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Von Musik erfüllt: Sigrid Richter lehrt seit 60 Jahren an der Görlitzer Musikschule

Im Laufe ihres Lebens hat die bekannte Cellolehrerin sieben Instrumente gelernt. Und viele Profis begannen ihre Musikerkarriere bei ihr.

Von Ines Eifler
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Seit 60 Jahren unterrichtet Sigrid Richter junge Talente. Hier ihre Celloschülerin Tora.
Seit 60 Jahren unterrichtet Sigrid Richter junge Talente. Hier ihre Celloschülerin Tora. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Ob die kleine Tora wohl auch einmal Profimusikerin wird wie so viele vor ihr, die bei Sigrid Richter Unterricht hatten? "Das machst Du aber schön", sagt die Cellolehrerin zu ihr, als Tora auswendig ein Lied vorträgt, das sie erst vor einer Woche aufbekommen hat.

Seit 60 Jahren gibt Sigrid Richter, die vor wenigen Tagen ihren 82. Geburtstag feierte, an der Görlitzer Musikschule Unterricht: immer in der richtigen Mischung aus Lob und Strenge, die ihre Schüler dazu animiert zu üben und voranzukommen.

Viele Profis begannen bei Sigrid Richter

Zahlreiche davon haben die Musik zu ihrem Beruf gemacht oder spielen ihr Instrument bis heute. Christoph Vietz, Cellist am Leipziger Gewandhaus, erhielt als Fünfjähriger bei Sigrid Richter seinen ersten Unterricht. Tobias Stosiek, der europaweit auftrat und Musikprofessor in Graz ist, begann bei ihr Cello zu spielen. Ihr früherer Schüler Thomas Zydek ist heute Solocellist der Neuen Lausitzer Philharmonie. Lukas Helbig spielt im Niedersächsischen Staatsorchester Hannover.

Thomas Zydek, Solocellist der Neuen Lausitzer Philharmonie, in jüngeren Jahren mit dem Niederschlesischen Kammerorchester. Er begann seine Ausbildung bei Sigrid Richter.
Thomas Zydek, Solocellist der Neuen Lausitzer Philharmonie, in jüngeren Jahren mit dem Niederschlesischen Kammerorchester. Er begann seine Ausbildung bei Sigrid Richter. © Nikolai Schmidt / Archiv

Der Görlitzer Cellolehrer Leon Szostakowski führt heute seine eigenen Schüler zum Wettbewerb "Jugend musiziert". Der Gitarrist Richard Fuhrmann wurde von Sigrid Richter ausgebildet. Und viele weitere ihrer Schüler sind vielleicht keine Musiker geworden, spielen aber bis heute in Orchestern mit oder treten in anderen Besetzungen öffentlich auf, wie etwa der Görlitzer Stadtplaner Hartmut Wilke.

Unterricht bei der besten Gitarrenlehrerin Dresdens

Sigrid Richters eigenes Talent fiel schon früh auf. Für ein Kind sehr armer Eltern, wie sie erzählt, aufgewachsen in der Nachkriegszeit im zerbombten Dresden, war es nicht selbstverständlich, einen musikalischen Beruf anzugehen. "Doch meine Eltern haben alles dafür getan, mich zu unterstützen", sagt sie. Auch das Klavier für sie hätten sie sich vom Mund abgespart. Schon als Kind lernte Sigrid Richter mehrere Instrumente, nahm Unterricht in Blockflöte und Klavier sowie Gitarre bei der "besten Gitarrenlehrerin Dresdens". Gern hätte sie noch Harfe und am allerliebsten ein Streichinstrument gespielt, aber diese Wahl hatte sie damals nicht.

Mit 14 Jahren ging sie auf die Fachgrundschule für Musik, wo sie 1960 ein musikalisches Fachabitur ablegte. Auf der Musikhochschule, wo damals 19 von 200 Bewerbern einen Platz bekamen, wurde sie Musikpädagogin für Klavier und Gitarre, dazu Blockflöte und Mandoline. "Wir waren damals ein so starker Jahrgang, dass wir unser Staatsexamen statt nach vier schon nach drei Jahren ablegen durften", erinnert sich Sigrid Richter.

Entscheidung für Görlitz und den besten Kaffee

Danach hatte sie die Wahl, für eine volle Stelle an die Musikschule in Eberswalde oder für eine halbe Stelle nach Görlitz zu gehen. Doch sie bekam den guten Rat, nach Görlitz zu gehen: Bald werde eine ganze Stelle frei und die Direktorin Maria Frenzel-Weiner koche einen ausgezeichneten Kaffee. Tatsächlich freundeten sich die beiden Frauen damals rasch an. "Maria Frenzel wurde wie eine zweite Mutter für mich", sagt Sigrid Richter. Und Görlitz wurde ihr Ort fürs Leben.

Die 2006 verstorbene Gründerin und langjährige Leiterin der Görlitzer Musikschule Maria Frenzel-Weiner war mit Sigrid Richter eng befreundet und bildete sie noch im Alter an der Bratsche aus.
Die 2006 verstorbene Gründerin und langjährige Leiterin der Görlitzer Musikschule Maria Frenzel-Weiner war mit Sigrid Richter eng befreundet und bildete sie noch im Alter an der Bratsche aus. © Thomas Fiedler / Archiv

In den ersten Jahren gab sie vor allem Gitarren-, Klavier- und kurzzeitig Mandolinenunterricht. Doch als für das Görlitzer (heute Niederschlesische) Kammerorchester Cellisten gebraucht wurden, machte sie sich ihren Traum wahr und studierte mit Ende 20 doch noch ein Streichinstrument. Und nicht nur das. Weil Lehrer knapp waren, gab sie bald auch Cellounterricht: "Was ich gerade erst gelernt hatte, gab ich sofort weiter", erzählt Sigrid Richter, "meinen ersten Schülern war ich selbst höchstens vier Wochen voraus!" Dazu gehörte Christoph Vietz, der seit 1990 im Gewandhausorchester spielt.

Im Alter Bratsche und Orgel gelernt

Cello sollte aber nicht das letzte Instrument sein, das Sigrid Richter lernte. Als das Kammerorchester nach der Jahrtausendwende Bratschen suchte, nahm sie bei Maria Frenzel-Weiner im Alter von 61 Jahren Bratschenunterricht. Und als der bisherige Domkantor Thomas Seyda einmal als Organist im Gottesdienst verhindert war, brachte er der studierten Pianistin in Kürze das Orgelspiel bei.

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Seydas Vorgänger war es gewesen, der Sigrid Richter auch in den Kirchenchor von St. Jakobus geholt hatte. "Da sprach mich ein etwas kräftigerer Mann mitten auf der Konsulstraße an, wo ich damals wohnte", erinnert sie sich. "Sind Sie die Frau Richter mit dem absoluten Gehör?", habe er sie gefragt und gesagt: "Mein Name ist Karl Jonkisch und ich will sie in meinem Chor haben."

An vielen Sonntagen im Gottesdienst zu hören

Als die Musikschule nach der Wende viele Pädagogen entlassen musste, kündigte Sigrid Richter von sich aus. "Ich war mir zwar relativ sicher, bleiben zu können, aber ich fand die Vorstellung so furchtbar, entlassen zu werden, dass ich mich lieber selbstständig machte." Seitdem arbeitete sie an verschiedenen Musikschulen, auch im Umland, auf Honorarbasis. Heute unterrichtet sie noch an zwei Tagen pro Woche in Görlitz, unter anderem die kleine Tora.

"Für mehr Schüler hätte ich gar keine Zeit", sagt Sigrid Richter. Denn an vielen Sonntagen spielt sie die Orgel in der Kirche Heilig Kreuz oder vertritt Thomas Seydas Nachfolger Domkantor Teófanes Gonzáles im Gottesdienst. Auch in seinem Kirchenchor und dem von ihm geleiteten Niederschlesischen Kammerorchester wirkt sie nach wie vor mit.

So war Sigrid Richters Leben von Beginn an von Musik erfüllt und ist es noch. Eine Familie hat sie nie gegründet. "Aber ich habe eine Menge Patenkinder!", sagt sie. Und viele davon machen selbst Musik.