlesischen Museum. Beiden haben früher in einem Dresdner Pflegeheim gearbeitet, aber sich entschieden, Menschen mit Demenz auf andere Weise, außerhalb eines Heims, zu unterstützen und zu fördern.

Die frühere Heimleiterin Beate Wuigk-Adam machte sich mit Kunsttherapie, Supervision und Coaching in Weimar selbstständig. Die einstige Pflegedienstleiterin Christiane Dumke bildete sich in der multiprofessionellen Versorgung von Menschen mit Demenz und in der musikalischen Alterspädagogik, der Musikgeragogik, weiter.

Ausstellungen mit allen Sinnen erleben

Als Duo haben die beiden schon die Kunstausstellung "Alexander Camaro und Breslau", die Sonderschau "Inspiration Riesengebirge" und "Porzellanland Schlesien" im Schlesischen Museum mit Demenzkranken besucht und ihnen die Inhalte mit allen Sinnen nahegebracht.

Bei Camaro schlüpften sie, von den Bildern inspiriert, in die Rollen von Zirkusdirektor und Harlekin und bauten Artistik in ihre kleine Show ein. In der Riesengebirgsausstellung nutzten sie die Geschichte der 100-jährigen Ernestine Rücker, die im Riesengebirge ein einfaches Leben lebte und deren geschnitztes Porträt von 1933 im Museum ausgestellt ist.

In der Porzellanausstellung verkleideten sie sich als Manufakturarbeiterin und Dienstmädchen, ließen geblümte Kannen und goldumrandete Teller herumgehen und versuchten zusammen mit der Gruppe, alle Sprichwörter zu finden, die sich um Scherben, Glück, Porzellankisten, Blicke über Tellerränder, Porzellanläden oder auf den Topf passende Deckel drehen.

Immer gab es außer dem Sichtbaren etwas zu berühren, zu erraten, zu tun und zu singen. "Musik aktiviert Erinnerungen ja besonders gut", sagt Christiane Dumke. Lieder wie "Kein schöner Land", "Es tönen die Lieder" oder "Muss i denn zum Städtele hinaus" sind bei vielen Menschen im Langzeitgedächtnis verankert. So singen immer fast alle mit.

Demenzkranke nehmen kein Blatt vor den Mund

"Am eindrücklichsten für uns alle war die Camaro-Ausstellung", sagt Christiane Dumke. Harlekin, der Narr, der kein Blatt vor den Mund nimmt, habe eine Verbindung zu Menschen mit Demenz, die auch nicht verbergen, was ihnen durch den Sinn geht. Das erleben die beiden Frauen auch in den Gruppen aus Görlitz, Rothenburg und Niesky, mit denen sie seit einigen Tagen die Ausstellung "Niederschlesien im Aufbruch" besuchen. "Langenöls, da war ich mal", sagt einer der Männer, als Christiane Dumke und Beate Wuigk-Adam die Stationen der Schlesischen Eisenbahn von Görlitz bis Waldenburg (Wałbrzych) mit Dampflok-Geschnaufe und Schaffnerpfiff vorbeiziehen lassen.

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Diesmal sind sie als Eisenbahnerin und junges Mädchen verkleidet, das an einer schlesischen Spitzenschule Klöppeln und Sticken lernen will. Als Beate Wuigk-Adam mit verheddertem Garn und Häkelnadel durch die Reihen geht, sind die Reaktionen unterschiedlich. Manche berühren die Fäden und nicken, weil sie Häkeln kennen. Einer der Männer äußert, man solle ihn damit in Ruhe lassen. Er könne jedes Auto fahren, aber Häkeln sei etwas für Frauen. Und manche zeigen erst eine Regung, als sich in Beate Wuigk-Adams Hand wie durch Magie ein Tüllknäuel zu einer leuchtend blauen Blüte öffnet.

Arbeit mit Demenzkranken ist schwer

Die Arbeit mit Demenzkranken ist eindeutig schwer, erfordert Umsicht und ist nichts für Ungeduldige. Sind manche in der Gruppe geistig noch so fit, dass sie den Frauen helfen, die Liedzettel einzusammeln, sind andere ängstlich, klammern sich an ihre Betreuerinnen und wollen wieder heim.

"Unsere Erfahrungen mit den Gruppen sind sehr unterschiedlich", sagt Beate Wuigk-Adam. Manchmal sei es sogar möglich, über Ausstellungsinhalte zu sprechen, sagt Beate Wuigk-Adam, etwa über die Schirmherrin der Spitzenschulen Fürstin Daisy von Pless. In anderen Gruppen, wie an diesem Tag, seien sehr schwere Fälle von Demenz dabei. "Dann ist es wichtig, auf jeden einzeln einzugehen, um seine Fähigkeiten ein Stückweit zu aktivieren." So gibt sie jedem in der Gruppe eine schwere Modellbahnlok in die Hand, wodurch sich einige an ihre eigene Modelleisenbahn erinnern und sagen: "gut gearbeitet".

Doch so schwer es manchmal sei, Demenzkranke zu erreichen und zu aktivieren, so erstaunlich sei es, wie der Museumsbesuch oft nachwirke. Häufig wäre es leichter zu organisieren, wenn das Duo die Einrichtungen besuchte. Aber Teilhabe bedeute eben auch Inspiration durch Ausgehen und bewege die Menschen mehr, als manchmal vermutet. "Wir erleben ganz oft, dass die Teilnehmer in den Heimen noch tagelang von ihrem Museumsbesuch erzählen", sagt Beate Wuigk-Adam. "Da funktioniert dann plötzlich auch das Kurzzeitgedächtnis wieder."

Link zum Projekt: www.blickwechsel-pflege.de